Courtroom – Nachtgespräch in Meidling mit Agnes Aistleitner

Wir – Judith Kohlenberger/Wittgenstein Centre der WU Wien, Angelika Kurz/Uni Wien, Verena Latzer/Justiz – haben einander erst vor wenigen Monaten kennengelernt. Und wir haben eine neue Veranstaltungsreihe aus der Taufe gehoben: Courtroom – Nachtgespräch in Meidling.
Am 3. Oktober 2017 fand das erste Gespräch statt, mit Agnes Aistleitner über ihr Projekt Teenah, dem Aufbau einer Textilproduktion in Jordanien. 
In der Folge unseres Gesprächs hat die ZEIT Agnes Aistleitner ein großes Porträt gewidmet:
Der Abend ist auf Facebook dokumentiert – samt Bildern und Video: 
Ich danke Judith, Angelika und Verena für die wunderbare Zusammenarbeit im Team! Und den vielen Besucherinnen und Besuchern des ersten Abends.
v.l.: Angelika Kurz, Judith Kohlenberger, Edith Meinhart, Agnes Aistleitner,
Christine Grabner, Oliver Scheiber, Verena Latzer
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Rechtshörerschaft für geflüchtete Juristinnen und Juristen

juridikum 2/2017
Farzaneh
Vahedmonfared / Oliver Scheiber
Abstract : Unter den in den letzten zwei Jahren nach Österreich
geflüchteten Menschen sind viele Juristinnen und Juristen. Der Wiedereinstieg
in einen juristischen Beruf ist für sie ein langer Weg. Der Erwerb von guten
Kenntnissen der deutschen Sprache und die Nostrifikation des Studiums sind
große Hürden. Die österreichische Justiz versucht, geflüchtete Menschen beim
Berufswiedereinstieg zu unterstützen, und zwar in Form von Rechtshörerschaften
bei Gerichten. Dieses Projekt wird aus Sicht eines Richters und einer aus dem
Iran stammenden Juristin vorgestellt.
Schlagwörter : Rechtshörerschaft, Gerichte, Fonds Soziales
Wien, Praktika, Asylwerberinnen, Asylwerber, Flüchtlinge, Nostrifikation,
Justizministerium, Universitätslehrgang, AMS
1. Geschichte
des Projekts
1.1. Aus
Projektperspektive (Oliver Scheiber)[1]
Als im Sommer 2015 der große Flüchtlingszustrom nach
Österreich einsetzte, beauftragte die Stadt Wien den Fonds Soziales Wien (FSW)
mit der Koordinierung der Flüchtlingshilfe. Anfang 2016 startete der FSW ein
Praktikaprogramm: Für Flüchtlinge mit offenem Asylverfahren, die keiner regulären
Beschäftigung nachgehen dürfen, sollte die Zeit des Wartens besser genutzt
werden. Der FSW vermittelt seither Interessierte zu Dienststellen der Stadt
Wien.
[2]
Auf meine Anregung hin erging im Sommer 2016 ein
Erlass des Bundesministeriums für Justiz, der geflüchteten JuristInnen oder
Jusstudierenden Praktika bei Wiener Gerichten ermöglicht.
[3]
Rechtshörerschaften stehen seit jeher österreichischen Jusstudierenden offen.
In der Regel lernen Studierende so für einen Zeitraum zwischen drei und sechs
Wochen die Arbeit bei Gericht kennen. Der neue Erlass hält nun fest, dass diese
unbezahlten Rechtshörerschaften auch bereits graduierten JuristInnen und auch
für längere Perioden (für zwei bis maximal fünf Monate) offensteht.
Das Projekt startete mit einigen Wiener
Pilotgerichten. Zu einer von FSW und Justiz gemeinsam organisierten
Infoveranstaltung im August 2016 kamen mehr als 100 Interessierte.[4] Mehrheitlich
waren es graduierte JuristInnen, die in ihren Herkunftsländern unterschiedlich
lange Laufbahnen in Rechtsberufen zurückgelegt haben. Viele der Interessierten
waren als RechtsanwältInnen, RichterInnen oder StaatsanwältInnen tätig gewesen.
Die quantitativ am stärksten vertretenen Herkunftsländer waren Syrien, der
Irak, Iran und Afghanistan.
1.2. Aus Teilnehmerinnenperspektive
(Farzaneh Vahedmonfared)
Ich bin 1990 im Iran geboren und studierte in Teheran
Jus. Ich habe das Masterstudium mit Schwerpunkt Privatrechtswissentschaft als
eine der drei besten Studierenden abgeschlossen und spreche fünf Sprachen, neben
Farsi noch Türkisch, Deutsch, Englisch und etwas Arabisch. Während meines
Studiums habe ich mehrere Praktika in Spitälern und verschiedenen
Magistratsabteilungen der Stadt Teheran absolviert. Ich habe diverse
Gerichtsverhandlungen besucht, wo ich mit Beteiligten in direkten Kontakt
treten konnte. Nach dem Studium arbeitete ich ein Jahr lang bei einem Notar. In
dieser Zeit musste ich feststellen, dass in meinem Land die Menschlichkeit
verhandelbar ist und Gerechtigkeit, Gesundheit und Gewissen käuflich sind.
Vor neun Monaten verließ ich aus religiösen Gründen
meine Heimat und beantragte in Österreich Asyl. Als ich von der Leiterin meiner
Asylunterkunft vom Projekt der Rechtshörerschaften an Wiener Gerichten erfuhr,
war ich in einer psychisch schlechten Verfassung. Ich hatte kurz davor die
Absage der Bewerbung für einen Universitätslehrgang (Behörden- und
Gerichtsdolmetschen) bekommen. Als eine Person, die in ihrer Heimat eine
akademische Ausbildung hatte, war ich jetzt ohne sozialen Status. Ich fühlte
mich in einer aussichtlosen und hoffnungslosen Situation gefangen. Das Angebot
war für mich wie ein Licht in der Dunkelheit.
Bei der Infoveranstaltung stellten sich sechs Gerichte
vor. Jede(r) konnte sich nach ihrem/seinem Interesse ein Gericht für eine
Rechtshörerschaft in Straf- oder Zivilverfahren aussuchen. Ich wählte das
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und dachte vor allem an die
Möglichkeit, Akten zu studieren. Nach dem Mailverkehr und der
Terminvereinbarung mit dem LG für Zivilrechtssachen und einem Aufnahmegespräch
begann ich mit dem Praktikum.
2.
Erfahrungen im Projekt
2.1. Aus
Projektperspektive (Oliver Scheiber)
Im September 2016 begannen die ersten RechtshörerInnen
ihre Praktika bei Gericht.
[5] Unter ihnen
waren sowohl Personen, die bereits Asyl oder subsidiären Schutz erhalten
hatten, als auch Personen mit noch laufendem Asylverfahren. Die
Rechtshörerschaft bietet Gelegenheit, Akten zu lesen, Verhandlungen zu besuchen
und sich mit dem österreichischen Behörden- und Gerichtswesen vertraut zu machen;
zudem die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Besonders gut funktioniert der
Austausch mit österreichischen RechtspraktikantInnen. Dies ist insofern
zentral, als die meisten refugees die
Nostrifikation ihres Studiums anstreben und von RechtspraktikantInnen aktuelle
Informationen zu den Studienbedingungen erhalten.
Im Gerichtsalltag werden die RechtshörerInnen mit den
heimischen gesetzlichen Regelungen rasch vertraut. Die Unterschiede der
österreichischen Rechtsordnung zu jenen in den Hauptherkunftsländern werden
tendenziell überschätzt. Institutionen wie Mediation oder Diversion oder die
Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum sind den meisten RechtshörerInnen
vertraut. Die größte Hürde für eine Integration in die juristische Arbeit sind
die Sprachkenntnisse. Das Erlernen des Deutschen in einer solchen Qualität,
dass ein juristisches Arbeiten möglich ist, ist nach den Erfahrungen des
Projekts tatsächlich sehr schwierig.
2.2. Aus
Teilnehmerinnenperspektive (Farzaneh Vahedmonfared)
Ich wurde für zwei Monate als Rechtshörerin
aufgenommen. Man brachte mir von Anfang viel Vertrauen entgegen, sodass ich
einen Schlüsselchip sowie einen Schreibtisch mit PC und eigenem Zugang zum
Intranet der Justiz bekam.
Die ersten Tage am Gericht waren sehr schwer für mich,
ich verstand vieles nicht. Mein Selbstvertrauen und -bewusstsein war am
Tiefpunkt angelangt. Alles war mir fremd, die Menschen, die Sprache und ihr
Fachvokabular, die Atmosphäre des Gerichts und sogar die Gesetzestexte.
Trotz aller Parallelitäten zwischen den beiden
Rechtssystemen im Iran und Österreich gab es große Unterschiede in Bezug auf
Menschen-, Frauen- und Kinderrechte sowie in straf- und zivilrechtlichen
Fragen. Auch kannte ich zB sachliche und örtliche Zuständigkeiten und andere
Fachtermini, aber ich konnte mir diese Begriffe in der neuen Sprache nicht
merken und wurde verzweifelt und enttäuscht.
Am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien arbeitete
ich mit einer Richterin und zwei Richtern. Einer der Richter übergab mir einen
Akt zum Einlesen, in dem die Verhandlung bevorstand. Ich bereitete den Akt
genau vor. Die Verhandlung war für mich sehr aufregend. Ich war völlig davon
überrascht, dass ich in der Verhandlung an der Seite des Richters sitzen
durfte. Die ersten Verhandlungstage waren sehr schwer. Ich musste mich sehr
anstrengen und konzentrieren, um allem folgen zu können. Die Richterinnen und
Richter unterstützten mich und erklärten vieles und mit jeder Verhandlung fiel
es mir leichter zu verstehen.
Die Richterin, der ich zugeteilt war, hat mich mit
fachlichen Erklärungen genau so unterstützt wie durch persönliche,
freundschaftliche Gespräche. Nach jeder Verhandlung fragte sie mich nach meiner
Meinung und was ich an ihrer Stelle gemacht hätte. Diese Wertschätzung hat mich
enorm gestärkt, sie ließ meine Probleme, das Heimweh und die Ungeduld beim
Deutschlernen, kleiner erscheinen. Dass die Richterin auf Titel und äußere
Zeichen des Amts wenig Wert legte, hat mich beeindruckt.
Ein anderer Richter nahm sich ein paar Stunden pro
Woche Zeit für mich und beantwortete meine Fragen. Er recherchierte zu Fragen,
die nicht in seinem Fachgebiet lagen und stellte mir Ausdrucke zur Verfügung.
Ich erhielt Vorauflagen von Büchern und konnte über das RIS im Netz Änderungen
verfolgen. Das auf der Intranetseite der Justiz verfügbare E-Learning-Programm E-LAN war fachlich und sprachlich sehr
nützlich für mich. Viele RechtspraktikantInnen waren ebenfalls sehr
hilfsbereit, haben mir Lernmaterialien gebracht und Anregungen gegeben.
Nach dem Landesgericht wollte ich gerne beim BG für
Handelssachen Wien weitere Erfahrungen sammeln und erhielt von dessen
Vorsteherin auf meine Anfrage sofort eine Zusage. Ich fand ähnliche
Möglichkeiten vor wie am Landesgericht und konnte auch direkt mit der
Vorsteherin zusammenarbeiten. Unter ihrer Anleitung konnte ich gerichtliche
Erledigungen vorbereiten, was für mich sehr lehrreich war.
3. Ausblick
3.1. Aus
Projektperspektive (Oliver Scheiber)
Die mehr als 100 anwesenden JuristInnen bei der
Infoveranstaltung in Wien lassen auf 
mehrere hundert Jusstudierende und JuristInnen unter den in den letzten
Jahren nach Österreich geflüchteten Menschen schließen. Eine große Hürde ist
die Nostrifikation des Jusstudiums. Dazu sind rund 80 % eines regulären
Studiums zu absolvieren. Es ist fraglich, ob das für Personen, die oft bereits
10 oder 20 Jahre lang als RichterInnen, StaatsanwältInnen oder
RechtsanwältInnen – oft auch international – tätig waren, angemessen ist. Es
wäre ein ganz wesentlicher Integrationsschritt, wenn die juridischen Fakultäten
zumindest vorübergehend ein spezielles Kursprogramm einrichteten, das diese
hochqualifizierte Berufsgruppe schnell an die Nostrifikation heranführt und den
Aufwand sowohl für die Universitäten als auch für die an der Nostrifikation
interessierten Personen reduziert. Die refugees
bringen in den Arbeitsmarkt der österreichischen Rechtsberufe durch ihre
Sprachkenntnisse (va Arabisch und Dari-Farsi) viel zusätzliches Knowhow ein.
Für die Justiz ist das Programm jedenfalls auch ein Gewinn – es entsteht mehr
Wissen und Sensibilität für andere Rechtskreise und Fluchtumstände, gerade der
Austausch zwischen jüngeren JuristInnen ist das beste Mittel, ein Gegenkonzept
zu den aufkommenden nationalistischen Strömungen zu entwickeln.
Mittlerweile bringen sich Wiener
RichteramtsanwärterInnen stark in das Projekt ein; ein Mentoringprogramm in
kleinerem Rahmen ist entstanden. AMS (Wien) und FSW planen für April 2017 eine
weitere Infoveranstaltung, zu der auch die Anwaltschaft eingeladen wird, um den
Berufseinstiegs geflüchteter JuristInnen zu fördern und zu erleichtern.
3.2. Aus
Teilnehmerinnenperspektive (Farzaneh Vahedmonfared)
Mein aktuelles Ziel ist es, die deutsche Sprache so zu beherrschen,
damit ich das Leben, das ich mir im Iran wünschte und nicht bekam, in
Österreich führen kann. Bei der Info-Veranstaltung zur Rechtshörerschaft habe
ich übrigens zufällig die Leiterin des Lehrganges kennengelernt, für den ich
nicht zugelassen worden war. Ich erhielt eine zweite Chance und bin nun,
während ich diesen Text schreibe, Studentin dieses Lehrgangs.
Farzaneh
Vahedmonfared, MA hat im Iran das Masterstudium der Rechtswissenschaften
abgeschlossen und besucht nach Absolvierung einer Rechtshörerschaft derzeit den
neuen postgradualen Universitätslehrgang „Behörden- und Gerichtsdolmetschen“ an
der Universität Wien.
Dr. Oliver Scheiber
ist Richter und Lehrbeauftragter in Wien; oliver.scheiber@univie.ac.at



[1] Wir haben uns
entschieden, das Projekt aus der Perspektive eines in das Projekt involvierten
Richters (Oliver Scheiber) und einer Projektteilnehmerin (Farzaneh
Vahedmonfared) darzustellen und diese beiden Perspektiven als solche explizit
zu machen und einander gegenüber zu stellen; bei jedem Unterkapitel wird
angegeben, wer von uns beiden das Kapitel geschrieben hat. Wir danken Nina
Eckstein und Ines Rössl für diese Anregung.
[2] So können zB ZahnärztInnen
in der Wiener Zahnmedizin mitarbeiten. Auch die Wiener Polizei beteiligte sich
frühzeitig an dem Projekt und setzt Flüchtlinge als Schülerlotsen ein.
[3] Bereits im Sommer
2015 hatten sich viele JustizmitarbeiterInnen in der Flüchtlingshilfe
engagiert. RichteramtsanwärterInnen halfen in der Rechtsberatung auf den
Bahnhöfen, einige nahmen Flüchtlinge zu Hause auf. Auch die offizielle
Justizebene wurde aktiv; einige Flüchtlingsfamilien fanden Quartier im
Justizbildungszentrum Schwechat.
[4] Der FSW erfasst die Berufe aller von ihm betreuten Menschen und
erreicht über seine Mailverteiler zahlreiche Betreuungseinrichtungen. Diese
machten die Infoveranstaltung unter den geflüchteten Menschen bekannt.
[5] Vgl auch Sterkl, Flüchtlinge in der Justiz,
derstandard.at, 16.10.2016,
http://derstandard.at/2000045921234/Fluechtlinge-in-der-Justiz-Scheidung-auf-Oesterreichisch
(4.3.2017).
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„Förderung der Zivilcourage gerichtlicher Organe auf allen Ebenen“ – Zeitgeschichte und Richterausbildung

Beitrag erschienen in der Festschrift für Winfried R. Garscha
(Zeithistoriker – Archivar – Aufklärer. Festschrift für Winfried R. Garscha, hrsg. v. Claudia
Kuretsidis-Haider und Christine Schindler im Auftrag des Dokumentationsarchivs des österreichischen
Widerstandes und der Zentralen österreichischen Foschungsstelle Nachkriegsjustiz, Wien 2017; bestellen)
Förderung der Zivilcourage gerichtlicher Organe auf allen Ebenen“ – Zeitgeschichte und Richterausbildung

Oliver Scheiber

Dieser Beitrag soll, dem Charakter einer
Festschrift entsprechend, die Leistungen Winfried R. Garschas würdigen. Bei der
thematischen Ausrichtung des Beitrags war die Überlegung ausschlaggebend, wofür
die Justiz Winfried Garscha am meisten Dank schuldet. Die Auswahl war nicht
einfach, denn Winfried Garscha stützt mehrere für die Justiz wichtige Projekte.
Da ist einmal die 1998 gegründete Zentrale österreichische Forschungsstelle
Nachkriegsjustiz zu nennen. Die Forschungsstelle steht für das Bekenntnis und
Bemühen der Justiz, die Vergangenheit aufzuarbeiten und sich ihr zu stellen.
Dasselbe gilt für die Mitwirkung Winfried Garschas an einer großen Zahl
zeitgeschichtlicher Veranstaltungen im Justizrahmen, viele davon innerhalb der
Reihe „Justiz und Zeitgeschichte“.
[1] Auch
die Nachstellung von historischen Gerichtsverfahren zählt dazu. Ein weiterer
wichtiger Bereich ist die Unterstützung Winfried Garschas bei der Suche nach
den letzten lebenden NS-Kriegsverbrechern. Hier muss die Justiz mit dem Vorwurf
leben, das Engagement und die Kompetenz von Winfried Garscha und seiner
KollegInnen nicht genutzt, ja gebremst zu haben. Der vierte große Bereich, in
dem Winfried Garscha für die Justiz Wichtiges geleistet hat, ist die
Grundausbildung der Richterinnen und Richter bzw. Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte. Da es sich hier um das am stärksten in die Zukunft weisende Feld
handelt, soll sich der nachfolgende Text damit beschäftigen. Denn es entspricht
dem Charakter des Jubilars, dass all seine Aktivitäten darauf hinauslaufen,
Zustände und Lebensverhältnisse zum Besseren zu verändern. Die Durchsicht der
Publikationen und Lehraufträge Winfried Garschas zeigt die fachliche Kompetenz und
Einbettung W. Garschas in die Wissenschaft. Zentrales Anliegen war dem Jubilar
wohl immer die Mitwirkung an möglichst vielen Projekten, die die Gesellschaft sensibilisieren,
informieren und verändern. Ich durfte mit Winfried Garscha in den letzten
Jahren vor allem im Bereich der Justizausbildung zusammenarbeiten, aber auch
bei Veranstaltungen und bei der Suche nach noch lebenden Kriegsverbrechern. Das
war auf der persönlichen wie fachlichen Ebene gleichermaßen gewinnbringend und
ich habe großen Respekt vor dem Qualitätsanspruch, den sich Winfried Garscha
bei allen Aktivitäten setzt und einhält. Dass er menschlich so geradlinig und
geerdet ist, dass er mit zunehmendem Alter nichts an Kreativität und
innovativer Energie einbüßt, unterscheidet Winfried Garscha von Anderen ebenso
wie sein feiner Humor.

1. Von der Auseinandersetzung
Bronner-Broda bis zum Fall Aula

Wie Deutschland stand auch Österreich
1945 vor dem Problem, das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung
sicherzustellen und gleichzeitig die aus der Zeit des Nationalsozialismus
schwer belasteten Personen von staatlichen Funktionen fernzuhalten. Dieses
Bemühen ist, wie sich heute sagen lässt, unzureichend gelungen. Erst vor
wenigen Jahren trat etwa ins Bewusstsein, dass der frühere Justizminister Otto
Tschadek
[2] sich
in der NS-Zeit einen Namen als Blutrichter gemacht hatte. Erst der derzeitige
Justizminister Brandstetter setzte dem Portrait Tschadeks in der Ahnengalerie
des Justizministeriums einen erklärenden Text bei
[3] – mehr
als 50 Jahre hatte das Bild dort unkommentiert seinen Ehrenplatz.
Bereits
in den 1960er-Jahren deckte der junge Journalist und spätere profil- und
Standard-Gründer Oscar Bronner auf, dass zahlreiche schwer belastete NS-Richter
nach wie vor Dienst in der Justiz der Zweiten Republik taten.
[4] Es
waren in erster Linie Strafrichter, die in den 1960er-Jahren weiterhin ihren
Dienst auf allen Ebenen der Justiz taten, aber auch leitende Beamte des
Justizministeriums. Bronner stellte einige dieser Personen in der Zeitschrift
forum namentlich vor, er führte ihre Verbrechen in der NS-Zeit und ihre
aktuelle Stellung in der Justiz an und forderte die Außerdienststellung der
Betroffenen. Der damalige Justizminister Broda replizierte in derselben Zeitschrift
und hielt an seiner generellen Haltung, man müsse bezüglich der NS-Vergangenheit
einen Schlussstrich ziehen, fest.
[5]
Während Deutschland in den 1960er-Jahren eine Lösung dahingehend fand,
belastete Richter frühzeitig zu pensionieren, verblieben belastete Richter in
Österreich im Dienst.
[6] Sie
prägten mit ihrer autoritären und menschenverachtenden Haltung die Strafjustiz
sehr lange, die Nachwirkungen dieses Weltbilds waren vor allem an den
Strafgerichten bis in die 1990er-Jahre spürbar. Nazi-Rülpser von Richtern waren
keine Seltenheit. Einer der maßgeblichen NS-Verbrecher Österreichs, Heinrich
Gross, konnte bis in die 1990er-Jahre als meistbeschäftigter Gerichtspsychiater
Österreichs im Wiener Straflandesgericht ein- und ausgehen.
Die Biographie des Heinrich Gross
war damals schon bekannt. Gross hatte im Nationalsozialismus am vielfachen Mord
an Kindern am Spiegelgrund in Wien mitgewirkt.
[7] Den vom ihm getöteten Kindern
entnahm er die Gehirne und baute auf dieser Gehirnsammlung seine Karriere in
der Nachkriegsmedizin und Nachkriegsjustiz auf. Er wurde Mitglied von BSA und
SPÖ, erhielt ein Boltzmann-Institut, das Goldene Verdienstzeichen der Republik,
wurde meistbeschäftigter Gerichtspsychiater des Landes und brachte in den
1970er-Jahren Friedrich Zawrel für Jahre mittels eines böswilligen Tricks ins
Gefängnis. Denselben Zawrel hatte der NS-Arzt Gross als Kind unter den Nazis
gefoltert.
Es ist nur mit einer autoritären Sozialisierung zu
erklären, dass eine jüngere Richtergeneration diesem unwürdigen Spektakel nicht
schon in den 1980er-Jahren ein Ende machte. Es bedurfte der ausdrücklichen
Weisung des damaligen Justizministers Michalek Ende der 1990er-Jahre, damit es
endlich zu einer Anklage gegen Gross kam – ein Zivilgericht hatte rund 15 Jahre
davor festgestellt, dass Gross ein Mörder war. Kurz gesagt, die Justiz war ein
Spiegelbild der österreichischen Nachkriegsgesellschaft. Der Einfluss der
früheren Nationalsozialisten wirkte weiter, die NS-Zeit war lange tabu. So
erwähnt die Österreichische Richtervereinigung in ihren Statuten die Zeit des
Nationalsozialismus (bis heute) mit keinem Wort. Erst die im Jahr 2005
gegründete Fachgruppe Grundrechte der Vereinigung, also eine Untersektion,  setzt sich in ihren Statuten mit dem
Nationalsozialismus auseinander. Dort
[8] heißt
es ua:
Die Arbeit der Fachgruppe erfolgt
wesentlich aus der Verantwortung, die sich für die österreichische Justiz aus
den Erfahrungen des Nationalsozialismus ergibt, insbesondere aus der
Erkenntnis, dass der Justizapparat die Verbrechen des Nationalsozialismus
gedeckt, ermöglicht und befördert hat. Ziel der Fachgruppe ist die
Verhinderung des Entstehens jedweder autoritärer Staatsform sowie das
Aufzeigen von autoritären Entwicklungen und Gefahren für den demokratischen
Rechtsstaat, sei es innerhalb oder außerhalb der Justiz. Dieses Ziel erfordert
insbesondere die Stärkung der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und die
Förderung der Zivilcourage gerichtlicher Organe auf allen Ebenen.

In den letzten zwanzig Jahren hat
sich Österreichs Umgang mit dem Nationalsozialismus verändert. Später als
andere Institutionen hat sich die Justiz der notwendigen Auseinandersetzung mit
dem Thema gestellt. Vor allem die Justizminister Broda, Michalek, Berger und
Brandstetter organisierten Symposien und Seminare unter dem Titel „Justiz und
Zeitgeschichte“. Der schon erwähnte Friedrich Zawrel trat vor rund fünfzehn
Jahren erstmals als Vortragender für die Justiz auf; er hat diese Funktion bis
zu seinem Tod im Jahr 2015 ausgeübt
[9] – unter anderem in einem seit 2009 bestehenden
zeitgeschichtlichen Ausbildungsmodul der Justiz, dem Curriculum
Justizgeschichte.
[10] Es geschah also vieles, um
innerhalb der Justiz eine Sensibilität und ein Bewusstsein für die Geschichte
zu entwickeln und darüber hinaus einen neuen Umgang mit Menschen vor Gericht
und in Haftanstalten zu entwickeln.
Diese Initiativen haben die Justiz
positiv verändert. Auch für KennerInnen der Justiz war es daher gleichermaßen
schocki
erend wie überraschend, als Anfang 2016 der so
genannte Fall Aula bekannt wurde. In einem Text der Zeitschrift
„Aula“ waren
KZ-Häftlinge als „Massenmörder“ und „Landplage“ bezeichnet worden. Die Grazer
Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren mit der Begründung ein, es sei
„nachvollziehbar“, dass die 1945 befreiten Häftlinge aus dem KZ Mauthausen eine
„Belästigung“ für die Bevölkerung darstellten. Außerdem hätten sich unter den
KZ-Häftlingen „Rechtsbrecher“ befunden.

2. Herausforderungen für die
Richterausbildung
Der Fall Aula zeigt, dass die
vielfältigen Bemühungen des Ausbildungssystems der Justiz noch lange nicht am
Ziel sind; und er machte deutlich, dass zeitgeschichtliche Seminare in der
Grundausbildung der Justiz notwendig sind – das Wissen um die NS-Verbrechensmaschinerie
ist nach Schule und Universität nicht im erforderlichen Ausmaß vorhanden. Die
Reaktion des Justizministeriums auf das Aula-Verfahren zeigte freilich auch die
positiven Veränderungen auf: der zuständige Sektionschef im Justizministerium
bezeichnete die Einstellungsbegründung als „grobe Fehlleistung“ und sprach von
einer „unsäglichen Diktion.“ Die Begründung sei „unfassbar und in sich
menschenverachtend.“
[11] Diese klare, öffentliche Schelte war für die
Justiz ein Novum. Nur wenige Wochen nach dem Bekanntwerden des Falls ordnete
Justizminister Brandstetter ein verpflichtendes zeitgeschichtliches Training
für alle künftigen RichterInnen und StaatsanwältInnen an. Es wurde eine
interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus JuristInnen und führenden HistorikerInnen
eingesetzt, die nach kurzen Beratungen zum Ergebnis kam, das bereits seit 2009 bestehende
Curriculum zu adaptieren und als obligatorischen Teil der Grundausbildung der
Justiz ab 2017 zu implemetieren. Vor der näheren Darstellung der Umsetzung
scheint ein Blick auf das Ausbildungssystem der Justiz zweckmäßig.
[12]
In
Österreich gibt es eine gemeinsame Ausbildung für Richterinnen und Richter und
Staatsanwältinnen und Staatsanwälten.
[13] Der
Wechsel zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht ist im Laufe des Berufslebens jederzeit
möglich. Die Grundausbildung dauert, einschließlich der so genannten
Gerichtspraxis, vier Jahre. Die RichteramtsanwärterInnen werden in dieser Zeit
verschiedenen Ausbildungsstationen (Gerichten, Staatsanwaltschaften, RechtsanwältInnen,
Justizanstalten, Opferschutzeinrichtungen) zugeteilt. Ergänzend zu diesem
training on the job gibt es laufende und in Blockform organisierte Kurse. Diese
Kurse haben überwiegend juristische Kernfächer zum Thema, es gibt aber auch
einzelne Seminare zu Themen wie „Recht und Sprache“ oder
Antirassismustrainings. Die vierjährige Ausbildung schließt mit der
Richteramtsprüfung ab.
Organisatorisch
geschieht die Aus- und Fortbildung der Richterinnen und Richter bzw
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in einem Zusammenspiel von
Justizministerium, Richtervereinigung und den vier Oberlandesgerichten in Wien,
Linz, Graz und Innsbruck. Bis in die 1990er-Jahre wurde die gesamte Aus- und
Fortbildung nahezu ausschließlich von Richterinnen und Richtern gestaltet. Erst
in den 1990er-Jahren erfolgte auf Betreiben der damals zuständigen Abteilungsleiterin
des Justizministeriums Constanze Kren die Öffnung zu externen Vortragenden.
Heute ist die Einbindung externer ExpertInnen zum selbstverständlichen Standard
geworden. Was das quantitative und qualitative Fortbildungsangebot betrifft, so
ist Österreichs System im internationalen Vergleich herzeigbar. Ein klares
Defizit und Erschwernis zur Herausbildung insbesondere didaktischer Standards
liegt im Fehlen einer zentralen Ausbildungsakademie, wie sie nahezu alle
EU-Staaten kennen. Dieses Manko erschwert die Bündelung von Kompetenzen und die
Entwicklung didaktischer Standards,
interdisziplinärer
Ausbildungsmodule und
einheitlicher Strategien in der Aus- und Fortbildung.
An einer zentralen Akademie liessen sich Kurse in Zusammenarbeit
mit Hochschulen, Polizeiakademien und anderen staatlichen und nichtstaatlichen
Einrichtungen sowie der Austausch mit anderen Disziplinen (Medizin, Soziologie,
Sprachwissenschaft, Kommunikationswissenschaft) einfacher umsetzen.
[14]
Die
Aus- und Fortbildung der Justiz ist in den vergangenen zehn Jahren zu einem
wichtigen Bereich der europäischen Justizpolitik geworden. Sowohl der Europarat
als auch die Europäische Union beschäftigen sich in enger Zusammenarbeit mit
der Ausbildung der Richterschaft.
[15] Dabei
ist es auf europäischer Ebene Konsens, dass die juristisch-technische
Ausbildung an den Universitäten stattfindet, sodass die Grundausbildung der
Justiz einen Schwerpunkt auf die Persönlichkeitsbildung und den Erwerb
wichtigen Wissens aus Nachbardisziplinen zu legen hat. Grundkenntnisse aus
Medizin, Psychologie oder Soziologie sind für RichterInnen unabdingbar. Auf
europäischer Ebene wird danach gestrebt,
dass RichterInnen und StaatsanwältInnen menschengerecht
agieren; eine ihrer zentralen Fähigkeiten muss jene zum Zuhören sein.
Die
traditionsreiche französische
Richterakademie Ecole Nationale de la Magistrature (ENM)[16] etwa
bekennt sich zu einem
neuen Humanismus, dem die moderne Justiz verpflichtet sei.
Justiza
kademien
jüngerer Demokratien wie etwa jene Rumäniens folgen einem ähnlichen Ansatz.[17] Zudem gibt es einen Trend dahin, RichterInnen und StaatsanwältInnen zu
Fortbildungen zu verpflichten. In der Richterschaft wurde dies auf Grund eines
falschen Verständnisses richterlicher Unabhängigkeit lange abgelehnt.
3. Das
Curriculum Justizgeschichte
Über Auftrag des Justizministerium erarbeitete
2009 ein interdisziplinäres Team
[18] ein Ausbildungsmodul zur Zeitgeschichte für die
Grundausbildung der Justiz. Diese „Curriculum Justizgeschichte“ genannte
Ausbildung besteht aus zwei Teilen zu je drei Tagen. Inhaltlich setzen sich die
Ausbildungseinheiten mit der Justizgeschichte ab dem 19.
Јаhrhundert auseinander. Die Zeit
des Nationalsozialismus und die Ahndung der Verbrechen dieser Zeit bilden zwar
einen Schwerpunkt der Seminare, die Inhalte umfassen aber etwa auch die
Geschichte der Laienbeteiligung, die Wandlung des Familienrechts, die reformintensiven
1970er-Jahre oder die Geschichte der RichterInnenausbildung und des
Weisungsrechts. Didaktisch setzen die
Seminare sowohl auf Vortragsformen als auch auf Diskussionen, Gruppenarbeiten
und Exkursionen. Zentral sind der interdisziplinäre Ansatz sowie die Einbindung
von Zeitzeugen und der Besuch von Gedenkstätten, etwa Am Spiegelgrund in Wien
oder in Mauthausen. Das Curriculum Justizgeschichte wurde seit 2009 insgesamt
vier Mal angeboten. Auf freiwilliger Basis haben bisher rund 120
RichteramtsanwärterInnen teilgenommen.
[19]
Ab dem Jahr 2017 sollen nun alle
künftigen RichterInnen und StaatsanwältInnen dieses Ausbildungsmodul
verpflichtend besuchen.
[20] Die
vorgenommenen Änderungen am Curriculum sind vor allem organisatorischer Natur
und betreffen die künftig größere Teilnehmerzahl.
[21] Der
breite Ansatz, der etwa Filme und Theaterbesuche in das Seminar integriert,
soll beibehalten werden. Zudem wurde Raum für mehr Flexibilität vorgesehen, der
das Eingehen auf aktuelle Geschehnisse ermöglicht. Es erscheint etwa sinnvoll,
aktuelle Vorgänge wie Fluchtbewegungen und alle damit verbundenen
Herausforderungen in einen geschichtlichen Kontext zu stellen. Wie war das mit
den diversen Flüchtlingsströmen in Europa im 20. Jahrhundert – was kann eine
Gesellschaft, ein Justizsystem aus den historischen Erfahrungen lernen?
Es liegt in der Natur der Sache, dass
sich der Erfolg einer solchen Ausbildung nicht messen lässt. Für das Curriculum
Justizgeschichte gilt dasselbe wie für die ebenfalls vor mehr als zehn Jahren
eingeführten Managementlehrgänge in der Justiz: es ist zu erwarten, dass sie
der Justiz mittelfristig neue Zugänge ermöglichen, Wissen schaffen, für ihr
Thema sensibilisieren und so zu spürbaren Qualitätssteigerungen im Alltag der
Gerichte und Staatsanwaltschaften führen. Schon heute gebührt Winfried Garscha
und der Herausgeberin dieses Bandes Claudia Kuretsidis-Haider von Seiten der
Justiz großer Dank dafür, dass sie dieses Curriculum so wie andere Projekte im
Justizbereich gemeinsam tragen und vorantreiben.



[1]    Garscha, Winfried, Zeit- und Rechtsgeschichte – neue Trends eines
Dialogs mit Tradition, in: Walter Pilgermair (Hrsg.), Wandel in der Justiz,
Wien 2013.
[2]    Tschadek war von 1949-1952 und von 1956-1960
österreichischer Justizminister. Zu Tschadeks Biographie vgl Thomas Geldmacher,
Der gute Mensch von Kiel? Marinerichter Otto Tschadek (1904-1969), in:
Thomas Geldmacher, Hannes Metzler, Magnus Koch, Peter
Pirker, Lisa Rettl (Hg.), »Da machen
wir nicht mehr mit …«
Österreichische Soldaten und Zivilisten vor
Gerichten der Wehrmacht, Mandelbaum Verlag (2010); auch online verfügbar:

http://deserteursdenkmal.at/wordpress/wp-content/uploads/2014/09/Thomas-Geldmacher-Der-gute-Mensch-von-Kiel.pdf
(Stand: 16.10.2016).
[3] Brandstetter fordert Erinnerungskultur der Justiz, Online- Standard
vom 20.1.2016, http://derstandard.at/2000029370409/Brandstetter-fordert-Erinnerungskultur-der-Justiz-ein
(Stand: 16.10.2016).
[4]    Bronner, Oscar: Die Richter sind unter uns. –
Wien: Forum, 1. Sonderheft Herbst 1965; Bronner, Oscar: Die Richter bleiben
unter uns. Forum, November 1965, S. 491ff.
[5]   Broda, Christian: Die
Republik hat einen Schlußstrich gezogen. Was1945 recht war, muss 1965 billig
sein. Forum 1965, 570ff.
[6]    Eine 2016 vom deutschen Bundesjustizminister
präsentierte Studie zeigt aber auch für Deutschland ein schreckliches Bild:
1957 waren 77% der leitenden Beamten des deutschen Bundesjustizministeriums
frühere NSDAP-Mitglieder. Vgl Manfred Görtemaker / Christoph Safferling, Die
Akte Rosenburg Das
Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit (2016), C.H.Beck; auch online
verfügbar: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Akte_Rosenburg.pdf?__blob=publicationFile&v=7
(Stand: 16.10.2016).
[7]   Oliver
Lehmann, Traudl Schmidt: In den Fängen des Dr. Gross. Das misshandelte Leben
des
Friedrich Zawrel.
Czernin, Wien 2001.
[9]    Zu Friedrich Zawrels Biographie, insbesondere
auch seiner Rehabilitierung vgl: Werner Vogt, Die Wahrheit hinter 16 Lügen, Die
Presse Printausgabe vom 18.5.2013 (http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/1403710/Die-Wahrheit-hinter-16-Lugen,
Stand: 16.10.2013), und Werner Vogt, Wer die Täter enttarnt, Die Presse
Printausgabe vom 18.4.2015 (http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/4711222/Wer-die-Taeter-enttarnt,
Stand: 16.10.2016).
[10] Friedrich Zawrel ist am
20.2.2015 verstorben. Justizminister Brandstetter hat Zawrel bei der
Trauerfeier gewürdigt. Dem Justizkritiker Werner Vogt hat Brandstetter im
September 2015 das Goldene Verdienstzeichen der Republik überreicht. Die
Aufführung des Nestroy-Preis-gekrönten Theaterstücks von Nikolaus Habjan über
die Lebenswege von Zawrel und Gross im Justizministerium hatte Zawrel gerade
noch erlebt.
[11] Verfahren gegen „Aula“: Einstellung laut Ministerium „unfassbar“,
Online-Standard vom 8.2.2016,
http://derstandard.at/2000030576146/Aula-Verfahren-Ministerium-haelt-Einstellung-fuer-unfassbar-und-verharmlosend, Stand: 16.10.2016. Vgl auch die
Beantwortung der parlamentarischen Anfrage 7910/J-NR/2016 betreffend die
Einstellungsbegründung durch die Staatsanwaltschaft Graz durch Justizminister
Brandstetter: 7633/AB, XXV. GP,
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_07633/imfname_520561.pdf (Stand
16.10.2016).
[12] Vgl auch Mayr, Peter G.:
Richterausbildung in der Zweiten Republik, in: Kohl/Reiter-Zatloukal (Hrsg.),
RichterInnen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Auswahl, Ausbildung
Fortbildung und Berufslaufbahn, Wien 2014, 211f.
[13] Diese Ausführungen beziehen sich nur auf die
Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, die organisatorisch dem Justizministerium
untersteht. Die Auswahl der RichterInnen der noch jungen Verwaltungsgerichte
folgt anderen Regelungen, eine Richterausbildung im engeren Sinn ist bei den
Verwaltungsgerichten nicht vorgesehen.
[14] Oliver Scheiber, Braucht Österreich eine
Richterakademie?, juridkum Heft 4/2002, Seite 186ff.
[15] Einen Einblick in die Arbeiten zur Abstimmung der Ausbildung der
Rechtsberufe bieten die Internetseiten des EJTN (European Judicial Training
Network), das sich im EU-Rahmen dem Thema widmet (http://www.ejtn.eu, Stand: 16.10.2016),
sowie jene von HELP, einem Programm des Europarats zur Grundrechteschulung der
Rechtsberufe
[16] http://www.enm.justice.fr/?q=Presentation-ENM
(Stand: 16.10.2016).
[17] Das Institutul National al
Magistraturii (INM) verfügt über ein inhaltlich und didaktisch beachtliches
Konzept der RichterInnenausbildung (http://www.inm-lex.ro/index.php, Stand
16.10.2016).
[18] Winfried R. Garscha, Claudia
Kuretsidis-Haider, Oliver Scheiber.
[19] Vertiefend zum Curriculum vgl. Grünstäudl,
Georg: Reforming Training for Austrian Judges. Is a compulsory Teaching unit in
Legal History an “extravagant luxury”? fhi – forum historiae iuris, o7/2016,
http://www.forhistiur.de/en/2016-07-grunstaudl/
(Stand: 9.10.2016) sowie
Grünstäudl Georg, Was sollen
RichterInnen aus welcher Geschichte lernen? Das Curriculum Justizgeschichte in
der österreichischen Richterausbildung (erscheint im Frühjahr 2017).
[20]  Fall
„Aula“: Richter und Staatsanwälte müssen „Justizgeschichte“ lernen,
Online-Standard vom 11.3.2016,
http://derstandard.at/2000032745846/Causa-Aula-Brandstetter-zieht-Konsequenzen-bei-Ausbildung
(Stand: 16.10.2016).
[21] Die Zahl der Personen, die sich als RichteramtsanwärterInnen in der
Grundausbildung zum Richterberuf befinden, schwankte zuletzt zwischen 150 und
200 österreichweit.
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Tiroler Justizwerkstätte 2016 – Bericht

Verständlichkeit,
Menschen mit Sehbehinderung im Richteramt und Schiedsgerichte: die großen
Themen der Tiroler Justizwerkstätte 2016
Oliver Scheiber – Beitrag für Österreichische Richterzeitung 6/2017 (s. 124-127)
______
Ich widme diesen Beitrag Florian Menz, der zu dieser Tagung im Herbst 2016 einen so wertvollen Beitrag geleistet hat. Florian Menz ist im Sommer 2017 verstorben.
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Auf
einen Blick:
Ein Justizseminar in
Innsbruck liefert einige konkrete Anregungen für die gerichtliche Praxis: so
können sich Richterinnen und Richter eigene Schiedsverfahren innerhalb der
Justiz vorstellen. Auch handelsgerichtliche Verfahren in englischer Sprache
wurden angedacht. Um die Justiz bürgernäher zu machen, sollte mehr an mündlicher
Erklärung und Information geboten werden – zu viele Menschen kommen mit
schriftlichen Ausfertigungen und Informationen nicht zu Recht. Schließlich
konnten Bedenken gegen den Einsatz sehbehinderter Menschen ausgeräumt werden –
am Bundesverwaltungsgericht sind bereits zwei blinde Richter tätig.  
Der Präsident des OLG Innsbruck hatte
für Anfang Oktober 2016 erstmals zur Tiroler Justizwerkstätte nach Innsbruck
eingeladen.[1]
Das Seminar schließt an die früheren „Kirchberger Gespräche“ an und will
justiz- und gesellschaftspolitische Fragen in einer offenen Form erörtern. Rund
25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Österreich waren im frisch
renovierten Seehof zusammengekommen, um drei aktuelle Schwerpunktthemen im ansprechenden
Ambiente der Hungerburg oberhalb von Innsbruck
zu diskutieren: Sprache und Verständlichkeit, Menschen mit Sehbehinderung im
Richteramt und Schiedsgerichte. Die Diskussionsfreude der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer und die hochwertigen Vortragenden bescherten drei kurzweilige,
lebhafte Seminartage – allen Beteiligten sei dafür sehr herzlich gedankt.[2] Im Sinne der
Nachhaltigkeit des Seminars soll im Folgenden versucht werden, einige
Schlussfolgerungen zu den drei großen Themenbereichen festzuhalten.
Den Fachthemen voran ging ein
abendlicher Eröffnungsvortrag von Angelika Hager, Leiterin des
Gesellschaftsressorts der Zeitschrift profil, Kolumnistin (Polly Adler) und Festivalintendantin. Hager beschäftigte sich
hauptsächlich mit Fragen der Familiengerichtsbarkeit, häuslicher Gewalt und der
Beiziehung von Sachverständigen. Sie wies u.a. darauf hin, dass nach ihrer
Erfahrung der Gewaltschutz nur dann gut funktioniere, wenn auch der
weggewiesene Partner, also in der Regel der Mann, sowohl eine Wohnmöglichkeit
als auch eine Therapieauflage erhält.
Sprache
und Verständlichkeit in der Rechtsprechung
Das erste Schwerpunktthema der Tagung
lautete „Sprache und Verständlichkeit in der Rechtsprechung“. Es wurde aus der
Sicht der Medien und der Öffentlichkeit von Peter Resetarits, selbst Jurist und
langjähriger Gestalter von Fernsehmagazinen mit Justizbezug (Schauplatz
Gericht) sowie von Bürgerforen, vom Sprachwissenschaftler Florian Menz sowie
vom Hofrat des Verwaltungsgerichtshofs Hans-Peter Lehofer beleuchtet.
Resetarits fokussierte einerseits auf die Medienarbeit der Justiz. Diese sei in
den letzten Jahren deutlich professioneller geworden. Man müsse sich aus seiner
Sicht aber ständig bewusst sein, dass juristische Themen für eine breite
Öffentlichkeit auf eine Alltagssprache heruntergebrochen werden müssen. Zum
anderen beschäftigte sich Resetarits mit der Sprache im Gerichtssaal. Er
berichtete von einer Exkursion mit Studierenden zu einer Zivilverhandlung über
einen Erbschaftsstreit. Die Verhandlungssprache sei derart von Fachtermini
dominiert gewesen, dass aus der über 20-köpfigen Gruppe von Studierenden keine
einzige Person am Ende erklären konnte, worum es in der Verhandlung gegangen
sei. Resetarits appellierte daran, in Verhandlungen öfter allgemein
verständliche Einführungen oder Zusammenfassungen einzubauen.
Der Sprachwissenschaftler Florian Menz betonte,
dass nach Forschungsergebnissen die Sprache der Justiz auf bestimmte männliche
Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sei. Großen Bevölkerungsgruppen, darunter stärker
vertreten Frauen, Menschen mit niedriger Bildung, MigrantInnen und älteren
Menschen sei die Sprache der Justiz dagegen in unterschiedlich hohem Ausmaß
fremd. Die Untersuchung von Urteilen etwa zeige, dass  diese sich vor allem an die
Rechtsmittelinstanz, also an die Institution Justiz selbst, richteten. Aus der
Logik des Systems sei das damit erklärbar, dass der das Urteil schreibende
Richter primär das Bestehen des Urteils vor der Rechtsmittelinstanz im Auge habe.
Der nicht juristisch gebildete Durchschnittsbürger sei möglicherweise die
gewünschte, jedoch nicht die tatsächliche Zielgruppe gerichtlicher
Schriftstücke, wenn man die Textgestaltung analysiere.[3]
Schließlich wies Menz darauf hin, dass
rund 40% der Bevölkerung in Österreich als funktionale Analphabeten zu
qualifizieren sind, das heißt, die schriftlichen Texte der Justiz sind dieser
großen Gruppe von Menschen grundsätzlich nicht zugänglich. Auch wenn sich die
Verständlichkeit vieler juristischer Texte deutlich verbessern lasse, so kommt
diese Verbesserung der Verständlichkeit wiederum nur einer kleineren Gruppe von
ohnedies vergleichsweise gut gebildeten Menschen zugute. Von der großen Gruppe
nicht so gut gebildeter Menschen kann man dagegen auch mit einfacher
abgefassten Texten nicht allzu viele erreichen.
Daher müssten vermehrt andere Formen und Medien der Informationsvermittlung eingesetzt werden.
Hans Peter Lehofer erwähnte in seinem
Referat zunächst Verständlichkeitsindizes[4] und wies dann darauf hin,
dass die Gesetzeslage die Richterinnen und Richter sehr nachhaltig zur
Verständlichkeit verpflichte. § 53 Abs 2 Geo verlange, „dass das Verkündete von
den Beteiligten verstanden wird. Die Ausdrucksweise des Gerichts sei kurz und
klar“. § 53 Abs 3 Geo sehe für schriftliche Erledigungen vor: „Die Erledigung
muss verständlich sein“.
Ähnliche Bestimmungen enthalte das – von den Verwaltungsgerichten zu beachtende –
AVG in seinem § 60 („In der Begründung sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung
maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage
klar und übersichtlich zusammenzufassen“).
Als positive Beispiele bzw.
Orientierungshilfen erwähnte Lehofer den Leitfaden des Innsbrucker Magistrats „Innsbruck
spricht auf Augenhöhe“.[5] Er regte an, in
schriftlichen Erledigungen Zusammenfassungen in verständlichen Worten
vorzusehen.
Für die Justiz ergeben sich aus der
Überschneidung der drei Referate folgende Gedanken:
1)  Es bestehen bereits
jetzt gesetzliche Verpflichtungen der Gerichte, sowohl in Verhandlungen als   auch in schriftlichen Erledigungen eine
verständliche Sprache zu verwenden.
2) Nahezu
die Hälfte der Bevölkerung verfügt über so erhebliche Leseschwächen, dass sie
mit Erledigungen der Gerichte, auch wenn diese in einfacher Sprache abgefasst
sind, nicht viel anfangen kann.
3) Es
empfiehlt sich, sowohl in mündlichen Verhandlungen als auch in schriftlichen Erledigungen (Urteilen),
Zusammenfassungen in leicht verständlicher Sprache einzufügen.
4) Schreibwerkstätten sind ein
sinnvolles Fortbildungstool.
5) In Bemühungen um eine einfachere
juristische Sprache müssten die juridischen Fakultäten eingebunden werden.
5) Ziel
der Justiz muss es sein, dass ihre Arbeit von den Menschen verstanden wird. Die
Probleme mit der Verständlichkeit schriftlicher Erledigungen legen nahe, in
wichtigen Angelegenheiten den Verfahrensparteien die wesentlichen Aufträge,
Verfahrensschritte und Entscheidungen in mündlicher Form zu erklären.

Menschen
mit Sehbehinderung im Richteramt
Zweites Schwerpunktthema der Tagung war
die Beschäftigung von Menschen mit Sehbehinderung im Richteramt. Reinhard
Klaushofer (Universität Salzburg) stellte eingangs die Vorgaben der
UN-Behindertenrechtskonvention vor, die eine Verpflichtung enthält, Menschen
mit Behinderung durch Zurverfügungstellung von Assistenz und technischen
Hilfsmitteln weitgehende Berufszugänge zu eröffnen. Die deutsche Anwältin
Pamela Pabst, von Geburt an blind, schilderte ihre Berufslaufbahn und die Art
und Weise, wie sie den Beruf ausübt.[6] Sie arbeitet ebenso wie
der weitere sehbehinderte Referent, der Richter des Bundesverwaltungsgerichts
Mag. Gerhard Höllerer, mit persönlichen Assistenten. Höllerer erläuterte auch
heutige modernste technische Hilfsmittel. Über einen PC mit Hörausgabe etwa
lassen sich Textdokumente, e-mails etc. rasch aufnehmen. Höllerer berichtete,
dass er am Bundesverwaltungsgericht zu den Richtern mit der höchsten
Arbeitsbelastung und der höchsten Zahl ausgefertigter Entscheidungen zähle.
Deutschland kennt seit Jahrzehnten
blinde Personen im Richteramt. Derzeit gibt es in Deutschland rund 50 bis 60
blinde Richterinnen und Richter im Aktiv- und Ruhestand. Eingesetzt sind sie in
allen Sparten der Gerichtsbarkeit mit Ausnahme des Strafrechts. Eine ältere
Entscheidung des BGH lehnt den Einsatz blinder RichterInnen in
strafgerichtlichen Hauptverhandlungen ab. Laut Pamela Pabst wird in
Juristenkreisen in Deutschland die Ansicht vertreten, dass man heute nicht mehr
so entscheiden würde, zumal sich ja Zivil- und Strafverfahren bezüglich
Beweiswürdigung und richterlicher Verhandlungsführung nicht wesentlich
unterscheiden. Allerdings bedürfe es eines Anlassfalls, um eine neue
Leitentscheidung und Korrektur der BGH-Rechtsprechung herbeizuführen. In
Österreich wurde die früher vorherrschende Ablehnung blinder RichterInnen durch
eine Enquete in Wien 2013 und die folgende Ernennung blinder Richter zum
Bundesverwaltungsgericht aufgebrochen. Bei der Tagung in Innsbruck schien es
so, dass Bedenken gegen blinde Richterinnen und Richter weitgehend ausgeräumt
sind. Die zunehmende Digitalisierung des Gerichtsverfahrens kommt blinden Personen
entgegen, bei der Umstellung auf den elektronischen Akt kann die
Barrierefreiheit mitgeplant werden.
Die Ergebnisse des Seminartags lassen
sich so formulieren:
1) Blinde
Juristinnen und Juristen sind in anderen Ländern, etwa Frankreich und Deutschland,
    seit langem im Justizdienst tätig.
Aufgrund der vergleichsweise geringen Zahl von blinden Absolventinnen an
juridischen Fakultäten ist, zieht man das deutsche Beispiel heran, für
Österreich ohnedies mit einer sehr geringen Anzahl an blinden Bewerberinnen und
Bewerbern für das Richteramt zu rechnen.
2) Seit
der Arbeitsaufnahme des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2014 sind dort zwei blinde Richter tätig.
3) Blinde
Richterinnen und Richter haben einen Anspruch auf persönliche Assistenz. Die
persönlichen Assistenten sowie besondere technische Ausstattung werden aus
Geldern des Sozialministeriums bezahlt, belasten das Justizbudget also nicht.
Schiedsgerichtsbarkeit
Der letzte Seminartag war dem
Schwerpunktthema Schiedsverfahren gewidmet. Durch die aktuellen politischen
Diskussionen um die Schiedsgerichte im CETA-Abkommen hatte das Thema besondere
Aktualität. Der Publizist Christian Felber referierte über die
Schiedsgerichtsbarkeit im Rahmen von TTIP und CETA. Er stellte im Rahmen
seines Vortrags auch die von ihm entwickelte Gemeinwohl-Ökonomie. Felber argumentierte,
dass sich eine Bevorzugung der internationalen Konzerne gegenüber allen anderen
Rechtsobjekten und Staaten dadurch ergeben habe, dass man
Unternehmensstreitigkeiten im Zusammenhang mit internationalen Konzernen aus
dem UN-Rechtsrahmen herausgelöst habe. Sündenfall sei laut Felber gewesen, dass
das internationale Freihandelsabkommen GATT und die WTO außerhalb des
UN-Rahmens angesiedelt worden seien. Damit wären die internationalen Konzerne
von den Verpflichtungen zu Menschenrechten, Klimaschutz usw. entbunden worden.
Der Freihandel sei nun ohne Rücksichtnahme auf Menschenrechte, Umwelt- und
Klimaschutz rechtlich gewährleistet. Noch 1964 seien die Rahmenbedingungen
sinnvoll gewesen, die 1964 gegründete UNCTAD habe 133 Staaten umfasst und der
Freihandel sei damals unter den Rahmenbedingungen der nachhaltigen Entwicklung
als bloßes Mittel zum Zweck definiert gewesen.[7]
Das internationale Schiedsgericht,
ICSID, bestehe seit 1966 als Gericht für Konzernklagen gegen Staaten, seine
Fallzahlen seien aber erst in den 1990er-Jahren stark angestiegen. Rund 80%
aller Klagen würden von Investoren gegen Staaten erhoben und dies auf der
Grundlage von insgesamt 3.000 bilateralen Abkommen. 85% der Klagen vor dem
ICSID würden von Klägern aus Industriestaaten erhoben, auf Beklagtenseite
würden zu 75% Entwicklungsstaaten stehen.
Die Verfahren vor dem ICSID sind nicht
öffentlich. Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Konzernen, die ganz
grundsätzliche Fragen betreffen, würden oft nur durch Indiskretionen bekannt
werden. So habe etwa ein Konzern den Staat Südafrika wegen der black
empowerment-Gesetze geklagt. Verschärft werde das Problem dadurch, dass Klagen
vor dem ICSID von monopolisierten Prozessfinanzierern für die Staaten geführt
würden. Die bekanntesten Prozessfinazierer sind Burford und Melvyn Seidel. Nun
sei auch noch geplant, Derivate, also Wettgeschäfte betreffend diese vor dem
ICSID geführten Prozesse, einzuführen.
Der Innsbrucker Rechtsanwalt und
Universitätsprofessor Hubertus Schumacher referierte zur Praxis nationaler
Schiedsgerichte und wies auf die zunehmende Bedeutung der
Schiedsgerichtsbarkeit hin, die Bedürfnissen der Wirtschaft entgegenkomme. Aus
Sicht der Wirtschaft seien die Regelungen des gerichtlichen Zivilverfahrens zu
starr. Unternehmen würden sich oft mit einer einzigen Entscheidungsinstanz
zufrieden geben – die Schnelligkeit des Verfahrens und eine unkomplizierte
Protokollierung stünden für sie im Vordergrund. Die Wirtschaft schätze zudem
die Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens, begründet mit der Wahrung von
Geschäftsgeheimnissen, aber auch mit privaten und familiären Problemen, die
nicht öffentlich werden sollen.
Schumacher hob hervor, dass es üblich
sei, dass der Schiedsrichter vor dem ersten persönlichen Verhandlungstermin
bereits Telefonkonferenzen mit den Beteiligten abhalte. Diese
Telefonkonferenzen würden die Atmosphäre sehr entkrampfen und das erste
persönliche Zusammentreffen vor dem Schiedsgericht laufe häufig entspannter und
konsensorientierter ab als vor Gericht. Eine große Stärke der
Schiedsgerichtsbarkeit sei die Protokollführung, die üblicherweise mittels
court reporter erfolge. Der Richter muss also nicht diktieren, ein
Privatunternehmen protokolliere mittels modernster Technik, das Protokoll werde
am selben Tag geliefert. Die Kosten des privaten Protokolldienstes lägen bei
EUR 5.000,-/Tag. Schließlich würden die Verfahren oft in englischer Sprache
abgewickelt.
Anhand dreier Fallbeispiele führte Schumacher
aus, dass die Schiedsverfahren häufig billiger wären als Gerichtsverfahren. Bei
einem Streitwert von 50 Millionen Euro bewege sich die Pauschalgebühr bei
Gericht für drei Instanzen um die EUR 2,7 Millionen; ein Schiedsverfahren koste
nur rund EUR 700.000,-.
Abschließend erwähnte Schumacher das so genannte
„Zürcher Modell“ in Handelssachen. Bei sehr großen Unternehmensstreitigkeiten
wurde im Zürcher Gerichtssprengel ein neues Verhandlungsmodell geschaffen.
Dabei gibt es zu jedem Verfahren einen Vortermin, zu dem zwei Richter,
fallweise auch ein Sachverständiger und die beiden CEOs zu einem
Vergleichsgespräch zusammenkommen, für das man sich den ganzen Tag frei hält. Bei
großen Unternehmensstreitigkeiten erreicht dieser Vortermin mittlerweile eine
Vergleichsquote von 60 %.
Aus Vorträgen und Diskussion ergaben
sich folgende konkrete Überlegungen zur Schiedsgerichtsbarkeit:
1) Die
Justiz könnte einzelne Elemente, die Schiedsverfahren attraktiv machen, für
sich    übernehmen: So etwa die Beiziehung
privater Schreibdienste, die die Protokollerstellung am selben Tag gewährleisten. Viele Unternehmen wären wohl
bereit, die Kosten dafür zu tragen.
2) Die
Justiz könnte eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit anzubieten – die Parteien
würden etwa aus einer Liste geeigneter RichterInnen die SchiedsrichterInnen
auswählen.
3) In
der Wirtschaft besteht ein Bedarf nach englischsprachigen Schiedsgerichten auch
am Standort Österreich. Auch hier ist für die Justiz zu überlegen, ob man nicht
Verfahren in englischer Sprache, sei es im ordentlichen handelsgerichtlichen
Verfahren oder im Wege eines Schiedsverfahrens, anbieten möchte. Es könnten zB
englischsprachige Spruchkörper innerhalb aller Instanzen eíngerichtet werden.
4) Die Pauschalgebühr sollte nach oben
gedeckelt werden.
5) Die Einrichtung so genannter fast-track-Verfahren
ist anzudenken.
6) Bedenken bestehen dagegen, justizielle
Verfahren nicht öffentlich abzuhandeln. Die Öffentlichkeit wurde von den
SeminarteilnehmerInnen mehrheitlich als zentrales Element jedes
staatlich-gerichtlichen Verfahrens gesehen.



[1] Tiroler
Justizwerkstätte 2016: Justiz ohne Grenzen – Grenzen der Justiz –
Grenzbereiche: Fortbildungsveranstaltung des Präsidenten des OLG Innsbruck vom
2.-5.10.2016.
[2] Darüber
hinaus
möchte ich dem Präsidenten des OLG Innsbruck Klaus
Schröder, dem Vizepräsidenten des OLG Innsbruck Wigbert Zimmermann und dem
Leiter der Fortbildung des OLG Innsbruck Klaus-Dieter Gosch für die Einladung
zur Mitgestaltung des Seminars und die freundschaftliche und anregende
Zusammenarbeit herzlich danken.
[3] Vgl. ua. Menz, Florian / Strouhal, Ernst (1985):
Sprechen Sie Amtsdeutsch? Zur Reform bürokratischer Sprache durch
Schulungskonzepte für Beamte. Wiener Linguistische Gazette 35 36: 57 73; Wodak,
Ruth/Menz, Florian/Lalouschek, Johanna (1989): Sprachbarrieren. Die
Verständigungskrise der Gesellschaft. Wien: Edition Atelier; Wodak, Ruth:

Bürgernahe Gesetzestexte in Niederösterreich. Wien, Niederösterreichische
Landesregierung, 1983 (mit H.Blüml, E.Huk, V.Krammer, V.Liehr, H.Ott,
O.Pfeiffer, H.Salaun und L.Staudigl); Wodak, Ruth: Bürgernahe Gesetzestexte.
In: H. Neisser/C.Frieser (Hsg.): Hilflos im Paragraphendschungel, Wien: Verlag
Medien und Recht, 1992, 69-78.
[4]
Zu Verständlichkeit/Lesbarkeitsindizes:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lesbarkeitsindex
und zu SMOG (Single Measure of Gobbledygook)
https://en.wikipedia.org/wiki/SMOG
(Stand 3.11.2016).
[5]
„Innsbruck spricht auf Augenhöhe“ (Leitfaden) –
https://www.ibkinfo.at/ibk-spricht
(Stand 3.11.2016).
[6]
Biographie: Pamela Pabst – Ich sehe das, was ihr nicht
seht, Hanser Berlin (2014)
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/ich-sehe-das-was-ihr-nicht-seht/978-3-446-24505-1/ (Stand: 3.11.2016).
[7]
Felber spannte einen Bogen zu Aristoteles, der die Dichotomie zwischen Ökonomie
und Chrematistik herausgearbeitet habe. Ökonomie habe im Modell des Aristoteles
das „gute Leben für alle“ bedeutet, während die Chrematistik das Gegenmodell
bezeichnet, in dem die Ökonomie pervertiert und Geld Selbstzweck und nicht
Mittel zum Zweck ist. In Felbers System ist der heutige Kapitalismus zum
Synonym für die Chrematistik geworden.
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