Richter über Kurz‘ WKStA-Kritik: „Dann kommt der Rechtsstaat ins Rutschen“
Die Kritik des Kanzlers an der Justiz hat Wellen geschlagen. Dass Kurz eine Aussprache will, ist für den Richter Oliver Scheiber ein Tabubruch
Marie-Theres Egyed
Der von Bundeskanzler Sebastian Kurz einberufene – und von Justizministerin Alma Zadić zur „Aussprache“ herabgestufte – runde Tisch über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sorgt für Kritik. Oliver Scheiber, Gerichtsvorsteher am Bezirksgericht Wien-Meidling, empörte sich in den sozialen Medien. Der Richter ist auch als Autor tätig, mit „Mut zum Recht!“ schrieb er ein „Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat“. Zuvor beschäftigte er sich mit einer Reform der Sozialdemokratie. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt er, warum er das als dramatische Entwicklung sieht und derartige Tendenzen oft Vorboten autoritärer Regierungsstile seien.
STANDARD: Was stört Sie daran, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz einen runden Tisch einberufen hat, bei dem Verfahrensdauer, Vertrauen in die Justiz und Unabhängigkeit und Objektivität diskutiert werden sollen?
Scheiber: Entweder liegt beim Bundeskanzler ein völliges Missverstehen der Gewaltentrennung und Checks and Balances in einem Rechtsstaat vor – diese Naivität und dieses Unwissen würden mir Angst machen. Oder er will Signale an die Staatsanwaltschaft senden, künftig anders vorzugehen. Das wäre ein unzulässiger Übergriff des Kanzlers auf Organe der Gerichtsbarkeit.
STANDARD: Geht es darum, Kontrolle über die Staatsanwaltschaft zu gewinnen?
Scheiber: In der Verfassung sind die Staatsanwaltschaften der Gerichtsbarkeit zugeordnet und haben eine besondere Stellung. Sie besteht keinesfalls in einer Unterordnung zum Kanzler. Es gibt auch eine klare Qualitätskontrolle für Staatsanwaltschaften und Gerichte. Alles, was etwa die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft macht, unterliegt der Aufsicht von Oberstaatsanwaltschaft, Justizministerium und Weisungsrat. Jeder Grundrechtseingriff wie eine Hausdurchsuchung, Festnahme oder Beschlagnahmung bedarf der Bewilligung durch einen Richter und kann gerichtlich bekämpft werden.
STANDARD: Zunächst wollten sich die Staatsanwälte noch bei Kurz beschweren, dass ihre Unabhängigkeit von ihm infrage gestellt wurde. Jetzt bestellt aber er sie zu sich.
Scheiber: Was Kurz bei diesem Hintergrundgespräch gesagt haben soll, hat Richtervereinigung und Staatsanwälte zu Recht irritiert. Da ist es legitim, dass sie das Gespräch suchen. Es kann aber nicht sein, dass ein Kanzler, während aktueller politischer Strafverfahren, mit den Staatsanwälten über ihre Arbeitsweise reden will. Wer das nicht sieht, hat Demokratie und Rechtsstaat nicht verstanden. Das ist eine dramatische Entwicklung.
STANDARD: Inwiefern?
Scheiber: Das ist ein Tabubruch. Wenn sich Institutionen nicht mehr wechselseitig respektieren und nicht auf Augenhöhe begegnen, kommt der Rechtsstaat ins Rutschen. Parlament, Regierung und Gerichtsbarkeit haben abgegrenzte eigene Bereiche, der Kanzler darf nicht in die Gerichtsbarkeit eingreifen.
STANDARD: Woher kommt die plötzliche Skepsis von Kurz gegenüber der Justiz?
Scheiber: Wir sehen in Ungarn, Polen oder bei Trump, dass Angriffe auf Institutionen, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und die Justiz oft Vorboten autoritärer Regierungsstile sind. Unter Türkis-Blau wurde der ORF massiv kritisiert, die Angriffe auf die Justiz sind möglicherweise die Fortsetzung.
STANDARD: Sie appellieren an Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Was kann er tun?
Scheiber: Der Bundespräsident hat in den vergangenen Monaten immer wieder auf die Verfassung hingewiesen. Es ist wichtig, ein stärkeres Verfassungsbewusstsein zu entwickeln und das Funktionieren des Staatswesens verständlich zu machen. Die Regierung darf nicht bei der Justiz intervenieren. Es wäre gut, jetzt auch diese verfassungsrechtlichen Grundsätze in Erinnerung zu rufen. (Marie-Theres Egyed, 6.2.2020)