Populistische Politik weltweit arbeitet damit, ethnischen Minderheiten und Fremden die Schuld an jeder Art gesellschaftlicher Probleme zuzuweisen. An Arbeitslosigkeit, Budgetdefizit, Pandemien, Kriminalität. Diese politische Strategie ist faktisch leicht zerlegbar und durchschaubar. Medien könnten die inhaltliche Schwäche populistischer Politik durch Information und kritische Würdigung offenlegen. Heimische Medien geben sich stattdessen oft einem pseudosachlichen Zugang hin, indem sie auch die abstrusesten Politiker*innenaussagen Faktenchecks unterziehen. Das ist das Gegenteil eines kritischen Journalismus. Wo kritischer Journalismus passiert – im Zib2-Interview mit dem Bundeskanzler, in einem harten Kommentar in der Süddeutschen Zeitung – wird er besonders gern von anderen Journalist*innen in Frage gestellt: wo bleibe die Objektivität, Journalist*innen dürften nicht zu Aktivist*innen werden, usw. Gerade jene Journalist*innen, die Regierungen nach dem Mund schreiben, die laufend gefühlstriefende Homestories mit Minister*innen liefern und deren Versagen im politischen Geschäft vor dem Massenpublikum kaschieren, greifen die Branchenbesten an. Auf einmal rechtfertigen sich Topjournalist*innen für das, was das Selbstverständlichste auf der Welt ist: ihren Job ordentlich zu machen, also kritischen Journalismus.
Dass es soweit gekommen ist, hat viele Ursachen: die Monopolisierung der Medien, die vielen Verflechtungen, Verhaberungen und Unvereinbarkeiten im Schnittfeld von Politik und Medien (auf den Partyfotos im Internet nachvollziehbar), die Abhängigkeit der Medien von Regierungsinseraten (die eben weiter ausgebaut wird), eine Untertanenmentalität in Bevölkerung und Medien, in der selbstbewusster, kritischer Journalismus automatisch als Aktionismus diffamiert wird – dabei gewinnt eine Demokratie nur Stärke, wenn alle Player, in Politik genau so wie im Journalismus, ihren Job mit Haltung ausüben – und die gemeinsame Grundhaltung sollte in einer Verpflichtung gegenüber Verfassung, Menschenrechten und Demokratie bestehen, anders werden wir den gesellschaftlichen Frieden auf Dauer nicht erhalten können.
Ein anderes Feld, dasselbe Problem (und ausdrücklich unabhängig von aktuellen Fällen, denn wir beobachten seit langem dasselbe Muster):
Die Verurteilung von Prominenten und Politiker*innen führt in Österreich regelmäßig dazu, dass die Verurteilten in den Massenmedien ihre Sicht der Dinge darlegen. Nicht etwa in kritischen Interviews, sondern in rührseligen Reportagen oder in einem Gesprächsstil, in dem die Frage nur den Zweck hat, breite Antwortmöglichkeiten aufzumachen. Beim nicht im Detail informierten Leser muss der Eindruck entstehen, hier geschehe möglicherweise furchtbares Unrecht, Politiker*innen und Prominente würden härter angefasst als andere usw. Diese Art von Journalismus betreibt nichts anderes als Lobbying für prominente Angeklagte: denn jedes Jahr werden in Österreich tausende Menschen gerichtlich verurteilt, weniger prominente Manager oder Geschäftsführer wegen Wirtschafts- und Vermögensdelikten, aber natürlich auch viele Menschen wegen Diebstählen oder Körperverletzungen. Niemand von ihnen bekommt den Raum, unhinterfragt die Arbeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften mit verschiedensten Verschwörungstheorien in Frage zu stellen. Während sich Medien in anderen Bereichen auch dem Opferschutz widmen, ist bei der Wirtschaftskriminalität von den Opfern dann keine Rede mehr: nicht von den tausenden Anleger*innen, die ihre Ersparnisse verloren haben, nicht von den Steuerzahler*innen, deren Abgaben statt in staatlichen Investitionen auf irgendwelchen Privatkonten in der Karibik landen, auch nicht von den Staatsanwält*innen, die von aggressiven Verdächtigen bis in ihr Privatleben verfolgt und mitunter unter Druck gesetzt werden. Florian Klenk weist zu Recht darauf hin, dass eine zu defensive Öffentlichkeitsarbeit der Justiz dieses Problem verschärft; es entlässt aber die Medien nicht aus ihrer Verantwortung. Der vorherrschende Zugang der Medien zu solchen Prozessen zeichnet sich durch Unkenntnis der Grundzüge des Rechtssystems aus, er verschweigt, dass nicht ein einzelner Richter bzw eine einzelne Richterin, sondern ein vierköpfiger Senat entscheidet, er transportiert die Sicht der Verdächtigen, ohne den oft tausenden Geschädigten Raum zu bieten, er blendet aus, dass Wirtschaftskriminelle in Österreich im Gegensatz zu allen anderen, oft viel geringfügigeren Deliktsgruppen kaum ein Risiko haben, in Untersuchungshaft zu kommen.
Der öffentliche Diskurs in Österreich hat keine guten Aussichten. Die Politik wirft immer mehr Geld in die Schlacht, um sich durch Inseratenvergabe und aufgeblähte Öffentlichkeitsabteilungen in den Ministerien regierungsfreundliche Berichterstattung zu sichern. Immer mehr parteinahe Personen werden von Kabinetten direkt in Spitzenpositionen der Verwaltung transferiert, um die Beamtenschaft auf Linie zu halten. Beamtenschaft wie auch Medien werden vorsichtiger und ängstlicher. Die Bevölkerung wird insgesamt schlecht informiert, das Vertrauen in die Politik sinkt. Blättert man dieser Tage österreichische Zeitungen durch, dann kommt einem in den Sinn, was die Influencerin Emina Mujagić an die Medien gewandt so formuliert hat: „Spürt`s ihr euch noch?“ Die Frage gilt dem ganzen Land.
Armin Thurnher weist seit vielen Jahren nahezu wöchentlich darauf hin, es wird in diesen Tagen besonders deutlich: der öffentliche Diskurs in Österreich ist schlicht und einfach kaputt. Die Diskussionskultur hat Tiefen erreicht, dass man sich Sorgen um die Entwicklung der Demokratie machen muss. Es ist ein Verdummungsprozess, dem sich Politik, Medien und Bevölkerung gleichermaßen hingeben.