San Marino: Tradition in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Über zwei Millionen Reisende besuchen jedes Jahr San Marino. Die gleichnamige Hauptstadt des europäischen Ministaats besticht durch ihre Lage auf einem hoch aufragenden Felsen rund 750 Meter über dem Meer. Rimini, traditionsreicher italienischer Ferienort und Heimatstadt Fellinis, liegt nur 20 Autominuten entfernt. Die attraktivste Annäherung ist freilich jene mit der Seilbahn, die von Borgo Maggiore aus in das Stadtzentrum San Marinos führt. Von den Festungsanlagen der Hauptstadt, hoch über dem Abgrund, bietet sich ein atem(be)raubender Blick über das italienische Umland und zur nahen Adriaküste.
Nicht weniger beeindruckend als Lage und Stadtbild ist die jahrhundertealte demokratische und rechtsstaatliche Tradition San Marinos. So schaffte das kleine Land bereits 1865 als erster europäischer Staat die Todesstrafe ab. Die
letzte bekannte Exekution liegt gar 550 Jahre zurück. Im Zweiten Weltkrieg gewährten die damals 10.000 Einwohner San Marinos rund 100.000 Flüchtlingen Unterkunft. Bis in die jüngere Vergangenheit wurde San Marino immer wieder von linken Mehrheiten unter Einschluss der Kommunisten regiert – Franco-Spanien verweigerte deshalb Inhabern von Reisepässen, in denen sich Stempel San Marinos fanden, die Einreise. Seit 1975 genießen die Einwohner San Marinos eine kostenlose medizinische
Versorgung. Zu Machtanhäufungen einzelner Politiker kann es nicht kommen: Staatsoberhäupter sind die beiden jeweils nur halbjährig und kollegial amtierenden Capitani Reggenti.


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Ganz und gar kein Kübelfaller: Zum Tod von Ernst Hinterberger (1931-2012)

Der Wiener Schriftsteller und Drehbuchautor Ernst Hinterberger ist tot. Mit dem Mundl hat er eine Figur geschaffen, die zum Synonym eines bestimmten Typus des Wieners und Teil des allgemeines Sprachschatzes geworden ist, im „Kaisermühlen Blues“ hat er Wien besser abgebildet als jeder Feuilletonist. Seine (Dreh)Bücher konnten böse sein, doch getragen war sein Werk von einer tiefen Liebe zu den Menschen. Und Hinterberger war authentisch: bis zuletzt lebte er in einer kleinen Gemeindewohnung, mit Blick auf den lauten Wiener Margaretengürtel.
Ernst Hinterbergers Stärke war es, das Einfache nicht kompliziert zu reden und auch das Unangenehme beim Namen zu nennen. Das hat er bis zuletzt so gehalten, so auch in einem Interview mit dem Standard im vergangenen November:

STANDARD: … Sie leben seit jeher in Wien-Margareten. Welche andere Lieblingsgegend haben Sie? Sicher den Prater mit seiner Halbwelt.
Hinterberger: Ja, den zweiten Bezirk. Da war ich viel unterwegs, der ist meine Gegend. Ich hab die Leut, Lokale, Prostituierten, Zuhälter und die Sprache gekannt. Das waren im Prinzip ehrliche Leut. Eine Hure sagt: „Ich geh am Strich“, und damit ist die Sache erledigt. Ein Zuhälter sagt, „I bin a Zuhälter“, und nicht „Ich bin Berater.“ …
STANDARD: Haben Sie eigentlich ein Wienerisches Lieblingswort?
Hinterberger: Kübelfaller.
STANDARD: Kübelfaller?
Hinterberger: Die Wiener sind ja in der Nacht auf den Kübel gegangen, weil das Klo am Gang war. Wenn da eine Frau eine Sturzgeburt hatte, dann ist das Kind kopfüber in den Kübel g‘fallen, danach war es für immer ein bisserl deppert.
STANDARD: Ist das grauslich.
Hinterberger: Das ist Wienerisch. Es weiß aber heute auch niemand mehr, was ein Kas ist. Nicht der Käse, sondern ein Justizwachebeamter. Die haben nämlich früher Kaiserlicher Amtssoldat geheißen: K-A-S. Oder: „Wen machen“: wen töten. Oder „Buckl“. Das ist einer, der für seinen Chef seinen Rücken hinhält, der Bodyguard.

Foto: APA
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Renée Schroeders Austritt aus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Renée Schroeder, Professorin am Department für Biochemie der Max F. Perutz Laboratories, einem Joint venture von Universität Wien und Medizinischer Universität Wien, ist eine der führenden Wissenschaftlerinnen des Landes. 2003 erhielt sie den bedeutendsten und bestdotierten Wissenschaftspreis Österreichs, den Wittgensteinpreis, für ihre Forschungen an RNA-Molekülen. Im selben Jahr wurde sie als zweite Frau wirkliches Mitglied der mathematisch-naturnaturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Gestern erklärte Renée Schroeder mit folgendem Schreiben ihren Austritt aus der ÖAW:

Sehr geehrtes Präsidium,
Hiermit möchte ich Ihnen meinen Austritt als wirkliches Mitglied der ÖAW mitteilen.
Meine Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren bei der ÖAW gemacht habe, haben
mich davon überzeugt, dass es der Gelehrtengesellschaft der ÖAW weder um die
Förderung von Exzellenz noch um wissenschaftliche Erkenntnisse geht. Aus
Solidarität mit jenen exzellenten WissenschaftlerInnen, denen es wegen ihres
kulturellen Hintergrundes oder ihrer politischen Einstellung nicht möglich ist, Mitglied
dieser Gesellschaft zu werden, lege ich meine Mitgliedschaft zurück.
Es ist mit meinem Gewissen und mit meinen Vorstellungen, wie wissenschaftliche
Qualität gefördert werden soll, nicht mehr vereinbar Mitglied dieser Gesellschaft zu
bleiben. Eine Gelehrtengesellschaft sollte sich innovativ mit Zukunftsfragen
auseinandersetzen. Es kann nicht sein, dass die Mitglieder der jungen Kurie nicht
wahlberechtigt sind, während unbegrenzt viele nicht mehr aktive Wissenschaftler das
Geschehen der ÖAW bestimmen. Sollte die ÖAW nicht von aktiv forschenden
WissenschafltlerInnen getragen werden?
Mit freundlichen Grüßen

Interessierte Beobachter erleben ein Deja vue: vor genau zehn Jahren hat die Akademie der Wissenschaften ein Projekt der international renommierten Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak, ebenfalls Wittgensteinpreisträgerin, regelrecht abgedreht. Die Umsetzung ihres Mission statement („Gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag, die Wissenschaft in jeder Hinsicht zu fördern, und im Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Verantwortung unterstützt und betreibt die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) anwendungsoffene Grundlagenforschung.“) will der ÖAW nicht so recht gelingen. Die Wahrnehmung von gesellschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Verantwortung ist bei Ruth Wodak und Renée Schroeder jedenfalls in besseren Händen.
Renée Schroeder
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Verfassungsgerichtshof: Grundrechtecharta der EU hat in Österreich die Qualität von Verfassungsrecht

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist zwölf Jahre alt. Der moderne Grundrechtskatalog enthält nicht nur klassische Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, sondern formuliert auch neue Rechte wie jene auf Bildung (Artikel 14) und Nichtdiskriminierung (Artikel 21). Die Charta enthält ein Bekenntnis zu einer Vielfalt der Kulturen (Artikel 22), sie garantiert Kindern und älteren Menschen besonderen Schutz (Artikel 24 und 25) und behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilnahme am sozialen Leben (Artikel 26). Die in Artikel 34 ausformulierten Rechte auf soziale Sicherheit sind eine spezifisch europäische Errungenschaft. Mit dem Recht auf eine gute Verwaltung (Artikel 41) wird rechtliches Neuland betreten.

Die Durchsetzung der in der Charta gewährten Rechte wird nun in Österreich durch eine richtungsweisende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) wesentlich erleichtert. Die Entscheidung hält fest,
dass den Bestimmungen der Grundrechtecharta die Qualität von Verfassungsbestimmungen zukommt.Nachdem bereits die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich im Verfassungsrang steht, gilt dies nun auch für die Grundrechtecharta. Alle in der Charta gewährten Rechte sind damit verfassungsrechtlich abgesichert und können vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden – dies erleichtert die Rechtsdurchsetzung ganz wesentlich. Gesetze, die im Widerspruch zur Grundrechtecharta stehen, wird der Verfassungsgerichtshof künftig als verfassungswidrig aufheben, Behörden und auch der nationale Gesetzgeber haben die Charta als Teil des österreichischen Verfassungsrechts zu beachten.
Der Verfassungsgerichtshof dokumentiert mit dieser Entscheidung ein modernes, europaorientiertes Selbstverständnis und trotzt immer wieder aufkeimenden nationalstaatlich-nationalistischen Auslegungstendenzen. Für die Rechtsentwicklung und insbesondere den Grundrechtsschutz ist die Entscheidung zweifellos ein Meilenstein. Der VfGH erläutert die Entscheidung erfreulicherweise in einer auch für Laien leicht verständlichen Sprache auf seiner Website.     

  

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Assoziierungsabkommen EU – Türkei

Ein kürzlich abgeschlossenes Gerichtsverfahren illustriert sehr schön, wie Europarecht funktioniert. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) als österreichisches Höchstgericht legte während eines laufenden Verfahrens eine europarechtliche Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Beantwortung vor. Auf Basis des Urteils des EuGH vom 15.11.2011 im so genannten Vorabentscheidungsverfahren erging bald darauf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (Zahl 2011/22/0313-8).
Die von Medien und österreichischer Politik kommentierte Entscheidung besagt im wesentlichen, dass gegenüber Türkinnen und Türken, die mit
österreichischen StaatsbürgerInnen verheiratet sind, die seit dem
Jahr 1995 (österreichischer EU-Beitritt) vorgenommenen Verschärfungen des österreichischen Fremdenrechts unwirksam sind. Konkret bedeutet das für diese Menschen, dass diverse vor allem seit
der Jahrtausendwende vollzogene Verschärfungen des Fremdenrechts wie etwa die Deutschprüfungspflicht vor
der Einreise, die Abschiebedrohung für den Fall einer nicht bestandenen  Deutschprüfung oder die Vorgabe, dass
man erst ab dem 21. Lebensjahr (früher 18.) einen Antrag auf
Familienzusammenführung stellen kann, nicht gelten. 
Bild: AP – Osman Orsal

Diese Rechtslage ist durch das so genannte  Assoziierungsabkommen (Abkommen zur Gründung einer Assoziation
zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der
Türkei) vorgegeben, das die Europäische Gemeinschaft bereits 1963 mit der Türkei abgeschlossen hat. Die Regelungen wurden von Österreich mit dem EU-Beitritt 1995 übernommen, auch wenn die österreichische Behördenpraxis in der Folge vielfach die im Abkommen vorgesehene Privilegierung türkischer Staatsangehöriger gegenüber anderen Nicht-UnionsbürgerInnen ignorierte. 
Durch die jüngsten Urteile könnte das Assoziierungsabkommen endlich stärker ins Bewusstsein von Bevölkerung und Behörden treten. Das Abkommen ist Ausdruck eines seit bereits fünf Jahrzehnten bestehenden rechtlichen und politischen Naheverhältnisses der EU zur Türkei – völlig unangebracht ist daher einsetzendes Jammern über das Urteil und seine angeblich negativen integrationspolitischen Folgen. Das Urteil sollte vielmehr Anlass sein, auf Schikanen im Fremdenrecht zu verzichten und für Integrationsmaßnahmen wie Deutschkurse positive Anreize zu setzen. Rufe nach einer Kündigung des Assoziierungsabkommens sind genau so zu werten wie jüngste Forderungen nach der Wiedereinführung von Grenzkontrollen in der EU: als nationalistisch-populistisch motivierte, rückwärts gewandten Äußerungen eines Politikverständnisses, das letztlich auf ein Ende der europäischen Friedensordnung hinausläuft.

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