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Capodanno

Jahreswechsel in Palermo. Vor wenigen Wochen wurde in Siziliens Hauptstadt Italiens stellvertretender Ministerpräsident Salvini nach langer Strafverhandlung vom Vorwurf der Freiheitsberaubung und des Amtsmissbrauchs freigesprochen. Der Staatsanwalt von Palermo hatte Salvini angeklagt, nachdem dieser 2019 als damaliger Innenminister ein Rettungsschiff mit Flüchtlingen über Wochen nicht in einen italienischen Hafen einlaufen hatte lassen. Der Fall zeigt das Ringen um Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, das für unsere Zeit so kennzeichnend ist. Nicht nur Politiker werden in Italien immer wieder wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt, sondern auch Flüchtlingshelfer:innen wegen Schlepperei. In Italiens Justiz sind unterschiedliche Zugänge vertreten, und das Land hat ein hohes Niveau an rechtswissenschaftlichem Diskurs und Strafrechtskultur. Das verschafft der Justiz gerade im Süden Ansehen in der Bevölkerung: der Flughafen von Palermo ist nach den 1992 ermordeten Mafiaermittlern Paolo Borsellino und Giovanni Falcone benannt. Fotografien der beiden Richter finden sich in den meisten Justizgebäuden Siziliens, an Hausmauern und in vielen Wohnungen. Seit einigen Jahren gibt es im Zentrum Palermos ein No-Mafia-Memorial mit angeschlossenem Museum. Eine zivilgesellschaftliche Initiative.

In Italien stehen Rechtsstaat und Demokratie aktuell auf der Probe. Die letzten Wahlen haben eine Mehrheit rechter und rechtsextremer Parteien gebracht. Ministerpräsidentin Meloni versucht nun, mit freundlicher Miene Richtung Brüssel, das Land autoritär umzubauen: durch gezielte Schwächungen der Justiz, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, freier Medien und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und durch die bewusste Überschreitung menschenrechtlicher roter Linien.

So stark Italiens Institutionen sich in der Vergangenheit erwiesen haben, etwa im Widerstand gegen autoritäre Umbaupläne des früheren Ministerpräsidenten Berlusconi, zu Jahresbeginn 2025 befindet sich Österreich in der besseren politischen Situation. Mit dem eigenen Land ist man, auf Grund der emotionalen Bindung, meist kritischer als mit anderen Staaten. Mit ein bisschen Distanz wird der Blick milder. Ein „Wiener“ Neujahrskonzert am Politeama Garibaldi-Konzerthaus von Palermo trägt dazu bei. Am 1. Jänner leitet hier der Wiener Dirigent Peter Guth das Symphonieorchester Siziliens. So kann man am Neujahrstag in Palermo ua die Strauss-Polka „Im Krapfenwald`l“ hören und, zum Abschluss des Konzerts, den Donauwalzer. Das Konzert ist nicht nur Beleg des Erfolgs österreichischer Kultur, sondern auch des Zusammenwachsens Europas, des Entstehens einer europäischen Identität. Wenn so oft von Krisen die Rede ist, sollen wir das Positive nicht übersehen. Die europäische Einigung hat den beteiligten Ländern bereits 80 Jahre Frieden gebracht.

2025 feiert Österreich nicht nur 80 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern auch 30 Jahre Zugehörigkeit zur Europäischen Union. In 20 Jahren, so wollen wir hoffen, wird Österreich 100 Jahre durchgehender Demokratie begehen können und dann die Hälfte dieser Zeit eingebettet in ein gemeinsames Europa verbracht haben.

Die Errichtung der Zweiten Republik wie auch der Beitritt zur Europäischen Union war wesentlich von den beiden Traditionsparteien ÖVP und SPÖ getragen. Ihr Zusammenwirken hat Österreich diese lange Periode der Demokratie gesichert. Das sollte man in Zeiten, wo jedes Jahr mehrere Staaten vom demokratischen ins autoritäre Regime kippen, schätzen. Man konnte in der Vergangenheit einiges am politischen Kurs von Bundeskanzler Nehammer kritisieren; im entscheidenden Moment nach der Wahl vom September 2024 hat er eine unbeugsame demokratische Haltung bewiesen und der Versuchung einer einfachen Regierungsbildung mit der extremen Rechten widerstanden. Das verdient Respekt; dieselbe Wertschätzung gilt den weiteren Regierungsverhandlern Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, die sich mit Nehammer um eine Regierung der politischen Mitte bemühen. Eine solche Koalition ist, von einer Minderheitsregierung abgesehen, die einzige verantwortungsvolle politische Option.

Das Weltgeschehen ist aktuell von oft skrupellosen Populisten bestimmt, die Frieden, Demokratie und Rechtsstaat gefährden, verspielen und nicht selten bewusst zerstören. Lange Regierungsverhandlungen sind da im Vergleich kein Unglück und langweilig wirkende Politik ist oft die bessere – Österreich sollte es nach den Erfahrungen mit seinen begabten Populisten wissen.  Die Hoffnung auf gute politische Jahre ist intakt, machen wir etwas daraus.