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Gefahren für die Demokratie – Parlament, 12.9.2024

Überarbeitete Fassung des Statements beim überparteilichen Symposium des Netzwerks „Chance Demokratie“ im Parlament in Wien am 12.9.2024

Weltweit nimmt die Zahl der Demokratien in den letzten 20 Jahren ab. Mittlerweile lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung wieder in Staaten, die keine Demokratien sind.

Wir blicken alle deshalb so gespannt auf die US-Wahl 2024, weil wir wissen, dass es nicht bloß um die Entscheidung zwischen zwei Personen geht, sondern schlicht und einfach um das Weiterbestehen der Demokratie in einem der größten Länder der Welt.

Ist die Demokratie auch in Österreich gefährdet? Natürlich – wir haben das Kippen von Demokratien auch in Ungarn, Polen, in der Türkei, in Israel und zuletzt in der Slowakei beobachtet. Es wäre absurd zu denken, nur Österreich könne es nicht treffen. Manche Länder kippen schneller, manche nach einer langen Demokratiekrise – es ist aber immer ein schleichender Prozess, in dem Demokratien schwächer werden. Und es gibt Kipppunkte: sind entscheidende Institutionen des Staates markant geschwächt, dann gibt es irgendwann kein (so schnelles) Zurück mehr. Allen autoritären Kräften ist gemeinsam, dass sie bestimmte Player zuerst angreifen: die Justiz, die Medien, die beide für Rechtsstaat und Demokratie eine zentrale Rolle spielen. Die jüngsten Entwicklungen in der Slowakei – 50 Kilometer von Wien entfernt – sollten uns besonders zu denken geben: im Parlament liegt ein Misstrauensantrag gegen die Kulturministerin auf. Es kann aber über diesen Antrag nicht abgestimmt werden, weil die Regierungsabgeordneten nicht zu den Parlamentssitzungen erscheinen. Die Demokratie wird ausgehebelt.

Autoritäre Prozesse in Ungarn, Polen oder der Türkei wurden auch in österreichischen Fachkreisen genau beobachtet, analysiert und verurteilt. Es besteht also Wissen und auch Sensibilität bezüglich autoritärer Tendenzen – und dennoch verschließen wir in Österreich allzu gern die Augen vor verschiedentlichen Angriffen auf unsere demokratische Kultur. Viele wollen die Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat im eigenen Land nicht wahrhaben. Dabei wären Achtsamkeit und Kritik so wichtig.

In den letzten Jahren mussten wir bereits mehrere Angriffe auf unser demokratisches und rechtsstaatliches System erleben. Etwa als der frühere Finanzminister Blümel Akten dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorenthielt, selbst nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (der Bundespräsident ließ das Urteil im Exekutionsweg durchsetzen); oder als das Bundeskanzleramt zuletzt einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung bis zur gerichtlichen Durchsetzung keine Folge leistete. Die Kritik der Fachkreise an diesem Vorgehen war viel zu verhalten – für vergleichbare Vorgänge in Nachbarländern hat und hätte man harte Worte gefunden. Die Vorgänge waren in der Zweiten Republik ohne Beispiel.

Eine Schwächung der Institutionen bedeutet auch die zuletzt praktizierte Verzögerung von Besetzungen höchster Ämter: die Leitung wichtiger Institutionen (Bundesverwaltungsgericht, Bundeswettbewerbsbehörde, Weisungsrat im Justizministerium) blieb über ein Jahr unbesetzt. Das mindert das Vertrauen in diese Einrichtungen ebenso wie die Motivation der dort arbeitenden Personen.

Nur über Druck der Zivilgesellschaft und der Expert:innenkreise wurden zwei Gesetzesvorschläge gestoppt, die zur faktischen Behinderung bzw Verhinderung von Korruptionsermittlungen geführt hätten: 2021 konnte das geplante Verbot von Hausdurchsuchungen in öffentlichen Dienststellen bei Korruptionsverfahren und 2024 der Gesetzesvorschlag zur Verlagerung der Zuständigkeit von Handyauswertungen von der Staatsanwaltschaft zur Polizei.

Zu wenig ernst genommen werden die Ergebnisse von Untersuchungskommissionen, wie zuletzt der Loderbauer- und der Kreutner-Kommission im Justizministerium. Es handelt sich um exzellente Evaluierungen; die Ergebnisse bedürfen aber einer Umsetzung, und die ist nicht absehbar. Die Verantwortung dafür trifft alle, nicht nur Ressortleiter:innen, sondern auch Berufsvertretungen und Mitarbeiter:innen im öffentlichen Dienst.

Was können wir nun in Österreich tun, um Demokratie und Rechtsstaat zu erhalten und zu stärken?

Es ist wohl an zwei Punkten anzusetzen:

  • Wir müssen versuchen, die demokratischen Strukturen zu stärken. Also etwa die Staatsanwaltschaften unabhängiger zu stellen und das Weisungsrecht eines Regierungsmitglieds gegenüber den Staatsanwaltschaften zu beseitigen. Oder eine Möglichkeit zur Abwahl des Parlamentspräsidenten vorsehen.

Für solche Reformen an den Strukturen könnte ein neuer Österreich-Konvent eingerichtet werden, der allerdings ganz anders aufgesetzt werden müsste als der gescheiterte Konvent der 2000er-Jahre.

  • Wir müssen die Personen für hohe, sensible Ämter besser auswählen. Die besten Regeln und Strukturen helfen nichts, wenn eine demokratische Grundhaltung fehlt und an sich selbstverständliche Umgangsformen im politischen Leben nicht eingehalten werden. Wir sehen seit Jahren einen fortschreitenden Verfall der politischen Kultur.

Die Zivilgesellschaft hat eine wichtige Rolle beim Erhalt der Demokratie. Wir haben in Italien einen langjährigen und erfolgreichen Widerstand gegen autoritäre Tendenzen des ehemaligen Ministerpräsidenten Berlusconis erlebt. Und wir verfolgen aktuell in Israel eine gewaltige Protestwelle gegen autoritäre Reformversuche Netanyahus. Und gleichzeitig sehen wir in Israel, Ungarn und Polen, wie schnell demokratische Errungenschaften verloren gehen und wie mühsam und langwierig es ist, sie zurückzuerkämpfen.

Wir dürfen uns auch in Österreich nicht zu sicher sein. Mit unserer heute noch gültigen Verfassung wurde in der Ersten Republik schon einmal die Demokratie verloren – der austrofaschistischen Regierung gelang es, binnen kurzer Zeit Parlament und Verfassungsgericht lahmzulegen. Armin Laschet hat vor kurzem in einer viel beachteten Rede nachgezeichnet, wie die Nationalsozialisten 1933 binnen zweier Monate Deutschland von einer Demokratie in eine Diktatur überführten – und das mit einem Stimmenanteil bei der vorangehenden Wahl von bloß 33%.

Wenn wir konkret den Justizbereich ansehen, so kann eine Ressortleitung, wenn sie das will, das Justizsystem binnen Wochen umbauen und etwa die zentralen Korruptionsermittlungen ins Leere laufen lassen: ein/e Justizminister/in kann etwa durch Weisungen zu weiteren Zeugeneinvernahmen, Rechtshilfeersuchen oder häufige Berichtsersuchen binnen kürzester Zeit jede Staatsanwaltschaft lahmlegen; oder auch durch die Nichtbesetzung der Stellen für Schreibkräfte. In Ungarn hat Viktor Orban am Beginn seiner Regierungszeit etwa ein Drittel der Richterschaft mit Geldzahlungen zum vorzeitigen Übertritt in den Ruhestand überredet und die Stellen mit regierungstreuen Personen nachbesetzt. Die Möglichkeit der Eingriffe ist groß.

In einer Situation, in der eine wahlwerbende Partei bereits ihre Orientierung an der Politik Orbans angekündigt hat, ist also sehr viel Achtsamkeit angebracht. Das ist die große Herausforderung: den richtigen Mittelweg zwischen zu wenig Achtsamkeit und Alarmismus zu finden. Dann ist es wichtig, bei der Auswahl der Persönlichkeiten für Schlüsselpositionen des Staates – Nationalratspräsident/in, Justizminister/in und Innenminister/in – dieses Mal ganz besonders achtsam zu sein. Und längerfristig müssten sich die Bemühungen um die Demokratie auf die Achillesferse der österreichischen Demokratie fokussieren: die Abhängigkeit der meisten Medien von Regierungsinseraten. Die Stärkung der Medienvielfalt und der Unabhängigkeit der Medien von der Regierung wird wohl zur Schlüsselfrage für den Erhalt der österreichischen Demokratie.