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Kreutner/Mayer/Scheiber: Der Vertrauensverlust der Bevölkerung droht

Gastkommentar für den Standard, 31. Juli 2023

Korruptives Verhalten, Freunderlwirtschaft, Tauschgeschäfte: Gewöhnt sich Österreich daran? Dabei ist Korruptionsbekämpfung zentral für die Absicherung des demokratischen Rechtsstaats

In ihrem Gastkommentar schreiben die Proponenten des Antikorruptionsvolksbegehrens Martin Kreutner, Heinz Mayer und Oliver Scheiber darüber, warum Antikorruptionsmaßnahmen in einem demokratischen Rechtsstaat notwendig sind.

Justizia
Die Regierung ist weiter uneins: Wann kommt das Informationsfreiheitsgesetz? Und wann eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft?
Foto: Imago / Viennaslide

Die Diskussion zu Antikorruptionsmaßnahmen hat in den letzten Jahren an Raum in der öffentlichen Diskussion gewonnen. Es ist zweifellos eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema gelungen. Auch wurden einige Reformschritte gesetzt. Aber: Die großen und entscheidenden Würfe stehen aus. Jüngste Entwicklungen deuten darauf hin, dass Österreich sich von internationalen Standards der Korruptionsbekämpfung eher wegbewegt.

Die angesehene Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (Greco) hat Österreich ab November 2021 intensiv geprüft. Der Evaluierungsbericht wurde im Dezember 2022 vom Europarat angenommen und enthält zahlreiche Empfehlungen an Österreichs Regierung, an das Polizei- und Justizsystem. Der Befund ist insgesamt kritisch ausgefallen. Vor allem macht der Bericht deutlich, dass strenge Antikorruptionsmaßnahmen für die Stärkung und Absicherung der Demokratie unabdingbar sind.

„Diskussionen der letzten Wochen und Monate lassen befürchten, dass man in Österreich allerorten beginnt, sich an korruptive Verhaltensweisen, an Freunderlwirtschaft und Tauschgeschäfte zu gewöhnen.“

Nachdem die Legislaturperiode langsam ausläuft, wäre es wichtig, über Schwerpunktsetzungen eines kommenden Regierungsprogramms nachzudenken. Für Österreich wären – alle nationalen und internationalen Experteneinschätzungen zeigen das – die Erlassung eines Transparenzgesetzes für die Verwaltung (Informationsfreiheitsgesetz) und die Verschiebung der Aufsicht über die Staatsanwaltschaften von der Justizministerin hin zu einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft mit Senaten vordringlich. Die Weisungsbefugnis der Justizministerin gegenüber den Staatsanwaltschaften bildet keinen zeitgemäßen Rahmen für Ermittlungen wegen Korruption und Wirtschaftskriminalität.

Diskussionen der letzten Wochen und Monate lassen befürchten, dass man in Österreich allerorten beginnt, sich an korruptive Verhaltensweisen, an Freunderlwirtschaft und Tauschgeschäfte zu gewöhnen. Das ist eine bedenkliche Entwicklung, weil eine solche Gewöhnung an korrupte Verhältnisse zwangsläufig einen Vertrauensverlust der Bevölkerung in Staat und Verwaltung nach sich zieht. Dies wiederum hat eine Reihe negativer Auswirkungen, etwa auf Steuermoral, den Wirtschaftsstandort oder die Bereitschaft zur Teilnahme an demokratischen Wahlen.

Im Interesse der Republik

Die Aufdeckungen der letzten Jahre belegen, dass in Teilen der Regierung und obersten Verwaltung das verlorengegangen ist, was unter die Begriffe Gemeinwohlorientierung, Verfassungstreue und Beamtenethos fällt und für den demokratischen Rechtsstaat unabdingbar ist. Wer ein öffentliches Amt innehat, von dem ist zu erwarten, dass er sich strikt an den Interessen der Republik und an den Gesetzen orientiert. Persönliche Interessen, Interessen einer Partei, Wahlaussichten oder Freundschaften haben bei der Ausübung eines öffentlichen Amts nichts verloren.

Es ist – um bei Beispielen der letzten Zeit zu bleiben – wichtig, wieder bewusstzumachen, dass es in der Demokratie nie so sein darf, dass man durch eine Parteispende bei wichtigen Entscheidungen einen Fuß in der Tür hat oder ein Aufsichtsratsmandat erhält. Legitim ist es, einer Partei im Rahmen der Gesetze Geld zu spenden, um damit die demokratische Bewegung zu stärken, deren Zielvorstellungen und Werte man teilt und deren Ressourcen man stärken möchte. Die Verknüpfung einer Parteispende mit dem Wunsch, einen Posten im Aufsichtsrat, eine Jobmöglichkeit für einen Angehörigen oder einen Auftrag für das eigene Unternehmen zu erhalten, ist stets zumindest am Rande, meistens im Kernbereich des Korruptionsstrafrechts – mit gutem Grund, denn ein solches Verhalten schwächt Verwaltung, Demokratie und Staat.

Dass Politikerinnen und Politiker Posten im staatsnahen Bereich mit Freunden besetzen, darf nicht naheliegend oder üblich sein; vielmehr muss eine Freundschaft zu einem Bewerber als Interessenkonflikt und Befangenheitsgrund erkannt werden. Wo internationale Standards in dem Bereich liegen, macht der erwähnte Europaratsbericht deutlich, wenn er unter anderem fordert, „(I) dass detaillierte Regeln für die Art und Weise eingeführt werden, in der Personen mit Top-Exekutivfunktionen mit Lobbyisten und Drittparteien interagieren, die versuchen, Einfluss auf die gesetzgeberischen und auf andere Aktivitäten der Regierung zu nehmen; (II) dass ausreichende Einzelheiten über solche Treffen und Konsultationen offengelegt werden – z. B. die Identität der Person(en), mit der (und in deren Namen) das (die) Treffen stattfand(en) und die spezifischen Themen der Diskussion –, einschließlich der Veröffentlichung der Agenden der mit Top-Exekutivfunktionen betrauten Personen“.

Spezialausbildung notwendig

Nötige Sensibilisierungsmaßnahmen beginnen im Jusstudium und umfassen die Aus- und Fortbildung bei Polizei und Justiz. Für die Tätigkeit bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sieht das Gesetz bereits jetzt eine Spezialausbildung vor, verbunden mit einer entsprechenden gehaltsmäßigen Einstufung für die hochqualifizierte Tätigkeit. Dieses System sollte auf die bei anderen Staatsanwaltschaften mit Wirtschaftsgroßverfahren betrauten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ausgedehnt werden, aber auch auf die für Korruptions- und Wirtschaftssachen zuständigen Richterinnen und Richter. Jede Tätigkeit in diesem für die Demokratie wichtigen Bereich bedarf einer Spezialausbildung, die unter anderem die laufende Befassung mit internationalen Standards und Empfehlungen umfasst. In diesem Zusammenhang wäre die bereits andiskutierte Schaffung eines Spezialgerichts für Korruptions- und Wirtschaftsdelikte überlegenswert, um Kompetenzen und Ressourcen zu konzentrieren.

Die Zahl der weltweiten Demokratien nimmt derzeit von Jahr zu Jahr ab. Korruption und Wirtschaftskriminalität sind ein wesentliches Element, warum Demokratien in autoritäre Systeme kippen – siehe aktuell Israel. Korruptionsbekämpfung ist damit eine zentrale Maßnahme zur Absicherung unseres demokratischen Rechtsstaats. Diesen Gedanken bewusstzumachen und durch konkrete Maßnahmen umzusetzen wäre die Aufgabe der kommenden Regierungsverhandlungen. Aber auch für die derzeitige Regierung bliebe noch ein entsprechendes Zeitfenster. Man wird sehen. (Martin Kreutner, Heinz Mayer und Oliver Scheiber, 31.07.2023)