Den Fall Miklautz für Reformen nutzen! – Kommentar der Anderen für den Standard

Die Justiz hat einen schweren Fehler schnell korrigiert. Immerhin. Doch es sind Grundsatzfragen zu klären

Es waren turbulente Tage für die Justiz. Der Kärntner Aufdeckungsjournalist Franz Miklautz hat über fragwürdige Vorgänge in der Klagenfurter Stadtverwaltung berichtet. Die Stadt zeigte ihn an, die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses gegen den Journalisten ein und nahm ihm Mobiltelefon und Datenträger ab. Einen Tag nach dem breiten öffentlichen Aufschrei gegen das Vorgehen gegen einen Journalisten und dem damit verbundenen Eingriff in die Pressefreiheit stellte die Oberstaatsanwaltschaft Graz im Einvernehmen mit dem Justizministerium das Verfahren ein und gab Mobiltelefon und Computer wieder frei.

„Die Pressefreiheit ist ein unumstößliches Grundprinzip unserer Demokratie“, man habe „rasch und entschieden gehandelt“, sagt Ministerin Alma Zadić.
APA/GEORG HOCHMUTH

Das Positive zuerst: Wohl noch nie hat die Justiz einen (schweren) Fehler in einer heiklen Causa so schnell korrigiert. Für ein grundsätzlich repressives System, und das ist die Justiz genau so wie die Polizei, ist das ein großer Schritt. Gegenüber vergleichbaren Fällen wie der BVT-Hausdurchsuchung oder der Begründung der Einstellung im Aula-Strafverfahren ist das ein bemerkenswerter Fortschritt.

„Dieses kafkaeske Berichtswesen in clamorosen Strafsachen führt zu teilweise jahrelangen Verzögerungen.“

Nichtsdestotrotz sollte der Fall Anlass sein, Grundsatzfragen zu diskutieren. Da ist zunächst das Berichts- und Weisungswesen, das die Staatsanwaltschaften prägt. Während die Masse der Strafverfahren autonom innerhalb einer Staatsanwaltschaft abgehandelt wird, werden die sogenannten clamorosen Verfahren, also Strafverfahren von potenziell öffentlichem Interesse, durch eine lange Kette von mehr als zehn Personen von der Staatsanwaltschaft bis ins Justizministerium mitverfolgt und geprüft. So entsteht eine Zweiklassenjustiz, in der Ermittlungen gegen Normalbürgerinnen und Normalbürger ganz anders behandelt werden als die öffentlichkeitswirksamen Verfahren. Dieses kafkaeske Berichtswesen in clamorosen Strafsachen führt zu teilweise jahrelangen Verzögerungen. Ein Mehrwert an Qualitätssicherung wurde noch nie nachgewiesen.

Zudem steht in diesem System ein Regierungsmitglied an der Spitze der Staatsanwaltschaften. Auch wenn die Justizministerin im Anlassfall in positiver Weise interveniert hat – mit dieser Verquickung von Regierung und Gerichtsbarkeit wäre heute ein Beitritt zur EU undenkbar. Das österreichische System entspricht keinem modernen rechtsstaatlichen Standard. Bei einer Reform könnte man sich an der neuen Europäischen Staatsanwaltschaft orientieren, in der die Qualitätssicherung durch eine interne Kontrollinstanz in Form eines Kollegialorgans stattfindet.

Großer Einsatz

Bei zehntausenden jährlichen Strafverfahren lassen sich einzelne Fehler nie vermeiden. Dennoch muss sich die Justiz wohl die Frage gefallen lassen, wie eine Staatsanwaltschaft nach Berichten über mögliche Verwaltungsmissstände auf die Idee kommen kann, gegen den Aufdeckungsjournalisten zu ermitteln; anstatt mögliche Missstände, bei denen es um Steuergelder geht, zu untersuchen. In der Kommunikation ihrer Einstellungsweisung führt die Oberstaatsanwaltschaft Graz aus, die zuständige Staatsanwaltschaft sei „in Bezug auf den Schutz von Berufs- und Redaktionsgeheimnissen sensibilisiert“ worden.

Damit sind Aus- und Fortbildung der Justiz angesprochen. Die Verantwortlichen der Justizausbildung sind auf allen Ebenen hochmotiviert und leisten Außerordentliches. Mit großem Einsatz wird die Unterdotierung bestmöglich kompensiert; ähnlich wie die österreichische Fußballnationalmannschaft spielt die Justizfortbildung in einem aus der Zeit gefallenen Stadion. Strukturen und Ressourcendotierung verfehlen die heute in Europa üblichen Standards.

Moderne Akademie

Nahezu alle europäischen Staaten verfügen über Justizakademien, an denen didaktisch und inhaltlich hochwertige Aus- und Fortbildungen mit angemessenen Budgets organisiert werden. Seit vielen Jahren steht die Schaffung einer solchen Justizakademie in den Regierungsprogrammen, auch diesmal. Aber noch immer verfügt Österreich als einer der letzten Staaten Europas über keine moderne Akademie, an der man ein Modulsystem mit Fachausbildung genauso implementieren könnte wie themenspezifische Sensibilisierungen wie eben zur Pressefreiheit.

Der Fall Miklautz könnte also im besten Fall gleich zwei nachhaltige wichtige Reformen auslösen: die Reform der Kontrolle der Staatsanwaltschaften nach dem Modell der Europäischen Staatsanwaltschaft und die Gründung einer Justizakademie nach modernen Standards. (Oliver Scheiber, 24.6.2023)

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