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Vom Scherben- zum (fast) normalen Gericht

Gastbeitrag für DIE PRESSE – Printausgabe vom 12.1.2015 (Rechtspanorama)

U-Ausschuss-Reform. Der bevorstehende Untersuchungsausschuss
zur Causa Hypo-Alpe-Adria wird zeigen, ob die Parlamentsparteien das neu und
besser gestaltete Kontrollinstrument mit Leben erfüllen.
Zum Jahresende 2014 haben die
Regierungsparteien ein langjähriges Versprechen eingelöst und einer
grundlegenden Reform der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zugestimmt.
Der zentrale Punkt der Reform ist bekannt: ein U-Ausschuss kann künftig auch
von einer parlamentarischen Minderheit eingesetzt werden. Damit wird der
Untersuchungsausschuss zu einem Kontrollinstrument der Opposition. Bisher
erforderte die Beschlussfassung für einen Untersuchungsausschuss eine
Parlamentsmehrheit. Die Reform ist erst seit 1. Jänner in Kraft und schon
bereiten sich alle Parteien auf einen Untersuchungsausschuss zum
Sachverhaltskomplex Hypo-Alpe-Adria vor.
Neben der grundlegenden
Systemumstellung von Mehrheits- auf Minderheitsinstrument bringt die Reform
eine neue Verfahrensordnung für die Ausschüsse. Was erwartet Abgeordnete,  Auskunftspersonen und Öffentlichkeit also in
den neuen Ausschüssen?
Zunächst hängt viel von der
Ausformulierung des Untersuchungsgegenstands des Ausschusses ab – nur in diesem
Rahmen kann der Ausschuss tätig werden. Den Vorsitz im Untersuchungsausschuss
führt die Präsidentin des Nationalrats. Ergänzend dazu bestimmt das Parlament
für jeden Ausschuss einen Verfahrensrichter und einen Verfahrensanwalt. Vor
allem dem Verfahrensrichter wird in den Anhörungen des Ausschusses eine
zentrale Rolle zukommen. Die Qualität seiner Arbeit wird den Erfolg der
Ausschussarbeit wohl maßgeblich mitbestimmen.
Die Arbeit des U-Ausschusses
läuft ähnlich ab wie ein Gerichtsverfahren. Eine Besonderheit des U-Ausschusses
ist aber die Vielzahl der Akteure. So haben etwa alle Ausschussmitglieder ein
Fragerecht. Alle Einvernahmen werden wörtlich protokolliert. Dadurch werden die
Rechte der Auskunftspersonen bestmöglich gewahrt.
Der neue U-Ausschuss hat bei
seinen Erhebungen viel Spielraum. Grundsätzlich ist jede denkbare
Beweisaufnahme möglich. Der Ausschuss kann sich nicht nur alle ihm nötig
erscheinenden Akten und Dokumente beschaffen und einsehen, sondern ähnlich
einem Gericht einen oder mehrere Sachverständige bestellen und Augenscheine
vornehmen. Nach deutschem Vorbild kann ein Ausschuss nunmehr auch einen
Ermittlungsbeauftragten bestellen; dieser agiert gleichsam wie ein
Ausschuss-Kommissar. Der Ausschuss kann den Ermittlungsbeauftragten (oder einen
Sachverständigen) auch kurzfristig zu Recherchen, Befragungen, gesprächsweisen
Abklärungen oder Lokalaugenscheinen aussenden und so rasch auf neue
Informationen und Situationen reagieren.
Für die Öffentlichkeit bilden
wohl auch künftig die Einvernahmen der Auskunftspersonen vor dem Ausschuss das
Hauptinteresse. Die Auskunftspersonen stehen bei Ihrer Befragung im Parlament
unter Wahrheitspflicht; falsche Aussagen sind strafbar und mit Gefängnisstrafen
bedroht. Zumindest theoretisch kann der Ausschuss die Befragung einer Auskunftsperson
auch im schriftlichen Weg abwickeln (und die betreffende Auskunftsperson damit
in eine vergleichsweise gemütliche Position bringen). Ansonsten erfolgt die
Befragung öffentlich im Ausschuss. Jede Auskunftsperson erhält bereits mit der
Ladung das Thema ihrer Befragung zugesandt und hat dann vor dem Ausschuss
zunächst einmal die Möglichkeit einer einleitenden Stellungnahme von bis zu 20
Minuten Dauer. Erst daran schließt die Erstbefragung durch den
Verfahrensrichter an, die bis zu 15 Minuten dauert. Vor allem diese langen und
ersten Fragemöglichkeiten machen den Verfahrensrichter zu einer Schlüsselfigur
jedes Ausschusses. Erfahrung, Konsequenz und Vorbereitung des
Verfahrensrichters werden das Ergebnis der Ausschussarbeit wesentlich
mitbestimmen. Erst nach dem Verfahrensrichter kommen die Ausschussmitglieder
mit ihren Fragen an die Reihe.
In der Vergangenheit wurde
vielfach kritisiert, dass Untersuchungsausschüsse über einzelne Zeugen
gleichsam ein Scherbengericht abgehalten hätten. Mit der Reform erhalten die
Auskunftspersonen die erwähnte Möglichkeit der einleitenden Stellungnahme.
Zudem wird ein eigener Verfahrensanwalt bestellt, der auf die Rechte der
befragten Person achtet und mit dem sich eine Auskunftsperson während der
gesamten Befragung jederzeit beraten kann. Zusätzlich kann jede Auskunftsperson
eine Vertrauensperson zur Befragung mitnehmen. Selbstverständlich muss niemand
sich oder einen nahen Angehörigen strafrechtlich belasten – für diese Fälle
besteht die Möglichkeit, eine Aussage zu verweigern. Die Verfahrensordnung
verbietet zudem ausdrücklich Suggestivfragen sowie unbestimmte, mehrdeutige
Fragen an die Auskunftspersonen.
Beweistaktisch spannend ist die
Möglichkeit des U-Ausschusses, eine Gegenüberstellung von Auskunftspersonen
vorzunehmen. Es ist wohl mehr oder weniger spektakulär, wenn auf diese Weise
hochrangige politische Entscheidungsträger vor dem versammelten Ausschuss mit
Widersprüchen in ihren Angaben konfrontiert werden.
In der Vergangenheit hat die
Justiz fallweise die Erschwerung der Strafverfolgung durch parallel laufende
Untersuchungsausschüsse beklagt. Die Reform sieht nun vor, dass sich künftig
Parlament und Justizminister in einem formellen Verfahren über die Reihenfolge
von Aktenübersendungen und Zeugenbefragungen verständigen, wenn
parlamentarische und strafrechtliche Untersuchungen parallel laufen.
Am Ende der
Untersuchungstätigkeit steht wie bisher ein Ausschussbericht; mit seiner
Vorbereitung ist nunmehr der Verfahrensrichter betraut.
Alles in allem scheint die Reform
der Untersuchungsausschüsse durchaus gelungen. Das Parlament erfährt dadurch
zweifellos eine Aufwertung. Die neuen rechtlichen Instrumente müssen freilich
erst mit Leben erfüllt werden. Der Tätigkeit des ersten Ausschusses nach neuem
Regime wird dabei eine wichtige Rolle zukommen. Man darf gespannt sein, wie das
Parlament die Chance der neuen Instrumente zu nutzen versteht.

Dr. Oliver Scheiber ist
Richter in Wien. Dieser Text gibt seine persönliche Ansicht wieder.

Zu nötigen Reformen im Strafvollzug

Die Allianz gegen die Gleichgültigkeit, eine Gruppe von Juristinnen und Juristen, hat 2013 und 2014 mehrfach auf Missstände im Strafvollzug aufmerksam gemacht und Reformvorschläge unterbreitet. Aus Gesprächen war uns ExpertInnen klar, dass im Strafvollzug vieles im Argen liegt. In der Zwischenzeit wurden Vergewaltigungsfälle im Jugendstrafvollzug, massive Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen weibliche Häftlinge und erschreckende Bilder der Verwahrlosung aus der Justizanstalt Stein bekannt. Das Ausmaß der Verlotterung hat alle überrascht.

Justizminister Brandstetter hat (im Gegensatz etwa zu seiner Amtsvorgängerin)  auf die bekannt gewordenen Fälle mit klaren Worten reagiert und glaubwürdig eine Totalreform des Systems Strafvollzug eingefordert. Die aktuellen Berichte in der Zeitschrift FALTER zeigen, dass das System Widerstand gegen Reformen leistet. Dass bisher vor allem die AnzeigerInnen von Missständen mit unangenehmen Konsequenzen zu rechnen haben, ist ein Skandal, den vor allem auch die jeweilige unmittelbare Arbeitsumgebung zu verantworten hat.

Aus aktuellem Anlass ist daher festzuhalten:

– es muss ein Klima geschaffen werden, in dem es gewürdigt wird, wenn jemand Missstände aufzeigt. Beamtinnen und Beamten müssen besser über die Möglichkeiten von (anonymen) Anzeigen informiert werden. Sie müssen ermuntert werden, strafbare Handlungen und Grundrechtsverletzungen in ihrem Arbeitsumfeld anzuzeigen.
 
– Vorgesetzte und Ministerium sollten sich demonstrativ vor jene BeamtInnen stellen, die helfen, Missstände aufzuzeigen und abzustellen.
 
– Die jüngsten Medienberichte lassen vermuten, dass es eine erhebliche Dunkelziffer an Übergriffen gegen weibliche Strafgefangene gibt. Nachdem es sehr wenige weibliche Gefangene gibt, wäre ein leichtes, die in den letzten Jahren inhaftierten Frauen von weiblichen Polizeibeamten und StaatsanwältInnen zu allfälligen Übergriffen befragen zu lassen.
 
– Gefängnisinsassen haben einen sehr schwachen Rechtsschutz. Der Rechtsschutz muss dringend verbessert werden. Dafür gäbe es verschiendene Wege. Für wichtige Entscheidungen (Anhörung zur Frage der bedingten Entlassung) sollte die verpflichtende Beigebung eines Rechtsanwalts überlegt werden. Wichtige Anhörungen sollten videoaufgezeichnet werden. Wöchentliche Sprechstunden von RechtsanwältInnen in Justizanstalten könnten den Zugang der Häftlinge zu ihren Rechten erleichtern. Jeder Strafgefangene sollte zumindest ein bis zwei Mal jährlich ein längeres Gespräch mit einem Rechtsanwalt führen, für das wenn nötig Dolmetschung organisiert wird. Aktuell erfolgt die Verständigung im Strafvollzug überwiegend mit Hilfe anderer Gefangener. Missstände werden in einer solchen Struktur naturgemäß selten angezeigt.

– durch all diese Maßnahmen soll va auch die Mehrzahl der engagierten Beamtinnen und Beamten ermuntert werden.

 
– RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen begleiten Straftäter in der Regel bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Für den Strafvollzug fühlt sich keine dieser Berufsgruppen verantwortlich. Die Rechtsberufe sollten stärker in das System Strafvollzug eingebunden werden und in die Verantwortung dafür genommen werden.
 
– Der Staat hat eine Verpflichtung, die Grundrechte zu gewährleisten – auch und gerade gegenüber Menschen in Haft. Kann oder will der Staat die Grundrechte von Strafgefangenen nicht gewährleisten, so verliert er die Legitimation, Haft zu vollziehen. 

Verhetzung und Landfriedensbruch: Reformvorschläge

1) Verhetzung (§ 283 StGB)

Der
Tatbestand der Verhetzung findet sich seit Inkrafttreten des aktuellen
Strafgesetzbuches 1975 im Gesetz. Er stellt die Hetze gegen bestimmte
Bevölkerungsgruppen und den Aufruf zur Gewalt gegen diese Gruppen unter Strafe.
Nach heutigem Verständnis handelt es sich beim Verhetzungstatbestand um ein
Element des Antidiskriminierungsrechts. So sieht das österreichische Recht vor,
dass Job- und Wohnungsinserate neutral formuliert sein müssen und keine
diskriminierenden Kriterien enthalten dürfen. Die gesamte staatliche Verwaltung
ist zur Gleichbehandlung der Bürger ohne Unterschied nach Herkunft, Hautfarbe,
Sprache oder Weltanschauung verpflichtet. Abgerundet werden diese
Antidiskrimierungsbestimmungen durch den strafrechtlichen Tatbestand der
Verhetzung, der aktuell Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vorsieht.

Der
Tatbestand der Verhetzung steht seit längerer Zeit in der Kritik.
Internationale Evaluierungen wiesen immer wieder auf die im Ländervergleich
geringe Zahl der Verurteilungen hin (aktuelles Datenmaterial laut parlamentarischer Anfragebeantwortung 2014 hier). 
Zuletzt wurde eine Verschärfung des
Straftatbestands zur Bekämpfung radikaler islamistischer Gruppen gefordert.
Noch länger steht die aktuelle Gesetzesbestimmung in der Kritik der
mangelhaften Wirksamkeit gegen rechtsextreme Hetzparolen und gegen rassistische Aktivitäten.

Eine
Reform des Verhetzungsparagrafen erscheint geboten. Die aktuelle Bestimmung
weist mehrere Schwachstellen auf und erfüllt ihren Zweck der Abwehr
gesellschaftlicher Aufwiegelung nur unzureichend. 

Der
aktuelle Text des § 283 StGB lautet:

„§
283 StGB Verhetzung

(1)
Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu
gefährden, oder wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar zu Gewalt gegen
eine Kirche oder Religionsgesellschaft oder eine andere nach den Kriterien der
Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der
Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft,
des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung
definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe
ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder
aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2)
Ebenso ist zu bestrafen, wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen
eine in Abs. 1 bezeichnete Gruppe hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden
Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht.“

Zunächst
sollten die geschützten Personengruppen erweitert werden. Den bereits jetzt
geschützten Gruppen sollten alle sonstigen Minderheiten gleichgestellt werden.
Zu prüfen wäre, ob der Terminus der „Rasse“ noch zeitgemäß ist. Da
Religionen und Weltanschauungen im Schutzbereich des Tatbestands liegen erübrigt es sich, K
irchen oder und Religionsgemeinschaften zusätzlich anzuführen. 

Zentraler
Schwachpunkt des Absatz 1 ist jedoch die Passage „öffentlich auf eine Weise,
die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, oder wer für eine
breite Öffentlichkeit wahrnehmbar…“. Der Aufruf zur Gewalt gegen andere
Bevölkerungsgruppen ist eine schwere Störung der gesellschaftlichen Ordnung,
die strafbar sein soll. Sie gefährdet per se die öffentliche Ordnung. Auch
Diebstahl, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung sind immer
strafbar, ohne dass gesondert geprüft wird, ob die konkrete Tat die öffentliche
Ordnung gefährdet. Eine solche Prüfung ist auch bei der Verhetzung überflüssig;
sie schränkt die Anwendung der Bestimmung zu sehr ein. Dasselbe gilt für das
Kriterium der „breiten Öffentlichkeit“, das von der Rechtsprechung bei einem
Personenkreis ab etwa 150 Personen angenommen wird. Auch Botschaften, die im
kleinen Kreis verbreitet werden, haben ein Gefährdungspotenzial; umso mehr, als
sie heute mittels technischer Mittel (social media wie Facebook und Twitter,
Youtube usw) sehr schnell an einen großen Kreis von Menschen weitergeleitet
werden können. Die „breite Öffentlichkeit“ sollte daher aus dem Tatbestand
gänzlich entfallen.

Absatz
2 des Tatbestands stellt die Hetze unter Strafe. Hier kommt es bei der
Beschimpfung darauf an, ob dadurch eine Verächtlichmachung angestrebt wird und
ob die Beschimpfung in einer „die Menschenwürde verletzenden Weise“ erfolgt.
Auch diese Beschränkungen sind überflüssig: es ist ja keine öffentliche
Beschimpfung von Gehörlosen oder Menschen einer bestimmten Hautfarbe denkbar,
die die Menschenwürde nicht verletzt und nicht mit einer Verächtlichmachung
einhergeht.

Die
Europäische Union hat 2008 alle Mitgliedstaaten verpflichtet, rassistische und
fremdenfeindliche Straftaten unter Strafe zu stellen, und zwar durch den Rahmenbeschluss 2008/913/JI vom 28.11.2008 zur strafrechtlichen
Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit, Amtsblatt 2008 L 328/55
). In Artikel 1 des Rahmenbeschlusses
heißt es unter anderem:

„…(1)   Jeder
Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass
folgende vorsätzliche Handlungen unter Strafe gestellt werden:
a)
die
öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien
der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische
Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen
Gruppe;

b)
die
Begehung einer der in Buchstabe a genannten Handlungen durch öffentliche
Verbreitung oder Verteilung von Schriften, Bild- oder sonstigem Material;…“

Der
Rahmenbeschluss ermöglicht es den Staaten, nur solche Handlungen unter
Strafe zu stellen, die in einer Weise begangen werden, die geeignet sind, die
öffentliche Ordnung zu stören, oder die Drohungen, Beschimpfungen oder
Beleidigungen darstellen.

Bei
einer Reform des Verhetzungstatbestands erscheint eine Anhebung der
Strafobergrenze auf drei Jahre sachgemäß. Dies bedeutet eine Angleichung an die
Strafe beim Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Bei der
Formulierung ist es nahe liegend, den Begriff des „Hasses“ aufzugreifen, den
auch das Europäische Recht verwendet.

Im Sinne dieser Überlegungen und die modernen technischen Möglichkeiten von
Verhetzungshandlungen bedenkend könnte § 283 StGB folgendermaßen reformiert
werden:

„§
283 StGB Verhetzung

Wer
gegen eine nach den Kriterien der Hautfarbe, der Herkunft, der Sprache, der
Religion oder Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder
nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen, gegen
eine sonstige Minderheit, oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe bzw
Minderheit hetzt, oder eine dieser Gruppen oder eines ihrer Mitglieder unter
Bezugnahme auf die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe beschimpft, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer
zu Gewalt oder Hass gegen eine dieser Gruppen oder ihre Mitglieder aufruft.
 
Die
Tat ist nur strafbar, wenn sie öffentlich erfolgt. Dabei macht es keinen
Unterschied, ob die Tat direkt vor anderen erfolgt oder im Wege von Schriften,
Bildern oder über elektronische und sonstige Medien, die eine Verbreitung der
Botschaft erwarten lassen.“

Zu überlegen wäre allenfalls eine Entschärfung (Privilegierung) für jene Fälle, in denen Beschimpfungen im Zuge eines Streits in einem kleineren Rahmen erfolgen (Bassenastreitigkeiten).


2) Landfriedensbruch (§ 274 StGB)

Der Straftatbestand des Landfriedensbruchs fand zuletzt im Zusammenhang mit Demonstrationen und Fussballspielen Anwendung. Dies stieß öffentlich und in Fachkreisen auf Kritik, da eine Ausuferung der Anwendung der Strafbestimmung und eine Einschränkung des Demonstrationsrechts befürchtet wurde. Umgekehrt steht es mit sonstigen Strafdrohungen des Strafgesetzbuches in Widerspruch, dass die Organisation von Menschenansammlungen, die auf einen Mord abzielen, bloß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist.
Aktuell lautet § 274 StGB (Landfriedensbruch):

„(1) Wer wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilnimmt, die darauf abzielt, daß unter ihrem Einfluß ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werde, ist, wenn es zu einer solchen Gewalttat gekommen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2) Wer an der Zusammenrottung führend teilnimmt oder als Teilnehmer eine der im Abs. 1 angeführten strafbaren Handlungen ausführt oder zu ihrer Ausführung beigetragen hat (§ 12), ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(3) Nach Abs. 1 ist nicht zu bestrafen, wer sich freiwillig aus der Zusammenrottung zurückzieht oder ernstlich zurückzuziehen sucht, bevor sie zu einer Gewaltanwendung geführt hat, es sei denn, daß er an der Zusammenrottung führend teilgenommen hat.“

Im Lichte der aktuellen Diskussion könnte der Straftatbestand folgendermaßen neu formuliert und auf seine ursprüngliche Zielsetzung zurückgeführt werden:

„(1) Wer eine Menschenansammlung mit dem Vorsatz organisiert, dass unter ihrem Einfluss ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werde, ist, wenn es zu einer solchen Tat gekommen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Ebenso ist zu bestrafen, wer mit diesem Vorsatz Führungs- und Leitungsaufgaben in der Ansammlung übernimmt oder eine aus anderen Motiven entstandene Versammlung dazu missbraucht aktiv darauf hinzuwirken, dass unter ihrem Einfluss ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen wird.

(2) Wer an einer solchen Menschenansammlung bloß teilnimmt ist nur dann strafbar, wenn die Teilnahme mit dem Vorsatz erfolgt, die Begehung eines Mordes (§ 75), eines Totschlags (§ 76), einer Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schweren Sachbeschädigung (§ 126) zu befördern und wenn es tatsächlich zu einer solchen Tat kommt. In diesem Fall ist die Teilnahme, wenn sie nicht nach anderen Bestimmungen strenger zu bestrafen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

Die Sprachlosigkeit der Justizverwaltung – Kommentar der Anderen für die Tageszeitung Der Standard am 8.9.2014

Von Oliver Scheiber
 
Richter(schaft) und
Journalisten sind sich in den letzten Wochen wenig schuldig geblieben.
Gegenseitig wurden Personalauswahl und Qualität der Arbeit in Frage gestellt.
Unmittelbarer Anlass war das Strafverfahren gegen den Demonstranten Josef S.
Kritik an der Justiz kam auch von ausländischen Qualitätsmedien wie ARD, ZDF,
Spiegel und Neuer Zürcher Zeitung.
 
Die Rahmenbedingungen von
Rechtsprechung haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. Im Strafrecht
ist die Sanktionenpalette breiter, im Familienrecht sind mediative und
sozialarbeiterische Elemente wichtig geworden. Einer mitunter aggressiven Litigation-PR,
also Öffentlichkeitsarbeit von Verdächtigen und Verfahrensparteien, kann die
Justiz auf Grund ihrer Verpflichtung zur Sachlichkeit oft nur beschränkt etwas
entgegensetzen. Früher gab es ab und zu einige Zuhörer im Gerichtssaal. Nun
sind zwar Fernsehübertragungen von Verhandlungen nach wie vor unzulässig, doch
Journalisten und Aktivisten berichten über Twitter und Liveticker im Internet
aus dem Gerichtssaal. Sie erreichen in Sekundenschnelle tausende Leser. Sie
nennen die Namen von Richtern und Staatsanwälten und deren vermeintliche und
tatsächliche Fehler. Dies schafft einerseits verfahrensrechtliche Probleme
(Zeugen sollen zB die Aussagen früher vernommener Personen nicht kennen) und es
erhöht den Druck, unter dem Richter und Staatsanwälte in öffentlichkeitswirksamen
Fällen ohnedies stehen.
 
Viele Richter und Staatsanwälte kommen mit diesem Druck zurecht. Denn die heutige Generation von Richtern und Staatsanwälten ist wesentlich besser ausgebildet, sozial kompetenter und engagierter als vorangehende Generationen.
 
Die Bevölkerung erwartet sich von der Justiz heute eine offene, leicht verständliche, nicht länger abgehobene Erklärung der Arbeit von Gericht und Staatsanwaltschaft; nicht nur im einzelnen Verfahren, auch im Großen. In den letzten Jahren wurden viele Richter und Staatsanwälte in Pressearbeit geschult. Richter besuchen Schulklassen, um Jugendlichen die Rechtsprechung näher zu bringen. Verfassungsgerichtshof und Oberster Gerichtshof verfügen über zeitgemäße Internetauftritte. Auf ein Social Media Management, wie es etwa die Universität Wien eingerichtet hat, verzichtet die Justiz bislang noch. 
 
Richter und Staatsanwälte waren lang in einem Elfenbeinturm tätig. Mittlerweile sind Journalisten regelmäßig Vortragende und Diskutanten in Justizseminaren. Die Entfremdung der letzten Wochen zwischen Medien und Justiz deutet darauf hin, dass diese Begegnungen das Verhältnis zueinander nicht wirklich entkrampft haben. Einerseits lösen Medien nach wie vor Ängste aus; Teile der Justiz sehen die Medien zudem offenkundig nicht als gleichberechtigt und finden auch keinen Draht zur Zivilgesellschaft.
 
Der moderne Rechtsstaat lebt von checks and balances, von der wechselseitigen Kontrolle der Staatsgewalten. Bei der Rechtsprechung und damit Bewahrung des Rechtsfriedens steht die Justiz nicht über, sondern neben Gesetzgebung und Verwaltung. Die Rolle der Medien als public watchdog wiederum hat der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen betont. Tatsächlich sind viele prominente Strafverfahren der Zweiten Republik nur auf Druck der Medien eingeleitet oder weitergeführt worden: von AKH-, Noricum- und Lucona-Affäre in den 1970er/80er-Jahren bis zu den jüngeren Causen Eurofighter, BUWOG oder Birnbacher. 
 
Medien sind daher im Rechtsstaat nicht die Gegner, sondern die natürlichen Verbündeten der Strafjustiz. Beispielhaft zeigt die Korruptionsbekämpfung dieses Zusammenspiel. Nicht selten nimmt die Justiz von den Medien aufgeworfene Bälle auf. Umgekehrt gab es auch Perioden eines schwächelnden Aufdeckungsjournalismus, in denen die Justiz durch konsequente Ermittlungen auffiel. Die Arbeit der kompetenten Generation von Aufdeckungsjournalistinnen und –journalisten, über die Österreich heute verfügt, ist für den Rechtsstaat enorm wichtig – und das ist gerade auch aus Sicht der Rechtsprechung anzuerkennen. Medien und Strafjustiz funktionieren wie kommunizierende Gefäße, zwei Spieler im demokratischen Gefüge, die sich gegenseitig ergänzen. Natürlich existiert auch ein wenig fakteninteressierte Boulevardjournalismus; man muss ihn nehmen wie er ist, in den Schranken des Medienrechts.
 
Die letzten Wochen haben eine Sprachlosigkeit der Justizverwaltung offenbart. Das ist schade. Denn die österreichische Justiz liegt in vielen Bereichen (nicht nur bei der – im Vergleich kurzen –  Verfahrensdauer) im europäischen Spitzenfeld. Studien von Europarat und EU bestätigen dies regelmäßig. Defizite in der Medienarbeit, mangelnde Kommunikation führen dazu, dass diese Leistungen zu wenig ins öffentliche Bewusstsein dringen. 
 
Mediale Kritik an der Justiz ist freilich trotzdem legitim. Richter und Staatsanwälte sind von der Verfassung  mit viel Macht ausgestattet, sie greifen täglich in Schicksale ein. Dass sich eine solche Tätigkeit der öffentlichen Kontrolle stellt, ist eine Selbstverständlichkeit – deshalb sind ja Gerichtsverhandlungen öffentlich. Die gedankliche Konstruktion einer Sonderrolle für die Justiz, wie sie mitunter anklingt, wäre eine Anmaßung.
 
Eine kluge Justizverwaltung wird den Weg der Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit weitergehen, PR-Profis in die tägliche Medienarbeit einbinden und sich offensiv in einer der Rechtsprechung angemessenen Form erklären – Medienarbeit ist eine Bringschuld der Justiz gegenüber der Öffentlichkeit. Mediale Kritik ist grundsätzlich bedenkenswert. Im Fall Josef S. hätte wohl eine zeitgerechte, professionell kommunizierte kurze Klarstellung einer höheren Justizstelle zum unbestrittenen Wert der Demonstrationsfreiheit viele Zweifel zerstreut und die mediale Eskalation verhindert.
Richter bzw Staatsanwälte und
Journalisten sollten verbal rasch wieder abrüsten – beide erfüllen wichtige
Aufgaben und verdienen dennoch keinen Sonderstatus. Begegnen sie einander mit
Respekt, wird es nicht nur dem Rechtsstaat, sondern auch dem Ansehen beider
Berufsgruppen in der Bevölkerung gut tun.
Der Autor gibt hier ausschließlich seine persönliche
Ansicht wieder.