Alle Beiträge von Oliver Scheiber

Lido dei Ciclopi: neue Antimafia-Strategien im Schatten des Ätna

Die Liste der ermordeten italienischen Richter und Staatsanwälte ist lang. 20 Jahre ist es her, dass der Richter und Staatsanwalt Giovanni Falcone von der Mafia getötet wurde. Seine Ermordung bedeutete einen Wendepunkt: die Mafia verlor endgültig jeden Rückhalt in der Bevölkerung. Das organisierte Verbrechen existiert weiter – Catania ist eine seiner Hochburgen.

Im Justizpalast von Catania hängen viele Bilder von Giovanni Falcone. Für die im Justizpalast untergebrachte  Staatsanwaltschaft von Catania arbeiten rund 45 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Giovanni Salvi leitet die sechstgrößte Staatsanwaltschaft Italiens. Die Direzione Distrettuale Antimafia ist Teil der Staatsanwaltschaft, 11 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte widmen sich ausschließlich dem Kampf gegen das Organisierte Verbrechen. Alle stehen sie unter Personenschutz, 24 Stunden am Tag. Immer arbeiten sie im Team von drei oder vier Personen, um das Wissen zu teilen und Anschläge für die Mafia weniger attraktiv zu machen.

Wie auch im restlichen Italien hat in der Staatsanwlatschaft Catania vor Jahren ein Umdenken eingesetzt. Nach wie vor versucht man die Paten und ihre Handlanger vor Gericht und hinter Gitter zu bringen. Monat für Monat finden in besonders gesicherten Verhandlungssälen in einem Spezialbau – genannt Aula Bunker – an der Peripherie Catanias, rund 5 km vom Justizpalast entfernt, solche Prozesse statt. Doch die Cosa Nostra ersetzt die in Haft gewanderten Mitglieder umgehend, sie wird durch Verhaftungen kaum einmal nachhaltig geschwächt. Italiens Justiz setzt daher beim Abschöpfen kriminellen Vermögens an. Monat für Monat beschlagnahmt allein die Justiz in Catania Konten, Autos, Häuser, Firmen, Unternehmen, vom Restaurant bis zum Badestrand. Das Gesetz erleichtert das: sobald die Staatsanwaltschaft den Verdacht hegt, dass Vermögen aus krimineller Aktivität stammt, tritt eine Beweislastumkehr ein: der Eigentümer muss belegen, dass das Vermögen aus legalen Quellen herrührt. Kann er das nicht, spricht das Gericht die Beschlagnahme aus. Und die Italienische Republik ist bestrebt, dieses sichergestellte Vermögen gemeinnützig zu verwenden; eine eigene Agentur des Justizministeriums ist mit der Verwaltung und Verwertung des beschlagnahmten Vermögens befasst. Ein Beispiel dafür bildet der Lido dei Ciclopi in Acitrezza, eine der schönsten und renommiertesten Badeanlagen Siziliens. Vor und 15 Jahren aus dem Vermögen der Cosa Nostra heraus beschlagnahmt, wird die Badeanlage seither von einem vom Staat eingesetzten Pächter geleitet. Dieser Pächter hat die Tradition der langen Öffnungszeiten beibehalten – bis Ende Oktober hält die mit Pflanzen aus Afrika gestaltete Badeanlage offen. Vor einigen Jahren wurde zudem eine Kulturveranstaltung ins Leben gerufen: eine rein weiblich besetzte Jury vergibt jedes Jahr einen Preis, den Premio Ninfa Galatea an eine Künstlerin. Dort, wo der antiken Sage nach Odysseus eines seiner Abenteuer bestand, bildet der Lido ein Symbol der Erfolge der Justiz im Kampf gegen die Mafia. Die Gesellschaft holt sich das ihr geraubte Vermögen zurück.


Aula Bunker mit vergitterten Räumen für die Angeklagten

Lido dei Ciclopi

Lido dei Ciclopi

Bar am Lido dei Ciclopi

Jugendgerichtsbarkeit: Vorbild Italien

2003 wurde der Wiener
Jugendgerichtshof von der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition geschlossen. Der
Wiener Jugendgerichtsbarkeit wurde damit eine Wunde
geschlagen, die bis heute nicht verheilt ist. Längst wäre es an der
Zeit, die Jugendgerichtsbarkeit nicht nur in Wien, sondern in Österreich
auf neue Beine zu stellen.

Wie moderne Jugendgerichtsbarkeit aussehen kann, zeigt die italienische Justiz. Etwa das Jugendgericht von Catania
(Tribunale per i Minorenni di Catania) in Sizilien: zehn BerufsrichterInnen
arbeiten hier, unterstützt von 36 ehrenamtlichen RichterInnen (giudici
onorari), die aus verschiedenen Berufen stammen und befristet als
RichterInnen arbeiten: KinderpsychiaterInnen, PsychologInnen,
PsychoanalytikerInnen, Politikwissen- schaftlerInnen. Das Gericht ist
nicht nur für Strafverfahren gegen
Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren zuständig, sondern auch…

Jugendgericht von Catania

 

… für Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren sowie Adoptionen. Das
Jugendgericht entscheidet zumeist in Senaten von vier RichterInnen:
jeweils zwei BerufsrichterInnen und zwei ehrenamtliche RichterInnen. Die
durch die ehrenamtlichen RichterInnen vorhandene multidisziplinäre
Kompetenz erspart viefach die Einholung langwieriger schriftlicher
Gutachten. Die Verfahren am Jugendgericht gehen – im Gegensatz zur
Mehrzahl italienischer Gerichtsverfahren – zügig voran und die
Entscheidungsgrundlagen sind breit. Die RichterInnen nehmen sich viel
Zeit für AnwältInnen und Bevölkerung: das Gericht steht jeden Tag für
Fragen und Auskünfte offen. Zuständig ist das Jugendgericht nicht nur
für Strafverfahren gegen Jugendliche, sondern auch für Obsorge- und
Besuchsrechtsverfahren und für Adoptionen.

Das
Gericht kommuniziert intern und extern viel. An einem konkreten
Fallbeispiel: ein Vater soll seine Stieftochter missbraucht haben.
Während der Berufsrichter den Verdächtigen und die Mutter befragt,
sprechen ehrenamtliche Richterinnen, die im Hauptberuf
Kinderpsychiaterinnen sind, mit dem Kind. Anschließend beraten die
Berufs- und ehrenamtlichen RichterInnen gemeinsam Sofortmaßnahmen. Das
Gericht erlässt einen Beschluss, mit dem es die Obsorge für das Kind neu
regelt; das Jugendamt wird mit demselben Beschluss mit weiteren
Maßnahmen beauftragt und die Schulen der Kinder der Familie werden auf
die schwierige Situation der Kinder aufmerksam gemacht und um Berichte
ersucht. 
Das
italienische Recht gibt den JugendrichterInnen ein Bündel von Maßnahmen
in die Hand und ermöglicht so maßgeschneiderte Lösungen für den
Einzelfall. Das Strafrecht sieht nicht nur Geld- und Freiheitsstrafen
vor, sondern auch die Einweisung in Wohngemeinschaften und den
Hausarrest. Gerade die Wohngemeinschaften bewähren sich bei
Jugendlichen, sowohl als Ersatz zur Untersuchungshaft als auch zur
Gefängnisstrafe. Die Sozialisierung bzw Resozialisierung setzt im
laufenden Verfahren frühzeitig an, gleichzeitig besteht staatliche
Kontrolle. Der Gefängnisaufenthalt wird tatsächlich zum allerletzten
Mittel. Entgegen allen Klischees ist die Jugendgerichtsbarkeit in
Süditalien auf dem neuesten Stand. Moderne Gesetze, hoher Mitteleinsatz
und die außergewöhnliche Motivation der JustizmitarbeiterInnen
garantieren einen Standard der Jugendgerichtsbarkeit, der seinesgleichen
sucht.

Samia Yusuf Omar: der stille Tod im Mittelmeer

Der Tod der jungen somalischen Olympiasportlerin Samia Yusuf Omar
hat auf das Schicksal der vielen Flüchtlinge aufmerksam gemacht, die
versuchen, von der afrikanischen Küste aus nach Italien zu gelangen.
Samia Yusuf Omar kam Anfang April dieses Jahres bei einem Schiffbruch
nahe Malta ums Leben. Sie versuchte, nach Europa zu gelangen, um an den
Olympischen Spielen in London teilnehmen zu können. Teresa Krug hat
Samia Yusuf Omar einen berührenden Nachruf geschrieben, der in deutscher
Übersetzung in Ausgabe Nr. 36/2012 der ZEIT erschienen ist.

Der
Umgang der Europäischen Union mit den Flüchtlingen schwankt zwischen
Ratlosigkeit und Kälte und trägt am Tod von tausenden Flüchtlingen jedes
Jahr Mitschuld. Italienische Richter berichten über befremdliche
Methoden der überforderten Behörden Maltas: afrikanische Flüchtinge
würden vor Malta mit neuen Booten und Benzin versorgt und Richtung
Italien weitergeschickt. Boote der italienischen Küstenwache kreuzen
weit vor der Küste und retten dort, wenn man den Berichten
sizilianischer Beamter glauben darf, vielen erschöpften Flüchtlingen das
Leben.

Die
Flüchtlinge, die überleben und es bis Italien schaffen, landen zumeist
auf der Sizlien vorgelagerten kleinen Insel Lampedusa oder direkt an der
Südküste Siziliens, so nicht selten in der Region des Küstenorts
Pozzallo. Die italienischen Behörden hier sind um einen respektvollen
Umgang mit den Flüchtlingen bemüht. Minderjährige Flüchtlinge, die ohne
ihre Eltern ankommen, erhalten vom nahegelegenen Gericht in Modica
umgehend einen Vertreter beigestellt, zumeist einen Rechtsanwalt oder
eine Rechtsanwältin. So ist eine fachlich kompetente Vertretung im
Verfahren um Asyl oder um die Aufenthaltsgenehmigung gewährleistet.
Untergebracht werden die Jugendlichen nach Möglichkeit in
Wohngemeinschaften gemeinsam mit italienischen Jugendlichen.

Strand von Pozzallo

Finanzkrise killt Sprachkurse: Petition für das Italienische Kulturinstitut in Wien

Verschiedene aktuelle Meldungen: die USA sind deutlich schlimmer verschuldet als Europa; der Schuldenlevel der USA ist mit jenem Griechenlands vergleichbar. In Österreich meldet die Hypo Alpe Adria einen neuen Finanzbedarf von 2,2 Milliarden Euro an. Italien, das entgegen der landläufigen Meinung Nettozahler in der EU ist, kürzt auf Grund des Spardrucks seine Kulturausgaben massiv. Die Kürzungen erreichen nun auch Wien: das Italienische Kulturinstitut, einer der zauberhaften Orte der Stadt mit exzellentem Veranstaltungs- und Kursprogramm, musste alle Sprachkurse einstellen.

Wie diese Meldungen zusammenhängen? Sie zeigen, dass die vermeintliche Finanz- und Schuldenkrise auf irrationale Annahmen und Handlungen zurückgeht, dass Spekulanten und Banken längst die Politik bestimmen. Dass mit so genannten Bankenhilfen Spekulation und Wirtschaftskriminalität prolongiert werden; also mit Geld, das gleichzeitig für Bildung, Justiz, Sozialleistungen und Kinderbetreuung fehlt. Dass die herbeigeredete Krise zum Kulturabbau genutzt wird. Dagegen gilt es im Großen und im Kleinen anzukämpfen; im Kleinen etwa mit einer Petition, die die Wiedereinsetzung der Sprachkurse am Italienischen Kulturinstitut in Wien fordert.

Unterschreiben unter:
http://www.gopetition.com/petitions/wien-braucht-sein-italienisches-kulturinstitut.html

Italienisches Kulturinstitut im Palais Sternberg

© IIC Vienna

Mehr Darbo, bitte!

In den 1970er-Jahren mussten, wie erst nun zutage kam, Tiroler Heimkinder offenbar ohne Lohn in diversen Unternehmen arbeiten, unter anderem im Werk der Fa. Darbo. Nun hätte es sich das Unternehmen leicht machen und sagen können: wir haben die Löhne damals an die Heimbetreiber bezahlt und werden sie nun nicht ein zweites Mal überweisen. Doch die jungen Geschäftsführer des Familienbetriebs Darbo reagierten überraschend. Sie besuchten eines der ehemailigen Heimkinder und sagten umgehend zu, allen Betroffenen die Löhne nachzuzahlen, dies angepasst an das heutige Lohnniveau.
Ein Beispiel der Verantwortungsübernahme, das Schule machen sollte.

Foto: Stefan Veigl / Salzburger Nachrichten