Für die österreichische Richterzeitung hat Florian Zillner mein Buch „Mut zum Recht“ rezensiert. Der Text ist in der Richterzeitung 2020/1-2 erschienen (S. 26)
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Rezension: „Mut zum Recht“ von Oliver Scheiber
Dem viel beschworenen „leisen Tod“ der Justiz setzt Oliver Scheiber Visionen entgegen. Mit seinem Buch „Mut zum Recht“ formuliert der Wiener Strafrichter ein leidenschaftliches Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat. In seiner Streitschrift spart der Autor nicht mit Kritik am System, warnt vor einer Klassenjustiz und verlangt von seinen Kolleg*innen mehr politisches Engagement. Hat er damit wirklich recht?
Das Jahr 2019 stellte die heimische Justiz vor große und viel diskutierte Herausforderungen: Durch die jahrelangen und zusätzlich verschärften Einsparungen und die weitreichende Reduktionen im Personalbereich an den Rand der Funktionstüchtigkeit gedrängt. BVT-Affäre und öffentlich ausgetragene Konflikte zwischen WKStA und Zentralstelle. Ein Justizminister, Mitglied einer einzigartigen Expertenregierung, der von einem „stillen Tod der Justiz“ sprechen muss und in einem viel beachteten Wahrnehmungsbericht nicht bloß personelle, sondern auch dramatische strukturelle Mängel in der Gerichtsbarkeit, Strafvollzug sowie Maßnahmenvollzug aufzeigt.
Das Ende November im Falter-Verlag erschienene Buch des Vorstehers des BG Meidling Oliver Scheiber greift all diese Entwicklungen auf. Der Autor begnügt sich allerdings nicht mit einem Lamento über die herrschenden Zustände. Herausgekommen ist eine außerordentliche Streitschrift. Entgegen der sonstigen, zwar verständlichen, aber größtenteils lähmenden Gepflogenheiten übt der Autor offene Kritik. Nicht nur an der Politik, sondern auch an der Justiz und ihren Protagonisten.
Die Medien nahmen das Buch mit Begeisterung auf. Nikolaus Lehner nannte das Buch in der Wiener Zeitung ein Gesamtkunstwerk und Manifest. Für die Wochenzeitung „Falter“ ist der Autor nicht bloß Strafrichter, sondern „Citoyen.“ Der Standard sieht in Oliver Scheiber „das Gegenteil von Betriebsblindheit.“ und kürt ihn kurzer Hand zum „obersten Justizkritiker“.
Die kollegiale Skepsis schlägt bei derartigen Jubelmeldungen sofort Alarm: Handelt es sich wirklich um das progressivte Plädoyer für eine Erneuerung der Justiz seit Chrisitan Broda? Wäre es nicht einfacher, das Buch zu verdammen und den Autor am besten gleich mit? Stichwort „linke Justiz“?
Immerhin bemühte sich die Richterschaft jahrzehntelang darum, ihren Mitgliedern das Versprechen abzuringen, sich nicht politisch zu äußern. Von den Richter*innen wurde – und wird – Zurückhaltung und Distanz zum politischen Tagesgeschäft gefordert. Immer mit dem Ziel vor Augen, dadurch jeglichen Anschein von Parteilichkeit oder gar Parteinahme zu vermeiden.
Oliver Scheiber bricht bewusst mit der Konvention, die sich die Richterschaft spätestens mit den Salzburger Beschlüssen auferlegt hat. Er macht klar, dass er die Distanzierung – Verdammung, wie er es nennt – allen Politischen innerhalb der Richterschaft für falsch hält. Durch sie sei schleichend ein unnötiger atmosphärischer Graben zwischen Politik und Justiz entstanden. Ähnliches macht er im Verhältnis zu den Medien aus. Auch hier gelinge es nicht, eine Kommunikation auf Augenhöhe herzustellen. Nur im Verband mit Politik und Medien sei es aber möglich, den Rechtsstaat zu reformieren und letztendlich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten.
Das Ziel, das Oliver Scheiber in zehn Kapiteln und jeweils darauf aufbauenden Thesen verfolgt, tritt mit der notwendigen Klarheit hervor: Einerseits die Verteidigung und andererseits die Fortentwicklung des liberalen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats.
Sein Hauptaugenmerk richtet Scheiber dabei immerzu auf die Rechtsunterworfenen. Ohne unnötig zu skandalisieren wird der Umgang der heimischen Justiz mit jenem Teil der Bevölkerung analysiert, dem der Autor im richterlichen Berufsalltag begegnet. Das ehemalige Kabinettsmitglied im BMJ sucht dabei nach den Ursachen für Fehlentwicklungen und findet sie in allen Bereichen. Sowohl interne als auch externe Faktoren macht er dafür verantwortlich, dass die guten Leistungen der Justiz nicht mehr Akzeptanz in der Bevölkerung fänden. Der mangelnde Rückhalt erleichtere es wiederum populistischen Strömungen in der Politik, schlechten Einfluss auf den Rechtsstaat zu nehmen oder die Unabhängigkeit von gerichtlichen Entscheidungen in Frage zu stellen. Inhaltlich spannt er dabei den Bogen von der französischen Literatur an der Wende zum 20. Jahrhundert hin zu den Niederungen eines Verhandlungstages in Strafsachen am BG Meidling.
Die Analysen sind eindeutig und bestechend scharf formuliert. Sie sind richtig und tun weh. Wenn Scheiber etwa über den Sprachgebrauch von Jurist*innen schreibt, den er für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung als unverständlich bezeichnet. Oder die Behauptung aufstellt, dass sich die Strafgerichtsbarkeit zu sehr auf die minderschwere Kriminalität konzentriert und sich vor der Verfolgung wirtschaftlich potenter Täter*innen drückt. Letztendlich gelingt Oliver Scheiber der Beweis, dass das Rechtssystem (unbewusst?) zwischen arm und reich unterscheidet und dies – auch – von der Richterschaft großteils widerstandslos hingenommen wird.
Man will diesen Befund nicht teilen. Einfacher wäre es, ihn erbost zurück zu weisen. Doch dazu sind die Beobachtungen des Autors zu präzise und dessen Ableitungen nicht widerlegbar. Schadet er damit dem Ansehen der Gerichtsbarkeit? Erweist er den Richter*innen und Staatsanwält*innen einen Bärendienst, indem er zu sehr auf die Versäumnisse des Systems hinweist?
Mitnichten. Das Buch verteilt keineswegs die Schuld selbstgerecht an die Kollegenschaft. Wiederholt verweist Oliver Scheiber auf die hervorragenden Leistungen der Justiz im internationalen Vergleich. Vielmehr bildet der Text eine Wirklichkeit ab, die eben existiert. Die sich tagtäglich an jedem Gericht in Österreich abspielt. Eine Wirklichkeit, welche die Entscheidungsorgane vor große Herausforderungen stellt und von diesen gemeistert wird. Der Text beschränkt sich zwar großteils auf den Strafbereich, würdigt dennoch den wertvollen Beitrag, den Kolleg*innen abseits davon zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten.
Allzu oft wird dies als eine reine Selbstverständlichkeit abgetan. Nur Recht und Justiz sind keine Selbstverständlichkeiten. Sie bedürfen des aufopferungsvollen Einsatzes der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Darin besteht die Leistung dieses Buchs. Es formuliert den Anspruch an das System, die Politik und die Mitarbeiter*innen gemeinsam für den Erhalt des Rechtsstaats zu kämpfen. Alleine die Nennung der großen Zahl seiner Mitstreiter*innen aus Justiz, Kultur, Politik und Medien und bietet durchaus Grund zum Optimismus, dass Zustände wie sie in Polen oder Ungarn herrschen, auf absehbare Zeit in Österreich nicht Einzug halten können.
Wenn das Buch daher Politik machen will, dann bitte mehr davon!
Florian Zillner
(Florian Zillner ist Richter in Oberösterreich)