Ist das wirklich ein Punkt für Sobotka?

 

Replik. Österreich ist ein Sonderfall, da ein politisches Organ an der Spitze der Staatsanwaltschaften steht und weisungsbefugt ist.

In einem an dieser Stelle erschienenen Gastkommentar („Wo Wolfgang Sobotka leider einen Punkt hat“) hat Christoph Kletzer vor der Gefahr einer die ganze Republik zusammenschießenden Staatsanwaltschaft gewarnt. Er begründet das u. a. mit der „Vernichtung der öffentlichen Person Straches“ und den „glücksritterlichen Anreizen“, weil der Chance auf historischen Ruhm in den Staatsanwaltschaften nur ein vernachlässigbares Risiko gegenüberstünde. Damit werden den Staatsanwaltschaften sehr deutlich sachfremde Motive bei Anklageerhebung, somit nicht weniger als die Missachtung wesentlicher rechtsstaatlicher Prinzipien des Strafverfahrens und der eigenen Berufspflichten, vorgeworfen. Sind diese Vorwürfe berechtigt?

Kletzers Beitrag stellt die reale Lage auf den Kopf. Ein Blick in internationale Evaluierungen, etwa die maßgebliche Einschätzung der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (Greco), belegt dies. Der letzte Bericht zu Österreich vom Dezember 2022 fordert mehr entschlossenere Korruptionsermittlungen und mehr (!) Unabhängigkeit für die Staatsanwaltschaften. Die österreichischen Staatsanwaltschaften verfügen nämlich nicht, wie der Text von Kletzer suggeriert, über besondere Freiheiten. Vielmehr ist Österreich insofern ein Sonderfall, als ein politisches Organ – Justizminister:in – an der Spitze der Staatsanwaltschaften steht und weisungsbefugt ist. Das Justizministerium entscheidet über Ermittlungen und zugleich auch über die Karrieren der Staatsanwält:innen. Die Abhängigkeit der Staatsanwaltschaften von der Regierung widerspricht dem modernen Verständnis des demokratischen Rechtsstaats mit seinen Checks and Balances.

Die Argumentation Kletzers geht an Gesetzeslage und Praxis vorbei. Die Staatsanwaltschaften sind verpflichtet, jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens aufzuklären (§ 2 Abs 1 StPO). Ermittlungsschritte, insbesondere alle Grundrechtseingriffe wie Hausdurchsuchungen, Untersuchungshaft oder Telefonüberwachung unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Auch die Anklageschrift kann noch beim Oberlandesgericht beeinsprucht werden, das bei Stattgebung des Einspruchs das Verfahren einstellt. Dennoch hält Kletzer den Einspruch gegen die Anklageschrift ohne nähere Begründung für „letztlich zahnlos“. Beschuldigte, ob unbekannt oder mächtig, sind gut beraten, die vielen Rechtsmittel zu nutzen.

Die häufiger gewordenen Korruptionsermittlungen entsprechen dem europäischen Standard. Wir finden ganz ähnliche Szenarien in Italien, Frankreich, Israel oder Belgien; ähnliche Sachverhalte, ähnlich geführte Ermittlungen, eine ähnliche Litigation PR und Diffamierung von Staatsanwaltschaften durch Politiker:innen, die im Verdacht von Straftaten stehen.

Aktenvorlage verweigert

Grenzüberschreitungen hat es zuletzt tatsächlich gegeben, allerdings nicht vonseiten der Staatsanwaltschaften, sondern etwa vonseiten des Bundeskanzleramts oder Finanzministeriums, die gesetzlich vorgesehene Aktenvorlagen verweigerten. Der Beitrag von Kletzer hat einen wichtigen Punkt, der allerdings für alle Beschuldigten, nicht nur Politiker gilt: Nach einem Freispruch sollte es einen höheren Kostenersatz geben. Genau das ist im Budget 2024 vorgesehen.

Man sollte die Dinge beim Namen nennen: Österreich erlebt eine Vielzahl an Verdachtsfällen im Korruptionsbereich. Es gibt mit der WKStA eine nach internationalen Standards aufgestellte Strafverfolgungsbehörde, die ermittelt. Das tut dem betroffenen Politikfeld naturgemäß weh. Rechtsstaatliche Normalität.

Reaktionen an: debatte@diepresse.com

Die Autoren

Mag. Wilfried Embacher ist Rechtsanwalt in Wien

Dr. Oliver Scheiber ist Richter und Lehrbeauftragter an der Universität Wien und der Fachhochschule FH Wien der WKW.

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Außergewöhnliches neues Mahnmal für Graz – Der Feuerwehrmann von Peter Roskaric

Die Demokratie geht meist dann unter, wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine radikale Minderheit gewähren lässt. Diese Tatsache spiegelt sich im Mahnmal „Der Feuerwehrmann“, das Peter Roskaric für den Platz vor der Grazer Synagoge geschaffen hat. Es ist ein berührendes Mahnmal, klein, und doch so aussagekräftig. Heimo Halbrainer von der Uni Graz hat mich und andere im Rahmen eines Zeitgeschichteseminars darauf aufmerksam gemacht, vielen Dank dafür!

Am 7. November 2023 wurde das neue Mahnmal in Graz eingeweiht. Eine kleine Figur ist auf ein Verkehrszeichen aufgesetzt. Sie zeigt einen Feuerwehrmann, der Richtung Synagoge blickt. Das Mahnmal erinnert so an die Novemberpogrome. In jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannte die Grazer Synagoge nach einem Anschlag vollkommen nieder. Die anwesenden Feuerwehrleute sahen dem Brand untätig zu. Statt zu löschen achteten sie nur darauf, dass das Feuer nicht auf Nachbargebäude übergreift.

Peter Roskaric hat dieses Mahnmal im Rahmen eines Schüler:innenwettbewerbs vorgeschlagen. Eine ganz außergewöhnliche Idee für ein Erinnerungszeichen.

https://www.erinnern.at/themen/artikel/das-kunst-und-erinnerungsprojekts-der-feuerwehrmann-von-peter-roskaric

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Zum Abschied von Werner Vogt

Foto: Walter Wobrazek/profil

Manche Menschen hinterlassen eine Lücke, die sich nicht schließen lässt. Werner Vogt zählt zu ihnen. Der Wiener Arzt, der viel Lebenslust in sich trug, fand gleichzeitig, dass es in dieser Welt sehr viel zu verbessern gibt. Zu diesen Verbesserungen hat er selbst viel, mehr als in einem Leben normalerweise zu schaffen ist, beigetragen. Über mehrere Jahrzehnte war Vogt eine laute Stimme im öffentlichen Diskurs Österreichs. Maßgeblich war sein Anteil daran, dass in den 1970er- und 1980er-Jahren endlich das Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus gebrochen wurde und die Aufarbeitung der Rolle Österreichs in der dunklen Zeit spät, aber doch beginnen konnte.

Am vergangenen Samstag ist Vogt im Alter von 85 Jahren verstorben.

 

„Mein Arztroman. Ein Lebensbericht“ heißt Vogts lesenswerte Autobiographie, die seinen Medizinerberuf in den Titel aufnimmt. Zum Arztberuf war Vogt über Umwege gekommen. 1938 in Tirol geboren absolvierte er zunächst die Lehrerausbildung und unterrichtete 1957 und 1958 in Vorarlberg. Von 1959 bis 1969 studierte er schließlich Medizin in Wien und begann dann 1969 als Facharzt für Unfallchirurgie am Lorenz Böhler Krankenhausder Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien – er blieb seinem Krankenhaus bis zur Pensionierung treu. Lange war er der Ärztesprecher des Spitals und mehrmals hat er um den Erhalt und die Unabhängigkeit seines Spitals gekämpft, Seite an Seite mit seinem Freund und Spitalschef Primarius Poigenfürst. Denn Vogt war zwar als Persönlichkeit stark, doch arbeitete er stets im Team, was wohl allein schon seiner Geselligkeit und seiner Lust am Gespräch und Austausch, auch seiner Neugierde,geschuldet war. Er widmete sich oft ernsten Themen, und doch war jede Zusammenarbeit mit ihm von Lebensfreude, Optimismus und Humor geprägt. Seine Stimme, einmal gehört, bleibt in Erinnerung.

 

Werner Vogt war ein Mann mit unzähligen Begabungen. Seine größte Begabung war wohl seine Sprachgewalt und Sprachgewandtheit. Seine schriftlichen Formulierungen waren präzise und messerscharf, seine Argumentationen von größter Schlüssigkeit und in der mündlichen Diskussion verfügte Vogt über eine seltene Verbindung von Intellekt, Schlagfertigkeit, Formulierungskunst und Humor. Sein Lächeln war oft schelmisch. Man wollte ihn in Konflikten nicht zum Gegner haben.

 

Und Konflikte gab es genug. Konflikte sind nötig, um die Dinge weiterzuentwickeln und die Welt besser zu machen, so hat es Vogt sinngemäß in einem Interview formuliert. Und bekannte sich zeitlebens dazu, dass ihn der Zorn über Missstände und die schlechten Lebensverhältnisse vieler Menschen antrieb. Schon früh trat Vogt im öffentlichen gesellschaftspolitischen Diskurs in Erscheinung.„Kritische Medizin“ nannte sich die Arbeitsgemeinschaft, die Vogt 1975 mit Kolleginnen und Kollegen gründete und die in den Folgejahren einerseits Missstände aufzeigte, andererseits Lösungsvorschläge unterbreitete. Denn das zeichnete Vogt aus: nie blieb es bei der Kritik, immer bot er Lösungen und zudem seine Unterstützung an.

 

Werner Vogt war im besten Sinn des Wortes querköpfig und unkorrumpierbar. Wo er Unrecht erkannte, da meldete sich Vogt zu Wort – kraftvoll und unbeugsam. Er dockte zwar öfter an Organisationen an, am CV in seiner Jugend, später an der SPÖ und an die Grünen. Die Zusammenarbeit zerbrach, wenn man ihn in faule Kompromisse zwingen oder seine Unabhängigkeit brechen wollte. Und nicht selten rief man ihn in der Not zu Hilfe; etwa nach dem großen Wiener Pflegeskandal im Altenheim Lainz. 2003 bestellte ihn die Wiener Gesundheitsstadträtin Pittermanni in einem geschickten Schachzug zum Wiener Pflegeobmann.

 

Werner Vogts Schwerpunkt lag in Österreich. Und dennoch engagierte er sich immer auch in internationalen Hilfsprojekten: ab 1981 in der medizinischen Unterstützung Nicaraguas, nach den politischen Umbrüchen 1989 dann im rumänischen Temesvar, anschließend im Kosovo im Auftrag internationaler Organisationen.

 

Werner Vogt war ein starker Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens, gleichzeitig auch Stimme der Zivilgesellschaft. Eng verbunden ist sein Name mit dem Sozialstaat-Volksbegehren, das er mitinitiiert hatte und das im Jahr 2000 von mehr als 700.000 Menschen unterzeichnet wurde. Wie kraftvoll die Rolle Vogts im öffentlichen Diskurs der 1970er- und 1980er-Jahre war ist heute schwer vorstellbar. Dank seiner Sprachgewandtheit war Vogt mehr als eine starke Stimme im öffentlichen Diskurs; er war ein Gigant, eine Naturgewalt im Dienst von mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit.

 

Als Vogts bedeutendste Leistung wird, wohl zu Recht, die Enttarnung des NS-Arztes Heinrich Grossin den 1970er-Jahren angeführt. Gross hatte als Arzt an den massenhaften Morden an Kindern und psychisch Kranken in der NS-Zeit in Wien mitgewirkt, war nichtsdestotrotz nach 1945 zum Primararzt und zum meistbeschäftigten Gerichtssachverständigen Österreichs aufgestiegen. Vogt thematisierte diese Unglaublichkeit 1979 öffentlichkeitswirksam, als er bei einem Kongress in Salzburg Gross aufgeforderte, nicht über die „Tötungsdelikte psychisch Kranker“, sondern besser über „Tötungsdelikten an psychisch Kranken“ zu referieren. Der darob entstandene Skandal mündete Jahre später in die überfällige Mordanklage gegen Heinrich Gross und führte kurzfristig zur Entlassung eines Opfers von Gross aus dem Gefängnis. Den viel zu spät aus dem Gefängnis entlassenen Mann, Friedrich Zawrel, begleitete Werner Vogt (gemeinsam mit anderen) am Weg zu einem der angesehensten Zeitzeugen Österreichs.

 

Unsere gemeinsame Bekanntschaft zu Friedrich Zawrel hat mich vor rund zwanzig Jahren mit Werner Vogt zusammengeführt. In Kenntnis seiner Texte habe ich der ersten Begegnung mit Ehrfurcht entgegengesehen – und habe einen der im persönlichen Umgang liebenswertesten und umsichtigsten, ja zärtlichsten Menschen kennengelernt, die mir begegnet sind. Den intensivsten Kontakt hatte ich mit Werner Vogt, als unser gemeinsamer Freund Friedrich Zawrel 2014 schwer erkrankt war. Zawrel rief mich zu sich, nie werde ich das Bild vergessen, als Vogt am Krankenbett saß und die Hand des Freundes hielt, streichelte. Einige Wochen später bereiteten wir das Begräbnis Zawrels vor, Werner Vogt und ich verbrachten Stunden mit dem Auswählen eines angemessenen Grabsteins und der richtigen Inschrift. Am 3.3.2015 hatten wir einen Termin in der Feuerhalle Simmering, außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Wir betraten die Halle durch einen Hintereingang, stießen dort auf Särge, in denen die Wiener Spitäler amputierte Gliedmaßen sammeln, die dann verbrannt werden. In der Minute mutierte Vogt zum Arzt, erzählte zu den Gliedmaßen passende Arztgeschichten, von seiner Kompetenz und seinem Humor getragen.

 

Der Mut zur öffentlichen Kritik, die strikte Orientierung des Handelns am gesellschaftlichen Wohl, die Zuwendung zu den Schwächsten – das ist es, was Werner Vogt auszeichnete und was die Gesellschaft heute vielleicht noch notwendiger braucht als in früheren Jahrzehnten. Die Republik hat die vielfachen Verdienste Werner Vogts 2015 gewürdigt. Im Juli 2015 regte ein Personenkreis die Würdigung Vogts an; und schon am 17. November desselben Jahres überreichte der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter Werner Vogt im Justizministerium das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

 

Werner Vogt gehörte zu den Menschen, für die man nach jeder neuen Begegnung noch mehr Respekt und noch mehr Zuneigung empfand. Man kann das nicht über Viele sagen.

 

Oliver Scheiber ist Richter und Publizist in Wien.

Von Werner Vogt:

Einatmen – Ausatmen: Der Mißstand als Norm, Europaverlag Wien 1991.

Reise in die Welt der Altenpflege: Ein kritisches Tagebuch, Edition Steinbauer, Wien 2005.

Mein Arztroman. Ein Lebensbericht, Edition Steinbauer, Wien 2013.

 

Österreichische Mediathek: Werner Vogt – der Fall Gross und andere Aufarbeitungen

https://www.mediathek.at/oesterreich-am-wort/suche/treffer/?pool=BWEB&uid=15859EEC-26C-000B8-00001300-1584DEB6&cHash=85ed1237a08fa72671d8355e2d1e3de5

 

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Buch Wien 2023

Jetzt liegen schon viele Buchpräsentationen und Lesungen hinter mir, aber noch nie konnte ich so einen Ansturm erleben wie heute beim Gespräch mit Lisa Mayr auf der Buch Wien. Es hat mich wirklich bewegt, und schön dass es gerade in meiner Heimatstadt Wien so war.
Danke an alle Besucher:innen für das Interesse und die vielen Rückmeldungen und Gespräche im Anschluss.
Und ein besonderer Dank an Lisa Mayr für die wertschätzende und mich im positiven Sinn fordernde Gesprächsführung. Danke natürlich auch an meine beiden großartigen Verlage bahoe Books und Falter-Verlag!
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Kreutner/Mayer/Scheiber: Der Vertrauensverlust der Bevölkerung droht

Gastkommentar für den Standard, 31. Juli 2023

Korruptives Verhalten, Freunderlwirtschaft, Tauschgeschäfte: Gewöhnt sich Österreich daran? Dabei ist Korruptionsbekämpfung zentral für die Absicherung des demokratischen Rechtsstaats

In ihrem Gastkommentar schreiben die Proponenten des Antikorruptionsvolksbegehrens Martin Kreutner, Heinz Mayer und Oliver Scheiber darüber, warum Antikorruptionsmaßnahmen in einem demokratischen Rechtsstaat notwendig sind.

Justizia
Die Regierung ist weiter uneins: Wann kommt das Informationsfreiheitsgesetz? Und wann eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft?
Foto: Imago / Viennaslide

Die Diskussion zu Antikorruptionsmaßnahmen hat in den letzten Jahren an Raum in der öffentlichen Diskussion gewonnen. Es ist zweifellos eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema gelungen. Auch wurden einige Reformschritte gesetzt. Aber: Die großen und entscheidenden Würfe stehen aus. Jüngste Entwicklungen deuten darauf hin, dass Österreich sich von internationalen Standards der Korruptionsbekämpfung eher wegbewegt.

Die angesehene Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (Greco) hat Österreich ab November 2021 intensiv geprüft. Der Evaluierungsbericht wurde im Dezember 2022 vom Europarat angenommen und enthält zahlreiche Empfehlungen an Österreichs Regierung, an das Polizei- und Justizsystem. Der Befund ist insgesamt kritisch ausgefallen. Vor allem macht der Bericht deutlich, dass strenge Antikorruptionsmaßnahmen für die Stärkung und Absicherung der Demokratie unabdingbar sind.

„Diskussionen der letzten Wochen und Monate lassen befürchten, dass man in Österreich allerorten beginnt, sich an korruptive Verhaltensweisen, an Freunderlwirtschaft und Tauschgeschäfte zu gewöhnen.“

Nachdem die Legislaturperiode langsam ausläuft, wäre es wichtig, über Schwerpunktsetzungen eines kommenden Regierungsprogramms nachzudenken. Für Österreich wären – alle nationalen und internationalen Experteneinschätzungen zeigen das – die Erlassung eines Transparenzgesetzes für die Verwaltung (Informationsfreiheitsgesetz) und die Verschiebung der Aufsicht über die Staatsanwaltschaften von der Justizministerin hin zu einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft mit Senaten vordringlich. Die Weisungsbefugnis der Justizministerin gegenüber den Staatsanwaltschaften bildet keinen zeitgemäßen Rahmen für Ermittlungen wegen Korruption und Wirtschaftskriminalität.

Diskussionen der letzten Wochen und Monate lassen befürchten, dass man in Österreich allerorten beginnt, sich an korruptive Verhaltensweisen, an Freunderlwirtschaft und Tauschgeschäfte zu gewöhnen. Das ist eine bedenkliche Entwicklung, weil eine solche Gewöhnung an korrupte Verhältnisse zwangsläufig einen Vertrauensverlust der Bevölkerung in Staat und Verwaltung nach sich zieht. Dies wiederum hat eine Reihe negativer Auswirkungen, etwa auf Steuermoral, den Wirtschaftsstandort oder die Bereitschaft zur Teilnahme an demokratischen Wahlen.

Im Interesse der Republik

Die Aufdeckungen der letzten Jahre belegen, dass in Teilen der Regierung und obersten Verwaltung das verlorengegangen ist, was unter die Begriffe Gemeinwohlorientierung, Verfassungstreue und Beamtenethos fällt und für den demokratischen Rechtsstaat unabdingbar ist. Wer ein öffentliches Amt innehat, von dem ist zu erwarten, dass er sich strikt an den Interessen der Republik und an den Gesetzen orientiert. Persönliche Interessen, Interessen einer Partei, Wahlaussichten oder Freundschaften haben bei der Ausübung eines öffentlichen Amts nichts verloren.

Es ist – um bei Beispielen der letzten Zeit zu bleiben – wichtig, wieder bewusstzumachen, dass es in der Demokratie nie so sein darf, dass man durch eine Parteispende bei wichtigen Entscheidungen einen Fuß in der Tür hat oder ein Aufsichtsratsmandat erhält. Legitim ist es, einer Partei im Rahmen der Gesetze Geld zu spenden, um damit die demokratische Bewegung zu stärken, deren Zielvorstellungen und Werte man teilt und deren Ressourcen man stärken möchte. Die Verknüpfung einer Parteispende mit dem Wunsch, einen Posten im Aufsichtsrat, eine Jobmöglichkeit für einen Angehörigen oder einen Auftrag für das eigene Unternehmen zu erhalten, ist stets zumindest am Rande, meistens im Kernbereich des Korruptionsstrafrechts – mit gutem Grund, denn ein solches Verhalten schwächt Verwaltung, Demokratie und Staat.

Dass Politikerinnen und Politiker Posten im staatsnahen Bereich mit Freunden besetzen, darf nicht naheliegend oder üblich sein; vielmehr muss eine Freundschaft zu einem Bewerber als Interessenkonflikt und Befangenheitsgrund erkannt werden. Wo internationale Standards in dem Bereich liegen, macht der erwähnte Europaratsbericht deutlich, wenn er unter anderem fordert, „(I) dass detaillierte Regeln für die Art und Weise eingeführt werden, in der Personen mit Top-Exekutivfunktionen mit Lobbyisten und Drittparteien interagieren, die versuchen, Einfluss auf die gesetzgeberischen und auf andere Aktivitäten der Regierung zu nehmen; (II) dass ausreichende Einzelheiten über solche Treffen und Konsultationen offengelegt werden – z. B. die Identität der Person(en), mit der (und in deren Namen) das (die) Treffen stattfand(en) und die spezifischen Themen der Diskussion –, einschließlich der Veröffentlichung der Agenden der mit Top-Exekutivfunktionen betrauten Personen“.

Spezialausbildung notwendig

Nötige Sensibilisierungsmaßnahmen beginnen im Jusstudium und umfassen die Aus- und Fortbildung bei Polizei und Justiz. Für die Tätigkeit bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sieht das Gesetz bereits jetzt eine Spezialausbildung vor, verbunden mit einer entsprechenden gehaltsmäßigen Einstufung für die hochqualifizierte Tätigkeit. Dieses System sollte auf die bei anderen Staatsanwaltschaften mit Wirtschaftsgroßverfahren betrauten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ausgedehnt werden, aber auch auf die für Korruptions- und Wirtschaftssachen zuständigen Richterinnen und Richter. Jede Tätigkeit in diesem für die Demokratie wichtigen Bereich bedarf einer Spezialausbildung, die unter anderem die laufende Befassung mit internationalen Standards und Empfehlungen umfasst. In diesem Zusammenhang wäre die bereits andiskutierte Schaffung eines Spezialgerichts für Korruptions- und Wirtschaftsdelikte überlegenswert, um Kompetenzen und Ressourcen zu konzentrieren.

Die Zahl der weltweiten Demokratien nimmt derzeit von Jahr zu Jahr ab. Korruption und Wirtschaftskriminalität sind ein wesentliches Element, warum Demokratien in autoritäre Systeme kippen – siehe aktuell Israel. Korruptionsbekämpfung ist damit eine zentrale Maßnahme zur Absicherung unseres demokratischen Rechtsstaats. Diesen Gedanken bewusstzumachen und durch konkrete Maßnahmen umzusetzen wäre die Aufgabe der kommenden Regierungsverhandlungen. Aber auch für die derzeitige Regierung bliebe noch ein entsprechendes Zeitfenster. Man wird sehen. (Martin Kreutner, Heinz Mayer und Oliver Scheiber, 31.07.2023)

 

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