Alle Beiträge von Oliver Scheiber

Enquete “Diversity – Menschen mit Behinderungen in Rechtsberufen”, 3. Mai 2013, Wien

Die Vereinigungen mehrerer Rechtsberufe und die
Universität Wien  veranstalten am 3. Mai 2013 um 10 Uhr in Wien (Universitätscampus im Alten AKH) eine halbtägige
Enquete zum Thema “Diversity – Menschen mit Behinderungen in
Rechtsberufen”.

Anlass ist der  5. Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Konvention über die Rechte von  Menschen mit Behinderungen.

Alle Informationen finden sich hier.

Vorberichte in den Medien:

Salzburger Nachrichten

„Die Justiz ist noch nicht über den Berg“ – Interview für DIE PRESSE vom 22.4.2013

Oliver
Scheiber, einer der wenigen Richter, die sich auch rechtspolitisch
äußern, über seine Einschätzung des Bildes der Justiz in der
Öffentlichkeit, über das, was sie gelernt hat und was sie noch vor sich
hat. 

Die Presse: Der Oberste Gerichtshof hat vorige Woche die
disziplinarrechtliche Bestrafung eines Richters bestätigt, der mit einem
Journalisten über ein Verfahren in der Causa Kampusch gesprochen hatte.
Drohen auch Ihnen disziplinarrechtliche Konsequenzen? Sie sprechen mit
einem Journalisten.

Oliver Scheiber: Hoffentlich nicht! Sonst wäre das
eines meiner kürzesten Gespräche mit einem Journalisten. Es ging darum,
dass Richter mit Medien nicht über Verfahren sprechen sollen, die sie
geleitet haben. Der Grundgedanke ist sehr wichtig und richtig, die
Funktion des Mediensprechers eines Gerichts von der des Richters zu
trennen, der das Verfahren führt.

Das setzt voraus, dass es einen geeigneten Mediensprecher gibt.
Ja.
Wir sind als Justiz in den letzten Jahren extrem gefordert gewesen.
Früher hat es das Thema „Öffentlichkeitsarbeit der Justiz“ gar nicht
gegeben. Die Justiz hat nicht kommunizieren müssen, die Entscheidungen
haben sich in Fachkreisen herumgesprochen. Der Gedanke hat sich erst vor
etwa 15 Jahren durchgesetzt, aus dem Strafbereich kommend, aber jetzt
ausgedehnt auf alle Bereiche. Personell ist das natürlich eine
Herausforderung, weil diese Funktionen von Richtern und Staatsanwälten
wahrgenommen werden müssen und wir keine externen Kräfte einkaufen können.

Die Aufmerksamkeit der Medien für die Justiz ist enorm gewachsen.
Ja,
das spüren wir sehr stark. Die Richter sind stärkerer Beobachtung und
Kritik ausgesetzt. Die Richterschaft gehört zu den Berufen wie Ärzte
oder Universitätsprofessoren, die vom Sockel gestürzt worden sind und
von der Öffentlichkeit gefordert werden, auf gleicher Augenhöhe zu
kommunizieren. Ich halte das für richtig und zeitgemäß.

Wie wirkt die Justiz heute nach außen?
Im
Moment herrscht eine positive Tendenz. Ich habe schon den Eindruck,
dass wir eine Zeit lang Vertrauen verloren hatten, weil wir nicht
entschieden genug die Wirtschaftskriminalität verfolgt haben. Es ist gar
keine Frage, dass eine Vielzahl von Korruptionsverfahren, die
eingestellt wurden, Unmut erzeugt hat. Inzwischen haben wir viel getan:
eine starke Aufrüstung im Wirtschaftsbereich, verbesserte Medienarbeit,
bessere Selbstdarstellung. Das wirkt. Ich würde sagen, die Justiz ist
noch nicht über den Berg, aber wir haben Vertrauen zurückgewonnen. Es
greift auch die Ressourcenaufstockung. Vor allem die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), hat einen ganz entscheidenden
Beitrag geleistet: sowohl von der inhaltlichen Kompetenz her als auch
von der Medienarbeit.

Wie kann der Aufwind in einen Dauerzustand überführt werden?
Aus-
und Fortbildung ist ein zentrales Thema für uns. Wir haben sehr viel
gemacht, um im Wirtschaftsbereich fit zu werden. Die Masterprogramme für
Richter und Staatsanwälte werden von sehr vielen Kollegen absolviert.
Aber wir sollten das in anderen Bereichen auch machen. Zum Beispiel im
Familienrecht: Da sollte man vergleichbare Module anbieten. Oder im
Unterbringungsrecht, bei dem Richter mit psychisch Kranken zu tun haben.
Es hilft nur, in allen Bereichen in die Aus- und Fortbildung zu
investieren.

Wird das, was die Justiz macht, in der Öffentlichkeit verstanden?
Da
ist viel Luft nach oben, besser zu werden. Es ist generell eine
Schwierigkeit von Juristen: Das ist ein Beruf, der sich gern
fachspezifisch ausdrückt. Schon an der Uni herrscht der schwer
verständliche Fachsprachenton vor. Ich glaube, wir sind viel besser
geworden, aber wir können noch immer viel besser werden.

Nämlich wie?
Die
Kommunikation generell ist die Herausforderung für die Justiz: Im
Verfahren, wie die Richter es leiten, wie sie mit den Anwälten und mit
den Verfahrensbeteiligten sprechen, und auch in Situationen wie dieser
hier, wie sie mit den Medien sprechen. Wir müssen uns verständlich
ausdrücken.

Es gibt eine Qualitätssicherung in der
Justiz in Form des Instanzenzugs. Gibt es für das, was Sie ansprechen,
auch eine Qualitätssicherung? Kümmert sich jemand darum, wie Richter mit
Angeklagten oder Streitparteien umgehen?

Der
Instanzenzug funktioniert gut, geht recht schnell, findet Akzeptanz. Ein
anderes Qualitätssicherungsinstrument, das wir schon Jahrzehnte haben,
ist die Kontrolle der Verfahrensgeschwindigkeit. Es gibt monatliche
Prüflisten über jeden Richter, anhand derer die vorgesetzten
Dienststellen genau sehen: Wo steht ein Verfahren länger als einen Monat
still, wo ist ein Urteil ausständig? Dadurch sind die Verfahren viel
kürzer geworden, weil es einen Druck auf die Richter gibt. Das schnelle
Verfahren ist schon ein wesentliches Element des guten Verfahrens. Alles
andere ist natürlich schwer zu messen: ob der Richter freundlich ist,
ob er jemanden unterbricht, ohne das zu erklären, ob er pünktlich im
Verhandlungssaal auftaucht, ob er eine Sprache verwendet, die die Leute
verstehen. Da muss die Qualitätssicherung einsetzen. Bereiche wie das
Gesundheitswesen oder die Universitäten sind uns voraus, auch an Schulen
gibt es Schülerbefragungen über die Lehrer. Wir müssen uns Gedanken
machen, wie wir das erfassen können: sei es durch Befragungen von
Anwälten oder Parteien. Aus meiner Sicht ist es notwendig, damit zu
beginnen.

Sie waren unter Maria Berger (SPÖ) im
Ministerbüro tätig. Kann das Ministerium solche Maßnahmen in der
weisungsfreien Justiz durchsetzen?

Die Kommunikation in
der Justiz verbessern heißt: nach außen, aber auch nach innen. Wir sind
ein gewachsener, sehr hierarchisch organisierter Betrieb und müssen erst
lernen, dass auch intern mehr gesprochen wird. Je mehr man erklärt,
desto größer ist die Akzeptanz. Als die Justizombudsstellen eingeführt
worden sind, war das für die Justiz etwas völlig Neues: eine
professionelle Beschwerdeeinrichtung, die noch dazu beworben wird, indem
man sagt: „Wenn Sie unzufrieden sind, gehen Sie da hin.“ Das ist
natürlich auf viel Widerstand gestoßen. Mittlerweile ist es durch die
gute Arbeit dort auch intern sehr gut angenommen. Das geht schon, denke
ich.

Die Richter haben sich damals dagegen
gesträubt, einen Externen als Kontrollor einzusetzen. Man hat an
emeritierte Anwälte oder an die Volksanwaltschaft gedacht. Jetzt sitzen
in den Ombudsstellen aktive Richter.

Nach dem
Selbstverständnis der Richterschaft ist diese Unabhängigkeit auch in den
Kontrolleinrichtungen ein hoher Wert. Persönlich meine ich, dass
externe Inputs immer guttun. Das Verhältnis zur Volksanwaltschaft hat
sich in den letzten Jahren sehr entspannt. Man lässt sich von ihr sehr
viel sagen, zum Beispiel im Sachwalterschaftsrecht, weil es da sehr
viele Beschwerden gibt. Darüber denken wir viel nach. Dann gibt es Dinge
wie den Wahrnehmungsbericht der Rechtsanwälte, den ich sehr hilfreich
finde: einfach eine Aufstellung, an der man sieht, welche Ärgernisse und
Fehler aus Sicht der Anwälte bestehen. Natürlich haben wir die Tendenz
zu sagen, wir schauen gern selbst darauf, dass der Betrieb gut läuft.
Aber es kommen immer mehr, wie bei der WKStA, externe Experten. Ein
nächster Schritt könnte sein, dass uns eine externe
Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Im Moment holen wir uns die externe
Expertise über die Fortbildung herein. Abgeschottet sind wir also nicht
mehr.

Juristen in der Justiz müssen also viel mehr als nur juristisch ausgebildet sein.
Ja,
das ist der entscheidende Punkt. Die Herausforderung für die Zukunft
ist eine menschengerechte Justiz mit einer menschengerechten
Kommunikation. Das scheint mir das Um und Auf zu sein. Es hilft die
juristisch beste Entscheidung nichts, wenn alle Verfahrensbeteiligten
unglücklich sind nach dem Prozess und jeder sagt: Das war eine
unangenehme Erfahrung. Man muss dahin kommen, dass die Leute sagen – und
das hört man ja auch jetzt schon oft: Ich habe den Prozess verloren,
aber es war okay. Ich habe sagen können, was ich meine, und der Richter
hat mir erklärt, er sieht das anders. Die Erwartungshaltung der Leute
ist, angehört zu werden.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.04.2013)

Allianz gegen die Gleichgültigkeit – Öffentlicher Aufruf, erschienen im FALTER Nr. 14/2013

Die Unterzeichner/innen geben, soweit sie auch Funktionen ausüben, ihre persönliche Meinung wieder.

Der Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft ist
ein guter Maßstab für die Qualität und Reife eines Rechtssystems. Gerade
deshalb machen die Vorwürfe, die zuletzt im „Falter“ erhoben wurden (in allen
Fällen gilt die Unschuldsvermutung), betroffen. Justizwachebeamte der
Haftanstalt Josefstadt sollen weiblichen Häftlingen sexuelle Dienstleistungen abgepresst
haben; Beamte hätten Drogen und Handys ins Gefängnis geschmuggelt und seien dafür
von einem Wiener Anwalt bezahlt worden.  Gemeinsam
ist Verdachtsfällen im Strafvollzug über die Jahre, dass allzu oft weder
effektiv strafrechtlich noch organisatorisch reagiert wurde. 

Somit
wirft der jüngste Fall alte Fragen auf. Wie ist es um die Selbstreinigungskraft
der Rechtsberufe und der Justiz bestellt? Warum schauen so viele in
Rechtsanwaltschaft und Justiz weg, wenn sie schlampige und rechtswidrige
Usancen im Strafvollzug mitbekommen? Wie kann es sein, dass die Beamtenschaft
des Justizministeriums, die sich ausschließlich aus Staatsanwält/innen und
Richter/innen zusammensetzt, nicht entschlossenere Schritte setzt? Warum gibt
es so entmutigend oft unangenehme Konsequenzen für jene, die Missstände
aufzeigen? Wo bleiben Respekt und  (auch
karrieremäßige) Anerkennung für Beamt/innen, die Missstände aufzeigen? Wie ist
es um die professionelle Abgrenzung zwischen Polizei, Justizwache, Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwaltschaft und Gericht bestellt? Welche Rolle könnte eine Verhaberung
zwischen Justizwache, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht spielen, die die
Schwächsten zu Opfern macht? 
Anderer Schauplatz, und doch
dasselbe Thema: Seit der Polizeiaktion „Operation spring“ im Jahr 1999 müsste
der Umgang von Polizei und Justiz mit Menschen dunkler Hautfarbe ein Thema
sein. Eine soziologische Studie hat auf die damalige Ungleichbehandlung,
nämlich Schlechterstellung, von Menschen dunkler Hautfarbe vor den
Strafgerichten hingewiesen. Spätere Fälle – die lasche strafrechtliche und
späte dienstrechtliche Verfolgung jener Polizeibeamten, die den Schubhäftling
Bakary J. folterten und zuletzt der Umgang mit jenem Täter, der eine Frau
dunkler Hautfarbe auf U-Bahn-Gleise stieß – warfen die Frage eines
institutionellen Rassismus neu auf. Immer wieder wird berichtet, dass
Polizeibeamt/innen und auch Justizangehörige Menschen dunkler Hautfarbe  als „Bimbos“ bezeichnen. Vielen Anwält/innen,
Richter/innen, Staatsanwält/innen sind solche Vorfälle bekannt. Dass diese
Missstände nicht angezeigt und selbst nach Anzeigen nicht abgestellt werden,
ist unerträglich. Es zeigt sich, dass die bloße Diskussion des Themas bei
Fachveranstaltungen nicht ausreicht. Es braucht institutionelle Maßnahmen.
Nicht zufällig empfiehlt die laufende UN-Menschenrechtsprüfung verstärkte
Aktivitäten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Österreich. Tatsächlich:
Es ist höchste Zeit, Rassismus und Diskriminierung auch in Institutionen wie
Polizei, Gerichten und Behörden professionell mit umfassenden Maßnahmen zu
bekämpfen. Großbritannien etwa lebt dies mit seinem „Public sector equality
duty“ vor – alle öffentlichen Einrichtungen sind verpflichtet, ihre Strukturen
und Abläufe (etwa Umgang mit Bürger/innen, Einstellung von Mitarbeiter/innen,
Beförderungsverfahren etc) antidiskriminierend zu gestalten, laufend zu
evaluieren und entsprechend anzupassen.

Die
RichterInnenvereinigung hat sich vor einigen Jahren eine inhaltlich
überzeugende Ethikerklärung gegeben. Darin heißt es u.a.: „Diskriminierende
Haltungen und Äußerungen weisen wir bedingungslos zurück.“ Diese Erklärung
bedarf ihrer Umsetzung und Bewährung im Justizalltag. Die große Mehrheit der
Vertreter/innen der Rechtsberufe und Justiz leistet gute Arbeit und verhält
sich korrekt. Diese große Mehrheit sollte darin unterstützt und ermutigt werden,
sich offenkundiger Missstände anzunehmen und die Dinge beim Namen zu nennen.
RichterInnen,
StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen verbindet eine wichtige Aufgabe: die
Grundrechte zu sichern. Für diese Aufgabe braucht es nicht nur juristische
Kompetenz, sondern auch Leidenschaft, Empathie und Courage. Bilden wir
Richter/innen, Staatsanwält/innen, 
Rechtsanwält/innen und Rechtswissenschaftler/innen eine Allianz gegen
die Gleichgültigkeit. Wir rufen Ministerien, Parlament und die Vereinigungen
der Rechtsberufe auf, Probleme des Strafvollzugs und die Frage des
institutionellen Rassismus umgehend in Form einer öffentlichen Enquete zu  beraten und erste Maßnahmenpakete zu
beschließen.
Barbara Helige, Richterin, Präsidentin der
Österreichischen Liga für Menschenrechte
Thomas Höhne, Rechtsanwalt, Mitinitiator des Universitätslehrgangs für Informationsrecht an der  Universität Wien
Alfred J. Noll, Rechtsanwalt, Mitglied im
Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien und Universitätsdozent
Manfred Nowak, Universitätsprofessor, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für die Folter
Oliver Scheiber, Richter, Mitgründer der
Fachgruppe Grundrechte in der RichterInnenvereinigung
Richard Soyer, Rechtsanwalt und
Universitätsprofessor
Hannes Tretter, Universitätsprofessor, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte
Maria Windhager, Rechtsanwältin, führende Medienrechtsexpertin
Mia Wittmann-Tiwald, Richterin, Co-Vorsitzende
der Fachgruppe Grundrechte in der RichterInnenvereinigung

www.transparenzgesetz.at – die Videos

Die Initiative zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses hat einen starken Start hingelgt. Die SPÖ unterstützt den Gedanken, die ÖVP zeigt sich ebenfalls nicht abgeneigt. Jetzt wird es auf die Ausformulierung eines Gesetzesvorschlags ankommen. In der Zwischenzeit sind die Unterstützer-Videos online gegangen:

Land der Geber, Land der Nehmer

Text für die Tageszeitung DIE PRESSE (Printausgabe vom 2.3.2013)


Von politischer Korruption ist neuerdings
hierzulande viel die Rede. Und was ist mit Ärzten, die von
Pharmakonzernen „angefüttert“ werden? Wo bleibt eine effiziente
Börsenkontrolle? Korruptionsbekämpfung in Österreich: eine
Zwischenbilanz.




Korruption ist in aller
Munde. Nicht wenige österreichische Medien haben das Jahr 2012 in ihren
Rückschauen als „Jahr der Korruption“ bezeichnet. Tatsächlich startete
2012 nach jahrelangem Stillstand ein Reigen von Strafprozessen wegen
politischer Korruption und Wirtschaftskorruption: Die Staatsanwälte
erhoben Anklagen gegen den früheren Innenminister Ernst Strasser, gegen
den stellvertretenden Kärntner Landeshauptmann Josef Martinz und gegen
den politiknahen Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly. Gegen weitere
prominente Verdächtige wird ermittelt. Die Fälle dokumentieren das
Absinken Österreichs ins europäische Mittelfeld, was die Verbreitung von
Korruption betrifft. So ist nach Expertenmeinung Korruption in
Deutschland und der Schweiz weniger ausgeprägt. Doch wo steht Österreich
bei Korruption und Korruptionsbekämpfung aktuell?



Rechtspolitisch interessieren bei einer solchen Bilanz drei
Themenbereiche: die Rahmenbedingungen für Korruption in Politik und
Verwaltung, die strafrechtlichen Bestimmungen und die Schlagfähigkeit
des Justizsystems bei der Verfolgung von Korruption.

Erstens: Amtsgeheimnis versus Transparenz. Während
in skandinavischen Staaten die gesamte staatliche Verwaltung weitgehend
einem Transparenzgebot unterliegt, dominiert in Österreich das
Amtsgeheimnis das staatliche Handeln. In Schweden etwa können
Bürgerinnen und Bürger den Großteil der Akten der Verwaltung einsehen.
Stechen einem beim Spazierengehen ungewöhnlich hohe Dachausbauten ins
Auge, so kann man in die Bauakten Einsicht nehmen und die Namen der
beteiligten Architekten und Beamten erheben. Wird eine neue
Schottergrube bewilligt, so kann man die näheren Umstände und Auflagen
den Behördenakten entnehmen.
In Österreich ist es mitunter
schwierig, Einsicht selbst in jene Akten zu erhalten, die einen direkt
betreffen. Akteneinsichtsbegehren sieht die Beamtenschaft überwiegend
als Störung, das Auskunftspflichtgesetz konnte daran wenig ändern.
Akten, in denen man selbst nicht Partei war, kann man gar nicht
einsehen. Behördenhandeln wird so für Medien und Bürgerinnen und Bürger
schwer kontrollierbar.
Bei den klassischen Bestechungsdelikten
gibt es grundsätzlich zwei Gewinner, den Beamten und den Bestecher, die
in einer von der Amtsverschwiegenheit geprägten Verwaltung wenig zu
befürchten haben. Die Umstellung der staatlichen Verwaltung auf ein
Transparenzsystem wäre die entscheidende präventive Maßnahme gegen
Korruption im öffentlichen Sektor – zivilgesellschaftliche Initiativen
wie jene von Josef Barth und Hubert Sickinger (www.
transparenzgesetz.at) treffen daher den Punkt. Die Causae Buwog,
Skylink, Birnbacher und Eurofighter hätten in einem transparenten System
so nicht passieren können. So manche befremdlich begründete Einstellung
eines Strafverfahrens wäre wohl nicht erfolgt, müssten
Staatsanwaltschaften ihre Einstellungsentscheidungen im Internet
veröffentlichen.

Zweitens: Strafbestimmungen gegen Korruption.
Klassische
Bestechungshandlungen wie die positive Erledigung eines Ansuchens um
eine gewerberechtliche Bewilligung gegen ein Geldkuvert stehen seit je
unter Strafe. Andere klassische Korruptionshandlungen, vor allem das
sogenannte Anfüttern, waren in Österreich lange straffrei. Beim
Anfüttern versucht der Bestecher, durch regelmäßige Geschenke einegute
Stimmung bei Behörden und Politik zu schaffen, um dann im Fall der Fälle
mit Wohlwollen rechnen zu können. Man denke an Bauunternehmen, die
Politikern Urlaubsreisen oder Festspielbesuche finanzieren, an
Architekten, die Baureferenten zum Essen einladen et cetera.
Es
bedurfte jahrelanger Kritik internationaler Gremien, bis Österreich 2008
unter der damaligen Justizministerin Maria Berger sein
Korruptionsstrafrecht massiv verschärfte und erstmals das Anfüttern
unter Strafe stellte. Bergers Nachfolgerin, Bandion-Ortner, schlug dem
Parlament bereits im Folgejahr eine Neuregelung vor, die inhaltlich eine
Verwässerung des Korruptionsstrafrechts bedeutete – ein verheerendes
Signal. Die Lockerung gab dem Druck aus Kultur und Sport nach. Die
Argumentation, strenge Korruptionsbestimmungen wären der Tod des
Sponsoring, ist freilich falsch. Sponsoring hat per se mit Korruption
nichts zu tun. Auch ist es keinem Unternehmen versagt, verdiente
Mitarbeiter oder gute Kunden zu Festspielen und in Stadien einzuladen.
Was nicht angeht, ist, dass der Telekommunikationskonzern den
Telekomregulator einlädt oder der Baumeister den Leiter der
Bauabteilung. Die Wirtschaft kennt diese Regeln aus dem Ausland – von
ihr kam weit weniger Widerstand gegen strenge Korruptionsgesetze als aus
Sport und Kultur.
Mit 1. Jänner 2013 ist nun die dritte Änderung
des Korruptionsstrafrechts binnen weniger Jahre in Kraft getreten. Im
Wesentlichen wurde die Lockerung zurückgenommen, das Anfüttern ist nun
wieder strafbar. Und doch hat der Gesetzgeber neue Lücken aufgetan: So
sind nun Geschenke für pflichtgemäße Amtsgeschäfte erlaubt, wenn sie
gemeinnützigen Zwecken gewidmet sind. Das ermöglicht, wie der frühere
Leiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, kritisiert,
Deals wie diesen: „Betriebsanlagengenehmigung gegen ein neues
Feuerwehrauto für den Feuerwehrverein.“ Das neue Gesetz ist also in
Summe ein Schritt nach vorne, zu einem Korruptionsstrafrecht ohne
Schlupflöcher vermag sich der Gesetzgeber freilich noch nicht
durchzuringen.

Drittens: Korruptionsverfolgung.Bis zur
Mitte der 2000er-Jahre erfolgten in Österreich kaum strafrechtliche
Verurteilungen wegen Korruption. Wenn, dann traf es kleine Beamte, die
für mehr oder weniger lässliche Sünden oft harte Strafen erhielten. Bei
bedeutenden Verdachtsfällen tat sich freilich wenig – was die Kritik
internationaler Gremien wie OECD und Europarat provozierte. Es zeigte
sich, dass die lokalen Staatsanwaltschaften nicht willens oder in der
Lage waren, Korruption ernsthaft zu verfolgen. Die Wende brachte die –
ebenfallsvon Ministerin Berger erdachte – zentrale österreichische
Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sienahm 2009 ihre Arbeit auf und wurde
mittlerweile in „ZentraleStaatsanwaltschaft zur Verfolgung von
Wirtschaftsstrafsachen und Korruption“ (WKStA) umbenannt. Die neue
Spezialbehörde ist bundesweit tätig und entgeht somit der Verflechtung
in lokale Netzwerke. Spezialisten für Bilanzierung, Finanzmarkt und
Buchhaltung arbeiten im Team mit den Staatsanwälten.
Dazu kommt
eine wesentliche Einschränkung des Weisungsrechts. Während alle anderen
Staatsanwaltschaften in den sogenannten clamorosen Fällen (für die
Öffentlichkeit interessante Fälle, etwa Verfahren gegen Politiker) jeden
Ermittlungsschritt über diverse Stationen ins Justizministerium
berichten müssen, sind diese Berichtspflichten für die neue
Spezialstaatsanwaltschaft gelockert: Sie kann selbst gegen Politiker
Ermittlungen aufnehmen, ohne darüber nach oben zu berichten. Die
Berichtspflicht setzt erst ein, wenn das Verfahren eingestellt oder
Anklage erhoben werden soll. Dies bedeutet ein wesentlich höheres Maß an
Unabhängigkeit, als es alle anderen Staatsanwaltschaften in Österreich
genießen, und gibt der neuen Behörde mehr Freiheit und
Selbstbewusstsein. So brachte die neue Staatsanwaltschaft im Fall
Birnbacher/Martinz die Anklage ein, während die lokale
Staatsanwaltschaft das Verfahren in früheren Jahren bereits zweimal
eingestellt hatte.
Die Aufbauarbeit durch den ersten Leiter der
Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, der vor Kurzem in den
Ruhestand wechselte, war stilprägend und hat neue Maßstäbe für die
öffentliche Anklage in Österreich gesetzt: Glastüren in den Büros, die
transparentes Handeln der Justiz symbolisieren; Videoaufzeichnung aller
Einvernahmen, was die Beschuldigtenrechte absichert und Unkorrektheiten
bei Einvernahmen weitgehend ausschließt. Die WKStA hat mittlerweile in
mehreren prominenten Verfahren Anklage erhoben – der öffentliche Respekt
dafür stärkt das Selbstbewusstsein der gesamten öffentlichen Anklage in
Österreich.
Neben Personalaufstockungen war für die
Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften auch die Anfang 2011 in Kraft
getretene große Kronzeugenregelung ein wichtiger Schritt:
Ex-Telekom-Austria-Vizefinanzvorstand Gernot Schieszler brachte als
erster Kronzeuge das Telekom-Strafverfahren ins Rollen.
Ein zur
Korruptionsverfolgung ganzwichtiges Element fehlt freilich noch:
Aufdeckungsarbeit wird vielfach erst durch sogenannte
Whistleblower-Regelungen möglich. Informanten müssen die Möglichkeit
haben, anonym mit Behörden zu kommunizieren und Wissen weiterzugeben.
Große Konzerne setzen vielfach auf internetbasierte
Whistleblower-Systeme, um firmeninterne Unregelmäßigkeiten aufzudecken.
So wie die USA will künftig auch die EU Geldprämien für Informationen zu
Wirtschaftsdelikten anbieten. In Österreich soll 2013 der Pilotversuch
einer Whistleblower-Regelung bei der WKStA starten.
Von großer
praktischer Bedeutung wäre auch die Untersuchung und Beschlagnahme
bedenklichen Vermögens. Die Abschöpfung des Vermögens schwächt
kriminelle Vereinigungen und Systeme nachhaltig. Die gesetzlichen
Bestimmungen dazu sind in Österreich noch nicht mit Leben erfüllt. In
Italien etwa werden laufend Millionen-Euro-Beträge von den
Staatsanwaltschaften sichergestellt, wenn ihre legale Herkunft nicht
belegt ist. In Slowenien sind führende Politiker zuletzt darüber
gestolpert, dass sie die Herkunft ihrer Luxuswohnungen und -fahrzeuge
nicht erklären konnten.

Wo steht Österreich also bei
der Korruptionsbekämpfung? Frühere Jahre, die verschlafen wurden, lassen
sich nicht aufholen. Viele Delikte sind verjährt, so mancher Verdacht
ist großzügig mit einer Verfahrenseinstellung bedacht worden. Im Moment
ist das Glas wohl zur Hälfte gefüllt, sodass sich – zumindest was die
Korruptionsbekämpfung in Österreich betrifft – sowohl Optimisten als
auch Pessimisten in ihrer Haltung bestätigt fühlen können. Der gute
Start der WKStA lässt für die Zukunft hoffen. Den nächsten wesentlichen
Fortschritt könnte die Einführung eines an erfolgreichen ausländischen
Beispielen ausgerichteten Whistleblower-Systems bringen. Mittelfristig
sollte ein Transparenzgesetz das generelle Amtsgeheimnis abschaffen, die
Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften gegenüber dem
Justizministerium sollte aufgegeben werden.
Neben den jüngsten
Ermittlungserfolgen und Anklagen gibt es freilich weiterhinblinde
Flecken: So liegt in Österreich die gesamte Bilanz- und Börsenkontrolle
im Argen. Gesetzesverstöße bleiben ohne ernsthafte Sanktion und
ermöglichen die Anlegertäuschung. Die vor wenigen Wochen beschlossene
neue sogenannte Bilanzpolizei wird daran wenig ändern: Entdeckte
Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften werden nicht zwingend
veröffentlicht. Gerade das wäre aber der Sinn der Ermittlungen: Der
Schutzzweck des Gesetzes wird durch die bloße
Veröffentlichungsmöglichkeit völlig unterlaufen. In Deutschland etwa
werden alle Verstöße veröffentlicht; Transparenz ist eben auch hier ein
Schlüsselelement.
Ein anderer Bereich, in dem die Korruption
unbehelligt blüht, ist der Sektor Medizin/Pharmazie. Die Ärzteschaft
lebt hierzulande geradezu in einer Bedienungsanleitung für Korruption.
Ein staatlich sanktioniertes Korruptionsszenario ist zum einen in der
durch die Krankenzusatzversicherungen mitverursachten Zweiklassenmedizin
mit intransparenten Operationswartelisten und übermäßigen
Nebentätigkeiten der Primarärzte in Privatspitälern zu sehen. An
öffentlichen Spitälern angestellte Ärzte sind nichtselten an
Privatkliniken beteiligt, die Nutzung öffentlicher Gesundheitsdienste
für Privatpatienten ist die Folge.
Das andere milliardenschwere
Problemfeld liegt in der Finanzierung von Medizinzeitschriften,
medizinischenKongressen, ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen und
sogenannten Qualitätszirkeln durch Pharmaunternehmen. Derlei
Veranstaltungen finden bevorzugt an attraktiven Reisezielen statt.
Reise- und Aufenthaltskosten zahlen jene Pharmaproduzenten, die ihre
Produkte an die versammelte Ärzteschaft verkaufen wollen – Anfütterung
im klassischen Sinn, noch dazu durch gesetzliche Ausnahmeregelungen im
Medizinrecht zulässig. So überträgt das Ärztegesetz der Ärztekammer die
Organisation von Fortbildungsveranstaltungen; § 3 der Verordnung der
Ärztekammer über ärztliche Fortbildung aus dem Jahr 2010 ermöglicht
Kooperationen von ärztlichen Fortbildungsanbietern mit an der
Fortbildung interessierten Organisationen, Einrichtungen und Dritten
(Sponsoren), welche einen Beitrag zur Entwicklung der
medizinisch-wissenschaftlichen Fortbildung leisten. Im Kommentar zur
Verordnung heißt es, der Sponsor, also in der Regel die Pharmafirma,
könne das Fortbildungsthema bestimmen.
Gleichzeitig verlangt die
Verordnung jedoch, Inhalte ärztlicher Fortbildung unabhängig von
wirtschaftlichen Interessen Dritter zu halten und die Zusammenarbeit
zwischen Sponsor und ärztlichem Fortbildungsanbieter so zu
gestalten,dass das Patientenwohl und die Wahrung der ärztlichen
Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit nicht gefährdet oder
beeinflusst werden – die Quadratur des Kreises. Anschaulich wird die
Problematik durch die Zahl der Pharmavertreter: 4000 Pharmareferenten
sorgen sich um 8000 niedergelassene österreichische Ärzte. In der
Schweiz und in Deutschland wird dieses enorme Korruptionsfeld – der
Schaden durch Korruption im Gesundheitswesen wird in Deutschland mit
jährlich 18 Milliarden Euro (zehn Prozent aller Gesundheitsausgaben)
geschätzt – immerhin bereits diskutiert. In Österreichwird das Thema
bisher totgeschwiegen. Transparency International spricht von einer
„Kuvert- und Zweiklassenmedizin“ in Österreich.
Der Kampf gegen
die Korruption ist also angelaufen – er wird Justiz und Gesellschaft
noch länger beschäftigen. Und er benötigt Unterstützung in vielen
Bereichen: Die Aufklärung über korrupte Systeme und über Möglichkeiten
zur Gegenwehr für den Einzelnen muss etwa in Schulen und anderen
Bildungseinrichtungen ansetzen, um ein neues gesellschaftliches
Bewusstsein zu schaffen. Das Rad muss dazu nicht neu erfunden werden –
zu allen Fragen finden sich Best-Practice-Modelle im Ausland. Was es
braucht, sind politischer Wille und zivilgesellschaftliche Anstrengung.

Eine Langfassung dieses Beitrags erscheint in der Zeitschrift „PolitiX“
(politikwissenschaft.univie.ac.at/institut/
institutszeitschrift-politix/aktuelles-heft/).
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.03.2013)