Die Liste der ermordeten italienischen Richter und Staatsanwälte ist lang. 20 Jahre ist es her, dass der Richter und Staatsanwalt Giovanni Falcone von der Mafia getötet wurde. Seine Ermordung bedeutete einen Wendepunkt: die Mafia verlor endgültig jeden Rückhalt in der Bevölkerung. Das organisierte Verbrechen existiert weiter – Catania ist eine seiner Hochburgen.
Im Justizpalast von Catania hängen viele Bilder von Giovanni Falcone. Für die im Justizpalast untergebrachte Staatsanwaltschaft von Catania arbeiten rund 45 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Giovanni Salvi leitet die sechstgrößte Staatsanwaltschaft Italiens. Die Direzione Distrettuale Antimafia ist Teil der Staatsanwaltschaft, 11 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte widmen sich ausschließlich dem Kampf gegen das Organisierte Verbrechen. Alle stehen sie unter Personenschutz, 24 Stunden am Tag. Immer arbeiten sie im Team von drei oder vier Personen, um das Wissen zu teilen und Anschläge für die Mafia weniger attraktiv zu machen.
Wie auch im restlichen Italien hat in der Staatsanwlatschaft Catania vor Jahren ein Umdenken eingesetzt. Nach wie vor versucht man die Paten und ihre Handlanger vor Gericht und hinter Gitter zu bringen. Monat für Monat finden in besonders gesicherten Verhandlungssälen in einem Spezialbau – genannt Aula Bunker – an der Peripherie Catanias, rund 5 km vom Justizpalast entfernt, solche Prozesse statt. Doch die Cosa Nostra ersetzt die in Haft gewanderten Mitglieder umgehend, sie wird durch Verhaftungen kaum einmal nachhaltig geschwächt. Italiens Justiz setzt daher beim Abschöpfen kriminellen Vermögens an. Monat für Monat beschlagnahmt allein die Justiz in Catania Konten, Autos, Häuser, Firmen, Unternehmen, vom Restaurant bis zum Badestrand. Das Gesetz erleichtert das: sobald die Staatsanwaltschaft den Verdacht hegt, dass Vermögen aus krimineller Aktivität stammt, tritt eine Beweislastumkehr ein: der Eigentümer muss belegen, dass das Vermögen aus legalen Quellen herrührt. Kann er das nicht, spricht das Gericht die Beschlagnahme aus. Und die Italienische Republik ist bestrebt, dieses sichergestellte Vermögen gemeinnützig zu verwenden; eine eigene Agentur des Justizministeriums ist mit der Verwaltung und Verwertung des beschlagnahmten Vermögens befasst. Ein Beispiel dafür bildet der Lido dei Ciclopi in Acitrezza, eine der schönsten und renommiertesten Badeanlagen Siziliens. Vor und 15 Jahren aus dem Vermögen der Cosa Nostra heraus beschlagnahmt, wird die Badeanlage seither von einem vom Staat eingesetzten Pächter geleitet. Dieser Pächter hat die Tradition der langen Öffnungszeiten beibehalten – bis Ende Oktober hält die mit Pflanzen aus Afrika gestaltete Badeanlage offen. Vor einigen Jahren wurde zudem eine Kulturveranstaltung ins Leben gerufen: eine rein weiblich besetzte Jury vergibt jedes Jahr einen Preis, den Premio Ninfa Galatea an eine Künstlerin. Dort, wo der antiken Sage nach Odysseus eines seiner Abenteuer bestand, bildet der Lido ein Symbol der Erfolge der Justiz im Kampf gegen die Mafia. Die Gesellschaft holt sich das ihr geraubte Vermögen zurück.
Aula Bunker mit vergitterten Räumen für die Angeklagten
2003 wurde der Wiener Jugendgerichtshof von der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition geschlossen. Der Wiener Jugendgerichtsbarkeit wurde damit eine Wunde geschlagen, die bis heute nicht verheilt ist. Längst wäre es an der Zeit, die Jugendgerichtsbarkeit nicht nur in Wien, sondern in Österreich auf neue Beine zu stellen.
Wie moderne Jugendgerichtsbarkeit aussehen kann, zeigt die italienische Justiz. Etwa das Jugendgericht von Catania (Tribunale per i Minorenni di Catania) in Sizilien: zehn BerufsrichterInnen arbeiten hier, unterstützt von 36 ehrenamtlichen RichterInnen (giudici onorari), die aus verschiedenen Berufen stammen und befristet als RichterInnen arbeiten: KinderpsychiaterInnen, PsychologInnen, PsychoanalytikerInnen, Politikwissen- schaftlerInnen. Das Gericht ist nicht nur für Strafverfahren gegen Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren zuständig, sondern auch…
Jugendgericht von Catania
… für Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren sowie Adoptionen. Das Jugendgericht entscheidet zumeist in Senaten von vier RichterInnen: jeweils zwei BerufsrichterInnen und zwei ehrenamtliche RichterInnen. Die durch die ehrenamtlichen RichterInnen vorhandene multidisziplinäre Kompetenz erspart viefach die Einholung langwieriger schriftlicher Gutachten. Die Verfahren am Jugendgericht gehen – im Gegensatz zur Mehrzahl italienischer Gerichtsverfahren – zügig voran und die Entscheidungsgrundlagen sind breit. Die RichterInnen nehmen sich viel Zeit für AnwältInnen und Bevölkerung: das Gericht steht jeden Tag für Fragen und Auskünfte offen. Zuständig ist das Jugendgericht nicht nur für Strafverfahren gegen Jugendliche, sondern auch für Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren und für Adoptionen.
Das Gericht kommuniziert intern und extern viel. An einem konkreten Fallbeispiel: ein Vater soll seine Stieftochter missbraucht haben. Während der Berufsrichter den Verdächtigen und die Mutter befragt, sprechen ehrenamtliche Richterinnen, die im Hauptberuf Kinderpsychiaterinnen sind, mit dem Kind. Anschließend beraten die Berufs- und ehrenamtlichen RichterInnen gemeinsam Sofortmaßnahmen. Das Gericht erlässt einen Beschluss, mit dem es die Obsorge für das Kind neu regelt; das Jugendamt wird mit demselben Beschluss mit weiteren Maßnahmen beauftragt und die Schulen der Kinder der Familie werden auf die schwierige Situation der Kinder aufmerksam gemacht und um Berichte ersucht.
Das italienische Recht gibt den JugendrichterInnen ein Bündel von Maßnahmen in die Hand und ermöglicht so maßgeschneiderte Lösungen für den Einzelfall. Das Strafrecht sieht nicht nur Geld- und Freiheitsstrafen vor, sondern auch die Einweisung in Wohngemeinschaften und den Hausarrest. Gerade die Wohngemeinschaften bewähren sich bei Jugendlichen, sowohl als Ersatz zur Untersuchungshaft als auch zur Gefängnisstrafe. Die Sozialisierung bzw Resozialisierung setzt im laufenden Verfahren frühzeitig an, gleichzeitig besteht staatliche Kontrolle. Der Gefängnisaufenthalt wird tatsächlich zum allerletzten Mittel. Entgegen allen Klischees ist die Jugendgerichtsbarkeit in Süditalien auf dem neuesten Stand. Moderne Gesetze, hoher Mitteleinsatz und die außergewöhnliche Motivation der JustizmitarbeiterInnen garantieren einen Standard der Jugendgerichtsbarkeit, der seinesgleichen sucht.
Der Tod der jungen somalischen Olympiasportlerin Samia Yusuf Omar hat auf das Schicksal der vielen Flüchtlinge aufmerksam gemacht, die versuchen, von der afrikanischen Küste aus nach Italien zu gelangen. Samia Yusuf Omar kam Anfang April dieses Jahres bei einem Schiffbruch nahe Malta ums Leben. Sie versuchte, nach Europa zu gelangen, um an den Olympischen Spielen in London teilnehmen zu können. Teresa Krug hat Samia Yusuf Omar einen berührenden Nachruf geschrieben, der in deutscher Übersetzung in Ausgabe Nr. 36/2012 der ZEIT erschienen ist.
Der Umgang der Europäischen Union mit den Flüchtlingen schwankt zwischen Ratlosigkeit und Kälte und trägt am Tod von tausenden Flüchtlingen jedes Jahr Mitschuld. Italienische Richter berichten über befremdliche Methoden der überforderten Behörden Maltas: afrikanische Flüchtinge würden vor Malta mit neuen Booten und Benzin versorgt und Richtung Italien weitergeschickt. Boote der italienischen Küstenwache kreuzen weit vor der Küste und retten dort, wenn man den Berichten sizilianischer Beamter glauben darf, vielen erschöpften Flüchtlingen das Leben.
Die Flüchtlinge, die überleben und es bis Italien schaffen, landen zumeist auf der Sizlien vorgelagerten kleinen Insel Lampedusa oder direkt an der Südküste Siziliens, so nicht selten in der Region des Küstenorts Pozzallo. Die italienischen Behörden hier sind um einen respektvollen Umgang mit den Flüchtlingen bemüht. Minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern ankommen, erhalten vom nahegelegenen Gericht in Modica umgehend einen Vertreter beigestellt, zumeist einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin. So ist eine fachlich kompetente Vertretung im Verfahren um Asyl oder um die Aufenthaltsgenehmigung gewährleistet. Untergebracht werden die Jugendlichen nach Möglichkeit in Wohngemeinschaften gemeinsam mit italienischen Jugendlichen.
Wie diese Meldungen zusammenhängen? Sie zeigen, dass die vermeintliche Finanz- und Schuldenkrise auf irrationale Annahmen und Handlungen zurückgeht, dass Spekulanten und Banken längst die Politik bestimmen. Dass mit so genannten Bankenhilfen Spekulation und Wirtschaftskriminalität prolongiert werden; also mit Geld, das gleichzeitig für Bildung, Justiz, Sozialleistungen und Kinderbetreuung fehlt. Dass die herbeigeredete Krise zum Kulturabbau genutzt wird. Dagegen gilt es im Großen und im Kleinen anzukämpfen; im Kleinen etwa mit einer Petition, die die Wiedereinsetzung der Sprachkurse am Italienischen Kulturinstitut in Wien fordert.
In den 1970er-Jahren mussten, wie erst nun zutage kam, Tiroler Heimkinder offenbar ohne Lohn in diversen Unternehmen arbeiten, unter anderem im Werk der Fa. Darbo. Nun hätte es sich das Unternehmen leicht machen und sagen können: wir haben die Löhne damals an die Heimbetreiber bezahlt und werden sie nun nicht ein zweites Mal überweisen. Doch die jungen Geschäftsführer des Familienbetriebs Darbo reagierten überraschend. Sie besuchten eines der ehemailigen Heimkinder und sagten umgehend zu, allen Betroffenen die Löhne nachzuzahlen, dies angepasst an das heutige Lohnniveau.
Ein Beispiel der Verantwortungsübernahme, das Schule machen sollte.