Die Wahrung der Würde des Menschen in der gedolmetschten Kommunikation

Die Wahrung der Würde des Menschen in der gedolmetschten Kommunikation – eine Annäherung aus philosophischer und rechtlicher Sicht

Beitrag zum Band „Dolmetschen als Dienst am Menschen“ (2021)

Der Beitrag untersucht, welche Rolle der Begriff der Würde für das Dolmetschen im öffentlichen Raum spielt. Am Beginn steht eine kurze philosophische Annäherung an den Begriff der Würde, der der Arbeit von Mira Kadrić folgt. Daran schließt eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Würde an. Gezeigt wird, dass es sich bei der Würde um einen grundlegenden Baustein des europäischen Verfassungsrechts handelt, der immer öfter in Richtlinien der Europäischen Union bearbeitet wird. Schließlich erfolgt die Anwendung der philosophisch-rechtlichen Grundlagen auf das konkrete Setting des Gerichts- und Behördendolmetschens.

„Sprachen und Identitäten sind bewegliche Annahmen, die sich politisch und gesellschaftlich ständig verändern und neu konstruieren. Der Umgang mit ihnen hat Symbolcharakter, er ist Maßstab für den Reifegrad einer Gesellschaft.“ (Kadrić 2012:25)

1 Die Würde im Werk von Mira Kadrić

So alt wie die Universitäten ist auch das Bestreben, mit der Wissenschaft dem Menschen zu dienen. Die Hochschulen bekennen sich seit jeher zu einem gesellschaftlichen Auftrag. Heute finden wir das ausdrückliche Bekenntnis dazu in ähnlichen Formulierungen in vielen Satzungen von Hochschulen. Wissenschaft und Forschung sollen demnach zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse von Menschen beitragen.

Mira Kadrić (2016) hat dieses Streben, mit der Wissenschaft dem Menschen zu dienen, als Titel eines Aufsatzes gewählt („Dolmetschen als Dienst am Menschen“) und verbindet es für den Bereich der Dolmetschwissenschaft und Dolmetschdidaktik mit dem Bemühen um die Wahrung der Würde des Menschen (Kadrić 2016:107). Sie geht davon aus, dass die Wahrung der Würde grundsätzlich in allen gedolmetschten Situationen eine Rolle spielt; bei der Dolmetschung im öffentlichen Raum, etwa in medizinischen, psychosozialen und rechtlichen Settings (Kadrić 2016:110). Das Bewusstsein um die Bedeutung der Würde bei der translatorischen Tätigkeit beschäftigt Kadrić insbesondere im Zusammenhang mit der Ausbildung – sie sieht die didaktische Herausforderung darin, angehenden TranslatorInnen eine Haltung im Umgang mit Menschen zu vermitteln, die die Wahrung der Würde in gedolmetschten Kommunikationsprozessen sicherstellt (Kadrić 2016:111 und 115).[1]

Dieser Beitrag will den Gedanken der Bedeutung der Würde für die gedolmetschte Gerichts- und Behördenkommunikation weiterführen und insbesondere den bisher wenig erörterten rechtlichen Aspekt der Würde untersuchen.

1.1 Philosophische Annäherungen an die Würde

Zum Begriff der Menschenwürde finden sich in der Philosophie zwei große Konzepte. Das heteronomische Konzept geht auf die griechisch/römische Stoa zurück und wurde vom Christentum übernommen. Würde beruht demnach auf der Wahl eines moralisch guten Lebens; wer eine andere Wahl trifft, verfehlt seine Würde als Mensch. Das autonomische Konzept geht auf die europäische Renaissance zurück; es sieht die Würde des Menschen in seiner Willensfreiheit und der Möglichkeit, anders als Tiere, das Leben frei zu gestalten (Näheres zu beiden Konzepten bei Tiedemann 2012:117 und 157ff.).

Kadrić nimmt bei ihrer Untersuchung der Bedeutung der Würde für translatorische Prozesse und translationsdidaktische Konzepte Bezug auf den Philosophen und Schriftsteller Peter Bieri (Kadrić 2016:107ff.). Bieri hat der Würde ein gesamtes Buch gewidmet, das er mit der Fragestellung einleitet: „Die Würde des Menschen – das ist etwas Wichtiges und etwas, das nicht angetastet werden darf. Doch was ist es eigentlich? Was ist es genau?“ (Bieri 2015:11 ). Der Zugang Bieris ist ähnlich den Zugängen der Rechtswissenschaft: Die Annäherung an den Begriff der Würde erfolgt bei Bieri unter anderem über Verhaltensweisen, die allgemein als Verletzung der Menschenwürde angesehen werden. „Was alles kann man jemandem wegnehmen, wenn man seine Würde zerstören will? Oder auch: was darf man jemandem auf keinen Fall wegnehmen, wenn man seine Würde schützen will? Auf diese Weise erhält man eine Übersicht über die vielen Facetten der Würde, sofern sie von anderen abhängt […]“ (Bieri 2015:12). Bieri sieht die Würde als bestimmten Umgang mit existenziellen Gefahren: „Unser Leben als denkende, erlebende und handelnde Wesen ist zerbrechlich und stets gefährdet – von außen wie von innen. Die Lebensform der Würde ist der Versuch, diese Gefährdung in Schach zu halten. Es gilt, unser stets gefährdetes Leben selbstbewußt zu bestehen. […] Die Lebensform der Würde ist deshalb nicht irgendeine Lebensform, sondern die existenzielle Erfahrung der Gefährdung.“ (Bieri 2015:15) Würde bedeutet bei Bieri unter anderem ein Subjekt zu sein (Bieri 2015:20). Das schlägt eine wichtige Brücke zum Recht – wurden doch etwa Kinder bis vor nicht allzu langer Zeit im Familienrecht eher als Objekte behandelt, über die es im Fall der Trennung der Eltern zu verfügen gilt – erst in jüngerer Zeit ist ein ernsthafter Wandel hin zur Orientierung am Wohl des Kindes erfolgt.[2] Das auch noch recht junge Verbot der körperlichen Züchtigung durch die Eltern erlaubt die These, dass das Recht den Kindern erst spät Würde zugestanden hat. Bieri (2015:33) sagt es so: „Wenn man uns als Subjekt mißachtet oder als bloßes Mittel mißbraucht, fühlen wir uns gedemütigt. Demütigung ist die Erfahrung, daß uns jemand die Würde nimmt.“[3]

Die Unmöglichkeit, sich zu äußern oder zu verstehen, bedeutet eine besondere Form der Demütigung. Die Betroffenen werden zu Handlungsunfähigen gemacht. Nimmt man einem Menschen die Sprache, ist er zur Ohnmacht verurteilt. Dies gilt für Menschen, die vor Gerichten und Behörden keine ausreichende Dolmetschung erhalten; es galt früher für gehörlose Kinder, die man in Sonderschulen unterbrachte und denen man regelmäßig den Gebrauch der Gebärdensprache untersagte. Bieri (2015:35) definiert die Würde deshalb unter anderem als das Recht, nicht gedemütigt zu werden – eine Definition, die rechtlich dem Zugang der internationalen Staatenübereinkommen zu entsprechen scheint. Kadrić will der Gefahr der von Bieri beschriebenen Demütigung durch Empowerment und die Befreiung von Menschen aus Unterdrückungssituationen entgegenwirken[4] und nimmt dabei insbesondere Bezug auf Brecht (Kadrić 2011:77f), Buber (Kadrić 2011:72) und den Theaterpädagogen Augusto Boal (Kadrić 2011:75ff).[5]

Eine Verletzung der Würde ist aber nicht nur das Nicht-Verrstehen-Können, sondern auch das Nicht-Verstehen-Dürfen. Bieri (2015:121) belegt das mit Kafkas Der Prozeß und dem Einleitungssatz des Romans: „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Man fühlt sich an Kadrićs wiederholte Ausführungen zur fairen und umfassenden Kommunikation[6] erinnert (Kadrić 2019:171), wenn Bieri weiter mit dem Prozeß argumentiert:

So ist es auch, wenn es nicht nur um Information geht, sondern um Erklären und Verstehen. Nicht nur darum, was geschieht, sondern warum. K‘s Ohnmacht und Demütigung besteht durch das ganze Buch hindurch vor allem darin, daß lauter Dinge zu ihm gesagt und mit ihm gemacht werden, die er nicht verstehen kann, weil sie ihm niemand erklärt. Er erfährt bis zum Schluß nicht, warum er verhaftet, angeklagt und hingerichtet wird. Er wird in seiner Würde verletzt als einer, der verstehen möchte, was mit ihm geschieht. […] Wiederum geht es nicht einfach darum, daß eine Erklärung für etwas fehlt. Die Demütigung besteht darin, daß sie uns vorenthalten wird.“ (Bieri 2015:124 )

Bieri verweist auf die Gefährdung der Würde, die mit besonders wichtigen Bereichen verbunden ist und nennt hier Gesundheit und Recht. Und er verweist darauf, dass neben eine vorenthaltene Information und Erklärung oft noch die verweigerte Begründung oder Rechtfertigung eines Tuns tritt, die einen Menschen direkt betrifft (Bieri 2015:126). Wir sind direkt im Gerichts- und Behördenalltag und auch beim Gerichtsdolmetschen, wenn Bieri (2015:125) zum Recht auf Verstehen – einem der zentralen Kriterien des fairen Verfahrens nach der Menschenrechtskonvention – ausführt:  

Wenn wir ohne Begründung abgeurteilt, versetzt oder entlassen werden, empfinden wir das als eine Verletzung unserer Würde. […] Die Geschichte von Josef K. ist die Geschichte einer Vernichtung. Auch die einer physischen Vernichtung, einer Hinrichtung. Aber vor allem die einer Vernichtung der Person, die darin besteht, daß ihre Würde vernichtet wird. Und es diese besondere Art der Würde, die vernichtet wird: das Recht zu verstehen, was mit dem eigenen Leben geschieht.

Das lässt sich durch ein Beispiel aus der Behördenpraxis veranschaulichen: Wer in Österreich Mindestsicherung bezieht, verpflichtet sich der Behörde, Auslandsaufenthalte zu melden. In den letzten Jahren geschieht es immer wieder, dass erst seit kurzem in Österreich lebende Asylberechtigte für einige Tage zu einem Begräbnis eines Verwandten ins Ausland reisen. Sie finden sich kurz darauf vor dem Strafgericht wieder, angeklagt des Betrugs an der Behörde. Oft sind es ältere Menschen, die weder die Belehrung über die Verpflichtung zur Meldung der Auslandsreise verstanden haben, noch wissen können, wie ihnen vor dem Strafgericht geschieht. Solche Szenarien sind Kafka näher, als es uns recht sein darf.

Auch wenn sich Kadrić in ihren Betrachtungen erstmals 2016 explizit auf die Würde beruft (2016:107ff.) – inhaltlich hat sie in ihren Untersuchungen des Dolmetschprozesses seit jeher die Würde mehrerer Player im Auge. Es geht bei ihren Forschungen zum Gerichts- und Behördendolmetschen immer darum, allen Beteiligten gleiche Chancen, also Fairness durch eine bestmögliche Kommunikationsstruktur zu bieten (Kadrić 2014a:138 sowie Kadrić 2019:77 und 158). Kadrić beruft sich dabei regelmäßig auf das rechtliche Gebot bzw. Grundrecht des fairen Verfahrens (Kadrić 2019:174ff.). Die Personen, deren Rechte durch eine qualifizierte Dolmetschung gewahrt werden sollen, sind bei Kadrić zunächst einmal die Menschen, die als Parteien oder ZeugInnen an einem Gerichts- und Behördenverfahren beteiligt sind. Sie sollen gleichberechtigt kommunizieren können und ein faires Verfahren genießen. Kadrić weist zutreffend darauf hin, dass es bei der Gerichtsdolmetschung nicht nur um die Wahrung der Rechte fremdsprachiger Beteiligter geht – vielmehr soll die Dolmetschung auch jenen Personen, die die Amtssprache verstehen, eine störungsfreie Kommunikation garantieren (Kadrić 2019:17). Schließlich ermöglicht die Dolmetschung den Behörden die Erfüllung ihrer Aufgabe, ein faires Verfahren durchzuführen (Kadrić 2019:17). Über die Verfahrensbeteiligten und Behörden hinaus hat Kadrić aber auch die Dolmetschenden selbst im Blick – ihnen müsse mehr Aufmerksamkeit als KommunikationsträgerInnen zuteil werden (Kadrić 2019:158).

Aus der Tatsache, dass die Dolmetschung so vielen Beteiligten dient, leitet Kadrić eine Verpflichtung der Dolmetschenden zur Allparteilichkeit ab: Dolmetschende müssten allen am Verfahren Beteiligten gegenüber loyal und sein und ihnen gleich nah stehen bzw. gleich fern bleiben (Kadrić 2019:77). Berufsethisch fordert Kadrić ein System, das Verantwortungs- und Gesinnungsethik verbindet (Kadrić 2019:137).

1.2 Die Würde im Recht

Die Würde spielt in der rechtswissenschaftlichen Diskussion und Literatur nicht die Rolle, die ihr längst zukommen müsste. Selbst JuristInnen sehen die Wahrung der Würde oft als achtenswerte ethische Forderung, die rechtlich nicht geboten wäre. Sie übersehen, dass die Wahrung der Würde das zentrale Gebot der europäischen Rechtsordnung ist.

Zur Menschenwürde gelangen wir in rechtswissenschaftlichen Schriften meist über den Begriff der Menschenrechte. Oder umgekehrt formuliert: Am öftesten stoßen wir bei der Erörterung der Menschenrechte auf den Begriff der Würde des Menschen bzw. der Menschenwürde – das ist nahe liegend, wenn wir an grundlegende Gebote der Rechtsordnung wie das Folterverbot oder das Verbot der Sklaverei denken. Seit den 1960er-Jahren werden die Menschenrechte in der Literatur von der Menschenwürde abgeleitet (Tiedemann 2012:9). Dabei sind Menschen- und Grundrechtskataloge älter als die an sich naheliegende Verknüpfung von Menschenwürde und Menschenrechten. Vor dem 20. Jahrhundert findet sich der Begriff der Menschenwürde gar nicht im Recht (Tiedemann 2012:9). Erst die schwersten Verletzungen der Menschenwürde der jüngeren Geschichte, der Faschismus und insbesondere der Nationalsozialismus mit seinen Massenverbrechen und der versuchten Auslöschung der Jüdinnen und Juden haben eine Konzentration auf den Begriff der Würde bewirkt. 1945 begegnen wir in der Gründungsurkunde (Charta) der Vereinten Nationen dem Begriff der Würde erstmals in einem internationalen Vertrag. Die Präambel der Charta beruft sich auf den „Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Person.“ In der 1948 beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“

Tiedemann (2012:182) belegt, dass der Begriff der Menschenwürde nach 1945 den Legitimationsgrund dafür bildete, die Menschenrechte zu universalisieren und dem alleinigen Zugriff der nationalen Verfassungs- und Gesetzgebung zu entziehen (Tiedemann 2012:182). So gelang es, die Menschenrechte zum übernationalen Standard zu machen, an dem sich nationales Recht messen muss. Nationales Recht, das den internationalen Menschenrechtskodifikationen widerspricht, wird zum Unrecht. Diese geänderte Ordnung markiert die Lehre aus Weltkriegen und Faschismus und den großen Fortschritt, den das Recht 1945 gefunden hat. Dieser Entwicklungssprung des Rechts ist direkt mit dem Einzug des Begriffs der Würde in das Recht verbunden. Wenn in den letzten Jahren internationale Menschenrechtskonventionen infrage gestellt werden, dann wird damit ein Konzept angezweifelt, das auf der Würde des Menschen aufbaut.

In der 1950 begründeten, bis heute bedeutenden Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kommt der Begriff der Würde nicht vor.[7] Doch bereits seit 1978 verwendet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der die EMRK anwendet und auslegt, den Begriff regelmäßig in seinen Entscheidungen. Der Gerichtshof scheint dabei unter Menschenwürde das zu verstehen, was durch eine erniedrigende Behandlung verletzt wird (Tiedemann 2012:36).[8] In ähnlicher Weise gebraucht der österreichische Verfassungsgerichtshof den Begriff der Menschenwürde ab Ende der 1970er-Jahre in seiner Rechtsprechung. Auch er zieht die direkte Folgerung von einer erniedrigenden Behandlung zur Verletzung der Menschenwürde.

Kaum ein (Einleitungs)Satz im Rechtsbereich hat solche Bekanntheit erlangt wie Artikel 1 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes. Er lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das deutsche Grundgesetz ist höchstes deutsches Verfassungsrecht. Es wurde im Mai 1949 erlassen. Die Bezugnahme auf die Würde des Menschen in der einleitenden Bestimmung war damals Ausdruck der Lehren aus der kurz zurückliegenden Erfahrung von Nationalsozialismus und Krieg. In ganz Europa galt und gilt diese deutsche Verfassungsbestimmung bis heute als gemeinsamer europäischer Grundkonsens der Absage an Faschismus und Diktatur. Im Jahr 2000 verständigte sich die Europäische Union auf ein eigenes Menschenrechtsdokument und beschloss die Europäische Grundrechtecharta. Die Charta schließt an das deutsche Grundgesetz an; ihr Artikel 1 („Würde des Menschen“) lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Rechtskraft erlangte die Charta am 1. Dezember 2009, gemeinsam mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. Auch der Vertrag über die Europäische Union (ABl 2012/326,1) erwähnt die Menschenwürde. Artikel 2 enthält eine Aufzählung der Grundwerte der Union und nennt dabei „[…] die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“. Artikel 21 des Vertrags schließt bei den Bestimmungen über die Außenbeziehungen an Artikel 2 an:

Die Union lässt sich bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen leiten, die für ihre eigene Entstehung, Entwicklung und Erweiterung maßgebend waren und denen sie auch weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen will: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Achtung der Menschenwürde, der Grundsatz der Gleichheit und der Grundsatz der Solidarität sowie die Achtung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Menschenwürde immer wieder als Grundwert der Verfassung (Tiedemann 2012:552). Nach Bryde/Jentsch (2006:622) ist

der Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG […] keinerlei Einschränkungen zugänglich. Die Würde des Menschen ist der oberste verfassungsrechtliche Grundwert […] und zugleich als wichtigste Wertentscheidung tragendes Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes […]. Deswegen unterliegt die Garantie der Menschenwürde, wie der Wortlaut des Grundgesetzes (‚unantastbar‘) verdeutlicht, auch keinen Einschränkungen durch andere Verfassungsgüter.

Nichts anderes kann im Hinblick auf die EU-Grundrechtecharta für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten. Die Würde des Menschen ist oberster Verfassungsgrundsatz der Union, an dem sich alles staatliches Handeln zu orientieren hat – das gilt für die Gesetzgebung genauso wie für Verwaltung und Rechtsprechung. Die Wahrung der Menschenwürde impliziert zunächst einmal den Schutz des Lebens, die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und den Schutz vor Folter und erniedrigender Behandlung. Es geht bei der Wahrung der Würde im rechtlichen Sinn aber auch um die Mitwirkung am politischen Prozess, also um Partizipation (näher dazu Pernthaler 2006:628f).[9]

Die europäische Ebene spielt beim Ausbau des Schutzes der Menschenwürde generell eine zentrale Rolle. Europäische Union und Europarat haben in den letzten Jahren ambitionierte Bemühungen um den rechtlichen Schutz schwacher und verletzlicher Personengruppen – zu denen auch jene Menschen zählen, die die jeweilige Amtssprache nicht beherrschen – unternommen. Das erste Harmonisierungsprojekt der Europäischen Union auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts war dem Gerichtsdolmetschen gewidmet – ein breites Konsultationsverfahren von Rechts- und Translationswissenschaft mündete in die Erlassung der sogenannten Dolmetschrichtlinie (Richtlinie 2010/64/EU).[10]

Nach der Dolmetschrichtlinie hat die Europäische Union eine weitere Reihe von Gesetzeswerken (Richtlinien) erlassen, die sich mit den Rechten von Angeklagten, Opfern und Beteiligten im Strafverfahren und immer wieder mit Dolmetschfragen beschäftigen. Auch wenn der Begriff der Würde darin nur sporadisch explizit erwähnt wird, so sind diese Richtlinien nach ihrer Begründung und ihrem Text ganz klar der Sicherung des fairen Verfahrens und damit in einem weiteren Sinne auch der Wahrung der Würde von Menschen gewidmet, die rechtliche Ansprüche durchsetzen möchten bzw. vor Gericht stehen.[11] In jüngster Zeit hat die EU-Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie die Menschenwürde angesprochen.[12]

Im nationalen österreichischen Recht ist die wohl grundsätzlichste, jedenfalls aber älteste Bestimmung zur menschlichen Würde der in Fachkreisen bekannte § 16 ABGB. Die Bestimmung ist über 200 Jahre alt (in Kraft getreten am 1.1.1812) und lautet: „Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.“ Der erste Satz ist in seiner Modernität beachtlich, der zweite Satz verweist auf die Zeit, der er entstammt. § 16 ABGB gilt der Rechtsprechung und Literatur als Kernbestimmung zu den Persönlichkeitsrechten und wird in Verbindung zur Menschenwürde ausgelegt (Rummel/Lukas, Rz 44 zu § 16 ABGB). § 16 ABGB wird zu den Grundprinzipien der österreichischen Rechtsordnung gezählt; deshalb werden ausländische Normen, die die Menschenwürde verletzen, in Österreich nicht angewandt. (Rummel/Lukas, Rz 60 zu § 16 ABGB). § 16 ABGB hat für verschiedenste Rechtsbereiche Bedeutung.

Die Wahrung der Würde lässt sich also als Eckpfeiler unserer Rechtsordnung bezeichnen. In bestimmten Rechtsgebieten kommt der Würde erhöhte Bedeutung zu, und ihr Begriff wird dort öfter (aber immer noch erstaunlich selten) erwähnt als in anderen Rechtsbereichen. Hohe Bedeutung hat die Wahrung der Würde etwa in allen Gesetzeswerken, die sich mit Beginn und Ende des Lebens (Sterbehilfe etc.) befassen sowie mit dem Umgang mit vulnerablen Bevölkerungsgruppen – also mit Kindern[13], mit alten Menschen, mit Pflegebedürftigen oder psychisch Kranken. Auch das Strafvollzugsrecht ist an dieser Stelle zu nennen, befinden sich Strafgefangene doch durch die Beschränkung der Freiheit in einer ausgelieferten Lage, in der der Wahrung der Würde große Bedeutung zukommt. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ist Inhalt unter anderem im Medienrecht, wenn es um die Wahrung der Anonymität von Menschen bzw. um den Schutz vor Bloßstellung durch Namensnennung oder Fotografien in der Berichterstattung geht.[14] Menschenwürde und Schutz der Persönlichkeitsrechte spielen zudem im Arbeitsrecht eine wichtige Rolle.[15] In der aktuellen Diskussion um Hass im Netz, also bei der Frage nach wirksamem Schutz gegen Hassparolen und Beleidigungen in sozialen Netzwerken, geht es um den Kernbereich der Menschenwürde, nämlich um den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Auch für diesen Bereich wird § 16 ABGB wohl zur zentralen Norm.

2 Gerichts- und Behördendolmetschen: Würde und Sprache

Das faire Verfahren ist ein zentrales Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Menschenrechtskonvention verwendet den modernen Ansatz des fairen Verfahrens, wo man früher oder auch umgangssprachlich vom Anspruch nach Gerechtigkeit gesprochen hat. Gerechtigkeit lässt sich am ehesten durch Verfahrensgerechtigkeit herstellen. Jede/r beurteilt das nach seinen bzw. ihren eigenen Wertvorstellungen und Haltungen, welches Ergebnis eines Konflikts oder eines Rechtsstreits gerecht sein soll. Einfacher lässt sich ein Konsens über die Verfahrensgerechtigkeit herstellen, also darüber, wann ein Verfahren gerecht ist, wann es fair ist. Verfahrensgerechtigkeit ist ein allgemeiner philosophischer Begriff, der davon ausgeht, dass sich Gerechtigkeit über eine bestimmte Ausgestaltung von Verfahren erreichen lässt. Verfahrensgerechtigkeit entsteht demnach dann, wenn Entscheidungsprozesse gewissen Regeln gehorchen und gewisse Anforderungen erfüllen (Hinsch 2016:138). Das Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit lässt sich auf Gesellschaft und Politik allgemein anwenden, aber auch ganz speziell auf Gerichts- und Behördenverfahren. Im Gerichts- und Behördenverfahren strebt man gerechte Ergebnisse und Entscheidungen unter anderem durch die faire Ausgestaltung von Verfahren und Prozessrecht an. Dabei geht es zentral darum, dass jede/r angehört wird, dass jede/r alles verstehen kann, dass alle gut informiert sind und dass jede/r das vorbringen und einwerfen kann, was er oder sie möchte. Hier verbindet sich das Konzept mit Bieris Forderung, die Würde von Menschen dadurch zu wahren, dass sie verstehen können und verstehen dürfen – und an diesem Punkt wird auch die Bedeutung der Dolmetschungen vor Gerichten und Behörden sichtbar. Leben wir heute doch in Gesellschaften, in denen in vielen Staaten ein hoher Anteil der Menschen der Landes- bzw. Amtssprache nicht ausreichend kundig ist. Diese Bevölkerungsgruppe kann Verfahrensgerechtigkeit und ihr Recht auf ein faires Verfahren nach der Menschenrechtskonvention eben nur durch eine qualitativ hochwertige Dolmetschung erhalten.[16]

Mira Kadrić weist in ihrem Werk an vielen Stellen darauf hin, wie wichtig die Verwendung der Muttersprache für jeden Menschen ist (Kadrić 2016:13f). Das macht unter anderem die heutige Bedeutung der Staatsverträge von St. Germain und von Wien aus, die die Rechte der sprachlichen Minderheiten in Österreich festschreiben. Die Aufnahme des Rechts auf die Verwendung der Gebärdensprache in die österreichische Bundesverfassung im Jahr 2005 war ein rechtlicher Meilenstein der jüngeren Zeit. Denn gleiche Kommunikationschancen sind direkt mit der Menschenwürde verbunden. Tiedemann hat bei seinen grundlegenden Ausführungen (2012:368) zwar vor allem die allgemeine Kommunikationsfreiheit im Blick. Er weist aber treffend darauf hin, dass ungleiche Kommunikationschancen nicht zwingend zu einer Verletzung der Menschenwürde führen, dass aber privilegierte Kommunikationschancen zumindest ein Gefährdungspotenzial für die Menschenwürde darstellen (Tiedemann 2012:369).

Über die politische Teilhabe hinaus ist eine allgemeine und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vor allem über die Sprache möglich. Spricht jemand in einem Land nicht die Amtssprache, so ist er auf Sprachvermittlung, also Dolmetschungen, angewiesen. Auch im Bildungs- und Gesundheitswesen ist Dolmetschen ein wichtiges Kriterium zur Gleichberechtigung.

Durch das gesamte Werk von Mira Kadrić zieht sich die die Forderung danach, dass alle Menschen über die Möglichkeit verfügen sollen, vor Gerichten und Behörden gleichberechtigt zu kommunizieren. Wer nicht alles verstehen kann, was in einem Verfahren passiert, kann seine Rechte schlechter durchsetzen, kann sich nicht gleichberechtigt verteidigen und einbringen. Oft sind es Details, die den Ausschlag dafür geben, wer sich in einem Behördenverfahren durchsetzt – das ist der Hintergrund der Forderung nach umfassenden kommunikativen Garantien, die sich im Gerichts- und Behördenalltag nur durch ein Zusammenwirken von Rechts- und Translationswissenschaft umsetzen lässt.

3 Schluss

Die Wahrung der Würde ist ein zentraler Baustein für ein glückliches Leben. Wer keine Würde erfährt, der kann schwer glücklich leben. Die Katastrophe der Weltkriege und des Faschismus hat dies den uns vorangehenden Generationen schmerzlich vor Augen geführt. Die großen Menschenrechtskonventionen sind zu einem guten Teil nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Erfahrung des Faschismus entstanden. Sie haben im Auge, allen Menschen ihre Würde zu garantieren. In der geschichtlichen Entwicklung wurde die Würde lange als hehrer Anspruch ohne rechtliche Verbindlichkeit gesehen. Würde und Recht sind auch heute noch keine selbstverständliche Assoziation. Doch die Wahrung der Würde bildet heute die Spitze der Rechtsordnung – das ist gut, eben weil Würde so zentral für menschliches Glück ist.

Die rechtlichen Vorgaben der europäischen Verfassungsordnung, die Würde des Menschen zu wahren, und Bieris philosophische Forderung, das NichtVerstehen-Können und das Nicht-Verstehen-Dürfen  vor staatlichen Einrichtungen zu verhindern und so die Würde zu wahren, fließen in Kadrićs Überlegungen zum Gerichtsdolmetschen zusammen. Kadrić verbindet Recht und Ethik zu einem Konzept eines verantwortungsbewussten, allen Beteiligten gleichermaßen verpflichteten Gerichts- und Behördendolmetschens. Gut ausgebildete, allparteiliche Dolmetschende tragen in diesem Konzept wesentlich zu einem fairen Verfahren im Sinne der Menschenrechtskonvention bei.

Wenn Kadrić von der „Selbstachtung, Festigung, Bildung eines kritischen Selbstbewußtseins“ bei angehenden Dolmetschenden und generell von „emanzipatorischem translatorischen Handeln“ spricht (Kadrić 2011:159), dann lässt sich das aber auch als Bemühen um die Würde der Dolmetschenden verstehen – die Dolmetschenden werden aufgefordert, ihre Aufgabe selbstbewusst und professionell auszufüllen, ohne sich von irgendeiner Seite instrumentalisieren zu lassen. Die Absicherung der Unabhängigkeit des translatorischen Handelns ist ein erheblicher Beitrag nicht nur zur Wahrung der Unabhängigkeit, sondern auch der Würde der TranslatorInnen. Folgt man Bieri, dann bestimmen gerade die Fairness von Behördenverfahren, der gleiche Zugang zum Recht und gleiche politische und rechtliche Partizipationsmöglichkeiten für alle Menschen darüber, wie entwickelt eine Gesellschaft ist und welche Rolle die Würde in der Gemeinschaft spielt. Die Arbeiten von Kadrić tragen dazu bei, die Bedeutung des zentralen rechtlichen Gebots der Wahrung der Würde verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Fachwelt der Juristinnen und Juristen, der Dolmetscherinnen und Dolmetscher zu bringen.

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RL (EU) 2013/48 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs, ABl L 2013/294, 1.

RL (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren, ABl L 2016/65, 1.

RL (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, Amtsblatt der Europäischen Union, ABl L 2016/132, 1.

RL (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, ABl L 2016/297, 1.

Rummel, Peter/Meinhard, Lukas (2015). Kommentar zum ABGB. Wien: Manz.

Snell-Hornby, Mary/Kadrić, Mira (Hrsg.) (2012). Die Multiminoritätengesellschaft. Berlin: Saxa.

Tiedemann, Paul (2012). Menschenwürde als Rechtsbegriff. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

von Schwichow, Lennart (2016). Die Menschenwürde in der EMRK. Tübingen: Mohr Siebeck.

VO (EU) 2016/369 des Rates vom 15. März 2016 über die Bereitstellung von Soforthilfe innerhalb der Union, ABl L 2016/70, 1.

Vertrag über die Europäische Union, ABl C 2012/326, 1.

Zußner, Matthias (2018). „Das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz im Lichte der Grundrechte“. In: Baumgartner, Gerhard (Hrsg.) Jahrbuch Öffentliches Recht. Wien: NWV Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 133–155.

 

[1] Als ganz praxisnaher Ausfluss des gesellschaftlichen Auftrags lässt sich etwa das mehrsprachige Wörterbuch für Kinder von Muhr/Kadrić (2005) sehen.

[2] Vergleiche etwa die Leitlinien des Ministerkomitees des Europarates für eine kindgerechte Justiz, verabschiedet durch das Ministerkomitee des Europarates am 17. November 2010; oder Bestimmungen und Erwägungen der jüngeren strafrechtlichen Richtlinien (RL) der Europäischen Union, etwa Erwägung 55 der Richtlinie 2013/48/EU; Erwägung 43 der Richtlinie 2016/343/EU; Art 7 Abs 2 und Erwägung 36 der Richtlinie 2016/800/EU.

[3] Im rechtlichen Kontext denke man nur den Fall AULA: Eine österreichische Staatsanwaltschaft hatte in einer Entscheidungsbegründung die menschenverachtende Sprache einer rechtsextremen Zeitschrift übernommen. Die Überlebenden eines NS-Vernichtungslagers erhoben Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Fall Lewit gegen Österreich) und obsiegten dort: Der Gerichtshof sprach aus, Österreichs Behörden hätten die Rechte der Überlebenden nicht ausreichend geschützt. Inhaltlich geht es dabei stark um Fragen der Würde.

[4] Zu Freires Pädagogik der Unterdrückten siehe Kadrić (2011:72ff.).

[5] Den großen brasilianischen Theaterpädagogen, der seine partizipativen Ansätze als Gemeinderat in Rio de Janeiro erprobt hat, hat Kadrić mehrmals persönlich getroffen und seine Theorien und Ansätze in die Translationsdidaktik übertragen (vgl. dazu Kadrić 2017). Boals Theaterarbeit führe insgesamt zu „Selbstachtung, Festigung, Bildung eines kritischen Selbstbewußtseins. Damit werden die Bereitschaft und Fähigkeit der Studierenden zur Kritik und Selbstkritik, Argumentationsbereitschaft und -fähigkeit sowie die Empathiefähigkeit gesteigert.  […] Auf diese Weise leisten Studierende auch einen Beitrag zu Selbstbestimmung, Solidarität und Aufbau von Werten innerhalb des Berufes und der Gesellschaft insgesamt.“  (Kadrić 2011:159). Diese Strategie ermöglichte unter anderem neue Formen eines sprachenübergreifenden Unterrichts. Das wertvollste Ergebnis war die Etablierung eines postgradualen Universitätslehrgangs zum Gerichts- und Behördendolmetschen an der Universität Wien  (näher dazu Kadrić 2019:10ff.).

[6] Faire und umfassende Kommunikation meint bei Kadrić – verkürzt – die Möglichkeit, alles verstehen und alles sagen zu können. Dolmetschende vor Behörden und Gerichten sollen in Kadrićs Konzept deshalb sowohl aktiv Kulturmittlung bieten, also Kulturspezifika erklären, soweit zur störungsfreien Kommunikation nötig, als auch Sachverständigenaufgaben übernehmen, indem sie der Behörde kultur-/sprachspezifische Informationen liefern (Kadrić 2019:57 und 124ff.).

[7] Zum Menschenwürdekonzept der EMRK grundsätzlich vgl. Bührer 2020 und von Schwichow (2016).

[8] Die Menschenwürde spielt in der Rechtsprechung des EGMR zunehmend eine Rolle, auch in vielen gesellschaftspolitisch wichtigen Fragen. So hat der EGMR etwa bei der Prüfung des Verbots von Gesichtsverhüllungen dazu Stellung genommen und ausgeführt, ein pauschales Gesichtsverhüllungsverbot im gesamten öffentlichen Raum lasse sich mit dem Ziel der Achtung von Menschenwürde nicht vereinbaren (dazu Zußner 2018).

[9] Die Frage der Partizipation ist in vielen Staaten der Welt aktuell und wird stark auf kommunaler Ebene diskutiert. Durch restriktive Staatsbürgerschaftsrechte in Verbindung mit Migrationsbewegungen ist in vielen Städten und Staaten ein vergleichsweise hoher Anteil der Bevölkerung vom Wahlrecht und damit von jeder politischen Partizipation ausgeschlossen. In Wien ist es etwa bereits ein Drittel der Wohnbevölkerung, die mangels österreichischer Staatsbürgerschaft nicht mitbestimmen kann (Stadt Wien) – das betrifft viele Menschen, die in Wien geboren und aufgewachsen sind.

[10] Die Bedeutung der europäischen Ebene für das Gerichts- und Behördendolmetschen hatte Kadrić früh erkannt und war in die ExpertInnenforen von EU und Europarat eingebunden, die sich mit Vorbereitung und Umsetzung der EU-Dolmetschrichtlinie befassten. Vgl. zum gesamten Prozess Hertog (2001 und 2003), Hertog & van Gucht (2008), Hertog, Erik (o.J.), Final Report 2009 und Kadrić (2005). Eine gute Übersicht über EU-Projekte zum Gerichts- und Behördendolmetschen bis in die jüngste Zeit findet sich auf der Seite des Internationalen Berufsverbands EULITA.

[11] Nur beispielhaft können hier einige Erwägungsgründe und Artikel aus Richtlinien der jüngeren Zeit genannt werden, die explizit die Würde ansprechen oder ihrem Inhalt nach klar der Wahrung der Würde dienen:  Erwägung 17, 22 und 27 der Richtlinie 2010/64/EU (Dolmetschrichtlinie); Art 3 Abs 2 und Erwägung 25 der Richtlinie 2012/13/EU; Art 3, Art 7 Abs 1 und Art 18 sowie Erwägung 16, 17, 36, 42, 52 der Richtlinie 2012/29/EU (Opferschutzrichtlinie); Erwägung 51 und 55 der Richtlinie 2013/48/EU; Erwägung 31 und 43 der Richtlinie (EU) 2016/343; Art 7 Abs 2 und Erwägung 36 der Richtlinie (EU) 2016/800; Art 9 und Erwägung 29 der Richtlinie (EU) 2016/1919.

[12] Vgl. Art 3 der Verordnung 2016/369/EU, insbesondere Art 3 Abs 1: „(1) Die im Rahmen dieser Verordnung gewährte Soforthilfe ermöglicht bedarfsorientierte Sofortmaßnahmen in Ergänzung zu den Maßnahmen der betroffenen Mitgliedstaaten und mit dem Ziel der Rettung von Leben, der Vermeidung und Linderung menschlichen Leids und der Wahrung der Menschenwürde, wo immer dies aufgrund von Katastrophen im Sinne von Artikel 1 nötig ist.“

[13] Siehe Nachweise in Fußnote 1.

[14] Vgl. etwa RL (EU) 2010/13.

[15] Beispielhaft lassen sich aus der österreichischen Rechtsordnung folgende Bestimmungen herausgreifen, die entweder inhaltlich besondere Bedeutung für die Wahrung der Würde des Menschen haben oder die den Begriff ausdrücklich anführen:Im Strafrechtsbereich § 283 StGB (Tatbestand der Verhetzung), §§ 5, 61 und 121 StPO (Gesetz- und Verhältnismäßigkeit, Rechtliches Gehör, Beteiligung der Opfer, Personendurchsuchung), §§ 14a, 22, 26, 102a, 165StVG (Innere Revision des Strafvollzugs, Behandlung der Strafgefangenen, Allgemeine Pflichten der Strafgefangenen, Sicherung der Ordnung in der Anstalt, Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB) und § 39a VStG (Zwangsgewalt); im Verfassungsrecht Art. 1 Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit sowie die Grundsatz- und Staatszielbestimmungen in den Landesverfassungen des Burgenlands, von Oberösterreich, Salzburg und Tirol; im Sicherheitsrecht § 47 SPG (Durchführung einer Anhaltung), §§ 13, 99 FPG; im Gesundheitsbereich Art 2 der Patientencharta, § 1 UbG (Schutz der Persönlichkeitsrechte, § 1 HeimAufG (Schutz der persönlichen Freiheit), § 3 GentechnikG (Grundsätze) sowie im Bildungsbereich zahlreiche Lehrpläne.

[16] Einen Überblick zu den zentralen Bereichen des Gerichts- und Behördendolmetschens bieten Pöllabauer (2005) für das Asyldolmetschen und Kadrić (2019) insbesondere für das gerichtliche Dolmetschen.

 

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