Podiumsdiskussion zu Obdachlosigkeit am 28.11.2016 – Einladung

Montag, 28. November, 19.00 Uhr:

Obdachlosigkeit, Polizei und Justiz 

Lisa Bolyos (Augustin)
Michael Lepuschitz 
(Polizeijurist)
Christine Miklau 
(Richterin)
Annika Rauchberger
 (Bettellobby)
 

Moderation: Petra Stuiber (Der Standard)

Ort:
 Bezirksgericht Meidling
Adresse:
 1120 Wien, Schönbrunner Straße 222-228
Stiege 3, 5. Obergeschoß
  

 

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung 
BAKOS TAMÁS 

Exiled on Side Streets 

statt. 
Zur Ausstellung ist ein Katalog erhältlich (Verlag Sonderzahl) 

Beiträge per Email abonnieren

Die (Wiener) Polizei und wir

Kommentar der Anderen für den Standard, Printausgabe 11.11.2016


In der Exekutive der Bundeshauptstadt gibt es einen falschen Korpsgeist, der schwarze Schafe schützt und den Bürgern Angst vor den „Kieberern“ einjagt, statt ihnen Sicherheit zu geben. Ein Anlassfall.

Wien hat ein Problem mit seiner Polizei. Ein unlängst beendeter Strafprozess illustriert das. Am 29. 1. 2016 fand in Wien der umstrittene WKR-Ball statt, gegen die Veranstaltung wurde demonstriert. Die renommierte Journalistin Cathrin Kahlweit, Österreich-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, sagte nun laut einem Bericht des STANDARD (21. 10. 2016) vor Gericht aus, sie sei an diesem Abend als Passantin auf einen Tumult auf der Mariahilfer Straße gestoßen. Einige Männer seien rabiat gegen eine Gruppe von Personen vorgegangen und hätten sie schließlich festgenommen – erst da habe man bemerken können, dass die martialisch adjustierten Männer Polizisten in Zivil waren. 

„Scheiß Kuh“ 

Kahlweit gibt an, es sei ihr einiges seltsam vorgekommen, sie habe sich als Journalistin zu erkennen gegeben und gefragt, was hier los sei. Ein Mann in Flecktarn, offenbar ein Beamter, habe sie daraufhin folgendermaßen beschimpft: „Scheiß Kuh“ und: „Geh nach Hause zu deiner scheiß Merkel.“ Erst nach vielen Mühen habe sie eine Dienstnummer erhalten. Zu einem Festgenommenen, der um die Lockerung seiner Fesseln bat, habe ein Beamter sinngemäß gesagt: „Wir können noch ganz anders, zum Beispiel (…) in den Wald fahren und dir alle Knochen brechen.“ Auf ihre schriftliche Beschwerde hat Kahlweit nach neun Monaten noch keine Antwort erhalten. Dafür wurde sie nach Einreichung ihrer Beschwerde angerufen: Ein Mann fragte sie, woher sie seine Dienstnummer habe – und welcher Kollege sie preisgegeben habe. 

Die Wiener Polizei hat vor etwa 25 Jahren einen Prozess der Öffnung begonnen. Frauen zogen in den Polizeidienst ein; nicht nur, aber auch deswegen kehrte ein neuer Ton in der Kommunikation der Polizei ein. Menschenrechtsschulungen wurden forciert, bei Demonstrationen wurden moderne Deeskalationsstrategien eingesetzt. Bei den monatelangen Demonstrationen gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000 leistete die Wiener Polizei exzellente Arbeit, hochprofessionell, auf Ausgleich und Fairness gegenüber Bevölkerung wie Versammlungsteilnehmern bedacht. 

Hervorragende Arbeit 

In Bereichen wie der Bekämpfung häuslicher Gewalt wird bis heute eine qualitativ hervorragende Arbeit geleistet, Österreich zählt hier weltweit zu den Staaten mit der besten Polizeiarbeit. In den Grätzeln erledigen viele Polizistinnen und Polizisten einen oftmals äußerst schwierigen Job tadellos. In den letzten Jahren häufen sich die ernstzunehmenden Beschwerden über Polizeieinsätze; oft stehen sie in Zusammenhang mit Demonstrationen, aber nicht nur. 

Rüdes Vorgehen 

Ein rüdes Vorgehen etwa bei Verkehrskontrollen gegenüber Radfahrern ist keine Seltenheit. Publizität erlangen solche Berichte durch Zufall, wenn gerade ohne Wissen der Beamten eine Kamera mitläuft (wie im Fall einer Frau, die nach einer polizeilichen Kontrolle auf einer Tankstelle am Schwedenplatz mit zahlreichen Verletzungen dastand) oder eben jetzt, wenn zufällig eine bekannte und couragierte Journalistin zur Zeugin wird. Man muss sich fragen: Wie geht es jenen, die nicht so gebildet oder selbstbewusst sind, sich zur Wehr zu setzen? Die sich als Drogenkranke oder Asylwerber so schwach fühlen, dass sie sich nicht auflehnen können? Die polizeilichen Übergriffen ohne Zeugen und ohne Videobeweis ausgesetzt sind? 

Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Wiener Polizei keine adäquate Reaktion auf Fehler findet; dass ihrer Spitze die Sensibilität für die Bedeutung des Demonstrationsrechts fehlt und dass Korpsgeist zunehmend die Kritikfähigkeit nach innen ersetzt. 

Plumpe Strategien 

Parallel dazu ziehen plumpe Strategien in die Pressearbeit ein, wenn etwa täglich Bagatelldelikte aufgebauscht oder wenn Journalisten zu einer „Schwerpunktaktion zur Bekämpfung des Drogenhandels im öffentlichen Raum“ eingeladen werden. Im Anschluss an diesen Pressetermin der Wiener Polizei im Juni 2016 konnten Journalisten Polizeibeamte bei ihrer Arbeit begleiten. „Wir werden schauen, dass wir ein paar Festnahmen zusammenkriegen“, kündigte ein Mediensprecher der Polizei an. Wie auf einer Safari wurden Personen angehalten und den Medienvertretern vorgeführt, ohne Sensibilität für Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Dass das kein rechtliches Nachspiel hatte, ist wohl vor allem auf die (auch finanzielle) Ohnmacht der betroffenen Personen zurückzuführen. 

Übergriffe nehmen zu 

Es ist leicht auszurechnen, dass die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe zunimmt, wenn die Führung der Polizei solche Signale aussendet und wenn Fehlverhalten von Beamten ohne Konsequenzen bleibt, letztlich also von oben gebilligt wird. Es ist empörend, dass einer Beleidigung, wie sie Frau Kahlweit erfahren hat, keine umgehende förmliche Entschuldigung der Polizei folgt (wir reden jetzt gar nicht von den weiteren Sonderlichkeiten der von Frau Kahlweit beschriebenen Amtshandlung). 

Falsche Beamte 

Durch ihr Schweigen zur gerichtlichen Aussage von Frau Kahlweit macht die Polizeispitze den falschen Beamten die Mauer, deckt Verfehlungen und desavouiert alle korrekt arbeitenden Beamtinnen und Beamten. Wer eine Journalistin (oder sonst jemanden) mit „Scheiß Kuh, geh zu deiner scheiß Merkel nach Hause“ beschimpft, hat im öffentlichen Dienst nichts verloren. Kein Finanzbeamter, keine Jugendamtsmitarbeiterin, kein Lehrer kann sich so etwas leisten. 

Bürger müssen sich fürchten 

Das Schweigen der Wiener Polizeispitze ist inakzeptabel. Die Entwicklung der Polizei passt schon länger nicht mehr zu Wien. Die Polizei soll integraler Bestandteil der Gesellschaft sein, nicht ein verselbstständigter Apparat, vor dem sich Bürgerinnen und Bürger fürchten müssen. Wien hat eine Polizeiführung verdient, die den Wandel der Wiener Stadtverwaltung in Richtung mehr Bürgernähe, mehr Kommunikation und mehr Respekt mitträgt. 

(Oliver Scheiber, 10.11.2016) 

Beiträge per Email abonnieren

Praktika für AsylwerberInnen und Asyleberechtigte an den Gerichten

Dank der Unterstützung von Fonds Sozialem Wien, Justizministerium und weiteren Justizbehörden konnte am 1.9.2016 ein Praktikaprogramm für Refugees an Wiener Gerichten starten. Maria Sterkl hat für den Standard darüber berichtet:


Scheidung auf Österreichisch 


MARIA STERKL 


16. Oktober 2016, 12:00 

Unter den vielen Flüchtlingen gibt es auch Juristen. Um zu verhindern, dass sie hier Hilfsarbeiten verrichten, bietet die Justiz Praktika an Wien – 

Auf der hellen Schreibtischplatte ist kein Staubkorn zu sehen, der Gesetzeskodex ist in Griffweite platziert. „Das ist unser Büro“, sagt Abdulrahman Alnatour, vom Fenster im Bezirksgericht Meidling sieht man bis zum Wienerwald. Auch in seinem vorigen Job hatte Alnatour ein großzügiges Büro. Der Rechtsanwalt war in einer Wirtschaftskanzlei in der syrischen Stadt Daraa auf Arbeitsrecht und Unternehmensrecht spezialisiert. In Daraa nahm auch der syrische Bürgerkrieg seinen Ausgang. Alnatour musste fliehen, vor knapp zwei Jahren kam er nach Österreich. Auch Mouhamad Jomaa ist Anwalt, in Damaskus vertrat er Strafrechts- und Familienrechtsfälle. 

Juristendeutsch lernen 

In Syrien standen Jomaa und Alnatour in beruflicher Konkurrenz, heute sind sie Kollegen. Am Bezirksgericht Meidling machen sie ein unbezahltes Praktikum. Sie nehmen an Verhandlungen teil, studieren Gerichtsakten, lernen Juristendeutsch. Beide möchten hier bald als Anwälte arbeiten. 

Derzeit sind rund 20 Juristen, die hier Asyl bekommen haben oder noch im Asylverfahren stehen, als sogenannte Rechtshörer an Wiener Gerichten tätig. Der Meidlinger Gerichtsvorsteher Oliver Scheiber hat das Projekt für die Justiz in Kooperation mit dem Fonds Soziales Wien (FSW) organisiert. 

FSW-Projektleiterin Renate Christ erzählt, sie habe sich über diverse Kanäle auf die Suche nach Flüchtlingen mit Jus-Abschluss gemacht – und sie war erfolgreich: Zum Info-Abend über das Praktikaprojekt kamen 90 Flüchtlinge – Anwälte, Richter und Richterinnen, Staatsanwälte. Österreichs Justiz sei auf Juristen angewiesen, die sich gut in den Herkunftskulturen der Flüchtlinge auskennen, sagt Scheiber. Ein Beispiel: Wer im Irak ein Erbe antritt, aber in Österreich wohnt, braucht Richter und Anwälte, die gute Kenntnisse in irakischer Gesetzeslage und Institutionenlandschaft mitbringen. Wer also verhindert, dass „syrische Rechtsanwälte hier als Straßenkehrer arbeiten“, wie FSW-Projektleiterin Christ es formuliert, erweise damit nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Justiz und den Anwaltskanzleien, die solche Kompetenzen nachfragen, einen Dienst. 

Bei null anfangen 

Österreich macht es ausländischen Juristen alles andere als leicht, hier in ihren angestammten Berufen zu arbeiten: „Leute, die 15 Jahre lang als Richter tätig waren, müssen in Österreich oft bei null anfangen und fast das gesamte Jusstudium nachholen“, sagt Scheiber. Der Grund: Unis rechnen nur wenige Zeugnisse an. Dabei seien die Rechtssysteme Österreichs und Syriens „sehr ähnlich“, wie Jomaa etwa in Scheidungsverhandlungen feststellen konnte. Das Rechtspraktikum solle „ein Schnellkurs in österreichischer Verwaltung und Gerichtsbarkeit sein“, sagt Scheiber. Einige der 90 Teilnehmer wären dann fit, um beispielsweise als Juristen in Anwaltskanzleien anzufangen – und parallel dazu Jus zu studieren. 

(Maria Sterkl, 16.10.2016) – derstandard.at/2000045921234/Fluechtlinge-in-der-Justiz-Scheidung-auf-Oesterreichisch

Beiträge per Email abonnieren

Eine kurze Geschichte aus dem Gerichtssaal

Strafverhandlungen an Bezirksgerichten haben selten Zuseher. Heute ist es anders. Zwei Rechtsanwälte aus Syrien, beide sind aus dem Krieg geflüchtet und haben in Österreich Asyl erhalten, möchten Österreichs Strafrechtspraxis kennenlernen und sich auf ihr Ergänzungsstudium  in Österreich vorbereiten.
Der Angeklagte: ein Mann in den Vierzigern mit einer langen Drogenvorgeschichte und damit verbundenen Vorstrafen, die länger zurückliegen. Heute ist er angeklagt, versucht zu haben, Kopfhörer um 13 Euro zu stehlen. Der Versuch ist gescheitert, der Mann wurde ertappt. Der Angeklagte ist geständig, reumütig wie es so altertümlich heißt. Das Gerichtsverfahren endet mit einer Verurteilung zu einer Geldstrafe.
Nach der Verhandlung erkundigen sich die beiden Zuhörer, warum ein solcher Fall vor Gericht lande. Es gehe doch nur um 13 Euro. Wie das denn in Syrien aussehe, fragt der Richter. In Syrien habe die Polizei in solchen Fällen einen größeren eigenen Handlungsspielraum, berichten die beiden Zuhörer. Es sei in solchen Fällen üblich, dass die Polizeibeamten versuchen, mit dem Täter und dem Geschädigten vor Ort eine Lösung zu finden, die sofortige Schadensgutmachung und eine Aussöhnung herbeizuführen. Eine Befassung von Staatsanwaltschaft und Gericht sei in solchen Fällen geringfügiger Delinquenz eher die Ausnahme.
Wir haben oft nur ein vages Bild von den Herkunftsländer der nun in Europa angekommenen Flüchtlinge. Über das Betonen der europäischen Werte vergessen wir, dass Staaten wie Syrien vor dem Krieg in vielen Bereichen hochentwickelt waren. Es lohnt sich, sich über Vorurteile hinwegzusetzen und voneinander zu lernen.
Beiträge per Email abonnieren