Text für den falter, Ausgabe 43/2012
Was wir
von Italien lernen können
Harte
Strafen reichen nicht: Korruptionsbekämpfung muss dort ansetzen, wo es wirklich
weh tut
Gastkommentar:
Oliver Scheiber
Italien, Land der Mafia und Korruption – noch immer
gilt hierzulande diese Assoziation. Dabei reichen zehn Finger gerade aus, um heimische
Verdachtsfälle von Korruption und Wirtschaftskriminalität aufzuzählen:
Eurofighter, Hypo, Constantia, BUWOG, Skylink, Kommunalkredit, MEL, Telekom,
AKH, Terminal Tower. Das ist bloß eine Auswahl anhängiger Strafverfahren und
dennoch, da sind sich die meisten Experten einig, nur die Spitze eines
Eisbergs.
Österreichs Justiz wurde bei der Bekämpfung von
Korruption und Wirtschaftskriminalität von der Politik lange im Regen stehen
gelassen. Die Mahnungen internationaler Gremien schlug sie in den Wind, nötige
Ressourcen fehlten. Seit einiger Zeit jedoch gewinnt die Strafjustiz wieder
Boden unter den Füßen: durch Ermittlungserfolge und erste Anklagen. Von einer Trendwende
schreiben die Medien. Dennoch ist die Öffentlichkeit zu Recht irritiert von vielen
Verdächtigen, die vor einigen Jahren noch ohne erwähnenswertes Vermögen waren
und nun die Ermittlungen der Justiz von Luxusvillen, Penthäusern, Yachten und
Sportwägen aus beobachten.
Deshalb sind weitere Anstrengungen notwendig und sollten
auf einen Punkt fokussieren: auf die Sicherstellung kriminellen Vermögens. Geld
verschwindet bekanntlich nicht. Es wechselt den Besitzer. Oft lässt sich in
einem kriminellen Netzwerk nicht genau zuordnen, wer welche Handlung konkret zu
verantworten hat – diese Zuordnung ist die Voraussetzung für eine
strafrechtliche Verurteilung. Sehr wohl steht aber oft rasch fest, dass
bestimmte Gelder, Vermögen, Unternehmen durch kriminelle Handlungen erlangt
wurden oder aus solchen stammen. In den eingangs genannten Strafverfahren geht
es um den Verdacht des Missbrauchs öffentlichen Vermögens oder jenes der
Kleinanleger. Und dieses gilt es zurückzuholen.
Moderne Strategien der internationalen Korruptionsbekämpfung messen der Konfiszierung kriminellen Vermögens mehr Wirksamkeit zu als dem
Einsperren von Tätern und Bossen. Verurteilte
Mitglieder eines kriminellen Netzes werden sofort ersetzt, große
Vermögensverluste dagegen schwächen mafiose Strukturen nachhaltig.
Hier wird Italien interessant. Es ist nicht nur
das Land der Mafia; es verfügt auch über einen der schlagkräftigsten
Strafverfolgungsapparate, gewachsen an der bald jahrhundertealten Herausforderung
des Staates durch die Organisierte Kriminalität.
Italien hat für die besonderen Fälle eine Beweislastumkehr
normiert. Das Prinzip ist einfach: Wer plötzlich und für Außenstehende
unerklärlich zu Vermögen kommt und in den Verdacht gesetzwidriger Aktivitäten gerät,
der muss der Staatsanwaltschaft die legale Herkunft des Vermögens belegen.
Scheitert dies, so werden kriminelle Güter rasch und unkompliziert
beschlagnahmt. Dabei geht es nicht nur um Konten und Bargeld; Autos, Wohnungen,
Villen, Unternehmen, Restaurants, ja sogar Badestrände werden konfisziert und
vom Staat weitergeführt – als sichtbare Zeichen der Erfolge des Rechtsstaats.
Die Staatsanwälte und Richter werden durch ein
landesweites Register verdächtiger und beschlagnahmter Vermögenswerte sowie
eine eigene Justizagentur unterstützt, die die Konfiszierung begleitet und
beschlagnahmtes Vermögen verwaltet.
Als kürzlich die Unterschlagung von Parteigeldern
durch den Fraktionsführer der Berlusconi-Partei PdL von Latium, Franco Fiorito,
aufflog, wanderte Fiorito in
Untersuchungshaft. Noch am selben Tag wurden Fioritos Jeep, seine Villen und
Wohnungen konfisziert. Letzte Woche geriet die deutsche HSH Nordbank in einen
ähnlichen Strudel: ein Windpark in Kalabrien, von der Bank für eine deutsche Projektentwicklungsgesellschaft
finanziert, wurde beschlagnahmt. Die italienische Staatsanwaltschaft vermutet,
dass der Windpark von einem lokalen Mafia-Clan kontrolliert wurde. Allein die Polizei
von Catanzaro in Süditalien hatte im Zusammenhang mit diesem Projekt wegen
Mafia-Verdachts Gegenstände im Wert von insgesamt 350 Millionen Euro
beschlagnahmt.
Ähnliches spielte sich vor rund einem Jahr in
Rosarno ab. In dieser kalabrischen Kleinstadt wurden Häuser und Vermögen im
Wert dreistelliger Millionenbeträge konfisziert. Die Vorgangsweise der Behörden
ist hart, aber verhältnismäßig: die Banca d’Italia schätzt, dass die Gewinne
der diversen Mafiaorganisationen rund 130 Milliarden Euro jährlich betragen.
Darüber hinaus leisten vor allem die Staatsanwälte
Süditaliens Präventions- und Legalitätsarbeit. Sie gehen in die Schulen und erläutern
der Jugend die Wirkung und die Folgen von Korruption.
In Österreich sind die Dimensionen von
Wirtschaftskriminalität und Korruption kleiner. Die dahinterliegenden Strukturen,
die Gier und die kriminelle Energie sind indes dieselben. Längst geht es auch
in Österreich, siehe Skylink, um dreistellige Millionenbeträge. Die Justiz
benötigt deshalb weitere Unterstützung: eine radikale Vereinfachung der Regelungen
über die Konfiskation kriminellen Vermögens etwa; oder die Möglichkeit für Wirtschaftspolizisten
und Staatsanwälte, das italienische Modell vor Ort zu studieren und italienische
Staatsanwälte in Österreich bei Schulungen und Vorträgen zu hören. Investitionen
in den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption fließen an die
Gesellschaft vielfach zurück – ideell wie materiell.
Oliver
Scheiber ist Richter in Wien und hat als Mitarbeiter der früheren
Justizministerin Maria Berger die 2009 eingerichtete
Korruptionsstaatsanwaltschaft mitkonzipiert.