Asyl auf Zeit – Menschenrechte in Österreich

Statement bei der
Pressekonferenz der Österreichischen Rechtsanwälte (ÖRAK) am 9.12.2015
Bei der Pressekonferenz des ÖRAK zum
jährlichen Tag der Menschenrechts (10.12.)war ich dieses Jahr von
Anwaltskammerpräsident Dr. Rupert Wolff als Experte zu einem Statement eingeladen.

Mein Statement bei der Pressekonferenz
vom 9.12.2015 habe ich sinngemäß nachträglich in Schriftform
gebracht:
Wenn ich zur geplanten Novelle des
Asylrechts zur Einführung eines „Asyl auf Zeit“ Stellung nehmen
soll, so möchte ich zunächst etwas ausholen.
Ab 1945 hat Europa als Lehre aus den
Erfahrungen mit Faschismus, Krieg und Nationalsozialismus gemeinsam
eine humanistische Grundordnung aufgebaut. Bausteine dieser neuen
Menschenrechtsordnung waren markante Menschenrechtserklärungen. Zu nennen sind vor allem die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte, die die Vereinten Nationen 1948 erlassen haben; die
Europäische Menschenrechtskonvention, die 1950 beschlossen wurde,
sowie die im Jahr darauf angenommene Genfer Flüchtlingskonvention.
Im Jahr 2000 hat sich die Europäische Union eine Grundrechtecharta
gegeben, an deren Beginn die Sätze stehen: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“
In all diesen Konventionen ist die
Verhältnismäßigkeit des Staates bei der Ausübung seiner Macht ein
zentrales Element; ein weiteres zentrales Element, das
zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der staatliche Schutz für schwache Personengruppen. Zu diesen Personengruppen zählen Alte, Kranke,
Kinder und auch Flüchtlinge. Österreich hat dieses neue
Menschenrechtsbewußtsein, das in internationalen Übereinkommen
niedergelegt ist, seit nunmehr 70 Jahren gelebt und einen hohen
Menschenrechtsstandard erreicht. Belege für den hohen
Menschenrechtsstandard sind u.a. ein neuer Umgang mit Kindern, wie er
sich im Familienrecht niederschlägt, die Aufarbeitung der
Heimskandale der letzten Jahrzehnte oder auch die neue
Verwaltungsgerichtsbarkeit, die den Rechtsschutz verbessert hat.
Diese Menschenrechtsordnung steht durch die aktuellen
Diskussionen über den Umgang mit Flüchtlingen erstmals auf einer
ernsten Bewährungsprobe.
Zwei Wege stehen in der aktuellen Diskussion offen:
Der eine Weg besteht in einer
Hysterisierung und Aufbauschung der Probleme, in Abschottung, dies
alles in Verbindung mit dem Abbau der Menschenrechte. Staaten wie
Ungarn, Polen oder die Tschechische Republik gehen derzeit diesen Weg
des Abbaus der Menschenrechte, nicht zuletzt wohl als Auswirkung
einer fehlenden Menschenrechtstradition nach 1945. 
Der zweite Weg besteht darin, die
Menschenrechte auch in schwierigen Zeiten zu verteidigen. Dies war
bisher und sollte auch künftig der österreichische Weg sein.
Das vorbildliche Agieren von Polizei,
Gerichten und Bundesheer in den letzten Monaten zeigt, dass unsere
Behörden der Herausforderung eines hohen Menschenrechtsstandards
auch in angespannten Situationen durchaus gewachsen sind. Dieser
Einsatz für einen menschlichen Umgang mit Flüchtlingen, wie ihn
zuletzt etwa Bundeskanzler und Justizminister im Land, aber auch durch Initiativen auf Europäischer Ebene gezeigt haben, wird in
der Welt anerkannt und von der Europäischen Union u.a. mit
Koordinierungsaufgaben für Österreich honoriert.
Konkret zum Asylbereich hat
Justizminister Brandstetter der Europäischen Union
ein Konzept für ein Europäisches Asylrecht vorgelegt, das
zweifellos in die richtige Richtung geht. Ergänzt werden sollte
dieses Konzept dahingehend, dass europäische Beamte für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständig werden sollten. Dadurch
könnte der Umgang mit Flüchtlingen den Launen nationaler Regierungen
und populistischen Auswirkungen lokaler Wahlkämpfe entzogen werden.
Einige wenige Staaten werden das
Flüchtlingsproblem nicht lösen können; ein Kerneuropa, das die
Menschenrechtsstandards verteidigt, sollte dazu aber sehr wohl in der Lage
sein.
Als Beispiel für die positiven Arbeiten auf
lokaler Ebene dient die Familiengerichtsbarkeit. Im
Zuständigkeitsbereich des Bezirksgerichts Meidling beispielsweise bestehen mehrere
Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Für
diese Jugendlichen regelt das Bezirksgericht die Obsorge,
die im Regelfall dem Jugendamt übertragen wird.
Bei einem Arbeitsaufenthalt in Sizilien vor
zwei Jahren konnte ich beobachten, dass diese gerichtliche und
jugendamtliche Fürsorge auch bei kontinuierlich starkem
Flüchtlingszustrom funktionieren kann. An der Südküste Siziliens
kommen täglich hunderte Flüchtlinge an. Innerhalb weniger Tage nach
der Ankunft von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen bestellen
die sizilianischen Gerichte Obsorgebeauftragte für die einzelnen
Jugendlichen, wobei in der Regel Rechtsanwältinnen oder
Rechtsanwälte bestellt werden. Sowohl Bevölkerung als auch Gerichte
und Behörden stützen diesen fürsorgenden Umgang mit Flüchtlingen.
Die nun vorliegende Asylgesetznovelle
ist nicht von ungefähr von Einrichtungen wie dem UNHCR, der
Volksanwaltschaft, dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag oder
dem Land Wien abgelehnt worden. Die geplanten Änderungen erschweren
die Integration, sie verursachen einen ständigen Konflikt des
Asylrechts mit den Grundrechten, insbesondere mit dem Recht auf
Familienleben nach der MRK.
Noch schlimmer aber:
Die Gesetzesnovelle folgt der schon
erwähnten Hysterisierung und sendet an die mit der Vollziehung
beauftragen Beamten das Signal aus, Flüchtlinge zu kontrollieren, zu
sekkieren, zu schikanieren. Die geplante Erschwerung der
Familienzusammenführung, die zum Nachteil der Flüchtlinge einmal
verkürzten, einmal verlängerten Fristen, widersprechen dem bisherigen österreichischen Konsens
eines hohen Menschenrechtsstandards, der in den letzten Jahrzehnten
geschaffen wurde.
Dem Gesetzgeber ist dringend zu raten,
solche Irrwege nicht zu beschreiten.
Oliver Scheiber

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