Kommentar der Anderen für den Standard, Printausgabe 11.11.2016
In der Exekutive der Bundeshauptstadt gibt es einen falschen Korpsgeist, der schwarze Schafe schützt und den Bürgern Angst vor den „Kieberern“ einjagt, statt ihnen Sicherheit zu geben. Ein Anlassfall.
Wien hat ein Problem mit seiner Polizei. Ein unlängst beendeter Strafprozess illustriert das. Am 29. 1. 2016 fand in Wien der umstrittene WKR-Ball statt, gegen die Veranstaltung wurde demonstriert. Die renommierte Journalistin Cathrin Kahlweit, Österreich-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, sagte nun laut einem Bericht des STANDARD (21. 10. 2016) vor Gericht aus, sie sei an diesem Abend als Passantin auf einen Tumult auf der Mariahilfer Straße gestoßen. Einige Männer seien rabiat gegen eine Gruppe von Personen vorgegangen und hätten sie schließlich festgenommen – erst da habe man bemerken können, dass die martialisch adjustierten Männer Polizisten in Zivil waren.
„Scheiß Kuh“
Kahlweit gibt an, es sei ihr einiges seltsam vorgekommen, sie habe sich als Journalistin zu erkennen gegeben und gefragt, was hier los sei. Ein Mann in Flecktarn, offenbar ein Beamter, habe sie daraufhin folgendermaßen beschimpft: „Scheiß Kuh“ und: „Geh nach Hause zu deiner scheiß Merkel.“ Erst nach vielen Mühen habe sie eine Dienstnummer erhalten. Zu einem Festgenommenen, der um die Lockerung seiner Fesseln bat, habe ein Beamter sinngemäß gesagt: „Wir können noch ganz anders, zum Beispiel (…) in den Wald fahren und dir alle Knochen brechen.“ Auf ihre schriftliche Beschwerde hat Kahlweit nach neun Monaten noch keine Antwort erhalten. Dafür wurde sie nach Einreichung ihrer Beschwerde angerufen: Ein Mann fragte sie, woher sie seine Dienstnummer habe – und welcher Kollege sie preisgegeben habe.
Die Wiener Polizei hat vor etwa 25 Jahren einen Prozess der Öffnung begonnen. Frauen zogen in den Polizeidienst ein; nicht nur, aber auch deswegen kehrte ein neuer Ton in der Kommunikation der Polizei ein. Menschenrechtsschulungen wurden forciert, bei Demonstrationen wurden moderne Deeskalationsstrategien eingesetzt. Bei den monatelangen Demonstrationen gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000 leistete die Wiener Polizei exzellente Arbeit, hochprofessionell, auf Ausgleich und Fairness gegenüber Bevölkerung wie Versammlungsteilnehmern bedacht.
Hervorragende Arbeit
In Bereichen wie der Bekämpfung häuslicher Gewalt wird bis heute eine qualitativ hervorragende Arbeit geleistet, Österreich zählt hier weltweit zu den Staaten mit der besten Polizeiarbeit. In den Grätzeln erledigen viele Polizistinnen und Polizisten einen oftmals äußerst schwierigen Job tadellos. In den letzten Jahren häufen sich die ernstzunehmenden Beschwerden über Polizeieinsätze; oft stehen sie in Zusammenhang mit Demonstrationen, aber nicht nur.
Rüdes Vorgehen
Ein rüdes Vorgehen etwa bei Verkehrskontrollen gegenüber Radfahrern ist keine Seltenheit. Publizität erlangen solche Berichte durch Zufall, wenn gerade ohne Wissen der Beamten eine Kamera mitläuft (wie im Fall einer Frau, die nach einer polizeilichen Kontrolle auf einer Tankstelle am Schwedenplatz mit zahlreichen Verletzungen dastand) oder eben jetzt, wenn zufällig eine bekannte und couragierte Journalistin zur Zeugin wird. Man muss sich fragen: Wie geht es jenen, die nicht so gebildet oder selbstbewusst sind, sich zur Wehr zu setzen? Die sich als Drogenkranke oder Asylwerber so schwach fühlen, dass sie sich nicht auflehnen können? Die polizeilichen Übergriffen ohne Zeugen und ohne Videobeweis ausgesetzt sind?
Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die Wiener Polizei keine adäquate Reaktion auf Fehler findet; dass ihrer Spitze die Sensibilität für die Bedeutung des Demonstrationsrechts fehlt und dass Korpsgeist zunehmend die Kritikfähigkeit nach innen ersetzt.
Plumpe Strategien
Parallel dazu ziehen plumpe Strategien in die Pressearbeit ein, wenn etwa täglich Bagatelldelikte aufgebauscht oder wenn Journalisten zu einer „Schwerpunktaktion zur Bekämpfung des Drogenhandels im öffentlichen Raum“ eingeladen werden. Im Anschluss an diesen Pressetermin der Wiener Polizei im Juni 2016 konnten Journalisten Polizeibeamte bei ihrer Arbeit begleiten. „Wir werden schauen, dass wir ein paar Festnahmen zusammenkriegen“, kündigte ein Mediensprecher der Polizei an. Wie auf einer Safari wurden Personen angehalten und den Medienvertretern vorgeführt, ohne Sensibilität für Datenschutz und Persönlichkeitsrechte. Dass das kein rechtliches Nachspiel hatte, ist wohl vor allem auf die (auch finanzielle) Ohnmacht der betroffenen Personen zurückzuführen.
Übergriffe nehmen zu
Es ist leicht auszurechnen, dass die Zahl verbaler und körperlicher Übergriffe zunimmt, wenn die Führung der Polizei solche Signale aussendet und wenn Fehlverhalten von Beamten ohne Konsequenzen bleibt, letztlich also von oben gebilligt wird. Es ist empörend, dass einer Beleidigung, wie sie Frau Kahlweit erfahren hat, keine umgehende förmliche Entschuldigung der Polizei folgt (wir reden jetzt gar nicht von den weiteren Sonderlichkeiten der von Frau Kahlweit beschriebenen Amtshandlung).
Falsche Beamte
Durch ihr Schweigen zur gerichtlichen Aussage von Frau Kahlweit macht die Polizeispitze den falschen Beamten die Mauer, deckt Verfehlungen und desavouiert alle korrekt arbeitenden Beamtinnen und Beamten. Wer eine Journalistin (oder sonst jemanden) mit „Scheiß Kuh, geh zu deiner scheiß Merkel nach Hause“ beschimpft, hat im öffentlichen Dienst nichts verloren. Kein Finanzbeamter, keine Jugendamtsmitarbeiterin, kein Lehrer kann sich so etwas leisten.
Bürger müssen sich fürchten
Das Schweigen der Wiener Polizeispitze ist inakzeptabel. Die Entwicklung der Polizei passt schon länger nicht mehr zu Wien. Die Polizei soll integraler Bestandteil der Gesellschaft sein, nicht ein verselbstständigter Apparat, vor dem sich Bürgerinnen und Bürger fürchten müssen. Wien hat eine Polizeiführung verdient, die den Wandel der Wiener Stadtverwaltung in Richtung mehr Bürgernähe, mehr Kommunikation und mehr Respekt mitträgt.
(Oliver Scheiber, 10.11.2016)