Erinnerung an Florian Flicker

Regisseur Florian Flicker stirbt mit 49 Jahren. Florian Flicker ist tot. (Quelle: dpaEPA/STEFAN OLAH)
Quelle: EPA/STEFAN OLAH/dpa

Vor einigen Monaten, im letzten Winter, erreichte mich ein
e-mail von Florian Flicker. Er sei Filmemacher, und für ein neues Projekt
benötige er ein paar Hinweise eines Juristen. Ob ich ihn einmal treffen wolle?

Der geplante Film sollte die Strafverhandlung gegen einen
Polizeibeamten nachzeichnen, der einen Jugendlichen erschossen hatte. Der
14-jährige Florian P. war im August 2009 nächtens mit einem Freund in einen
Supermarkt in Krems eingestiegen. Die Polizei wurde verständigt. Ein vom Polizeibeamten Andreas K. abgegebener Schuss
tötete Florian P.; zu einem Zeitpunkt, als der Jugendliche offenkundig vor der
Polizei flüchten wollte. Die Familie von Florian P. erlebte, wie der Boulevard
mit Häme über den Tod des Jugendlichen berichtete und Politiker kein Wort des
Mitgefühls, geschweige denn der Entschuldigung fanden. In einem Aufsehen
erregenden Strafverfahren wurde der Polizeibeamte schließlich zu einer
bedingten Haftstrafe von acht Monaten verurteilt. Ebendiese Verhandlung wollte
Florian Flicker verfilmen.

Mit dem Fall des Florian P. hatte ich mich früher bei anderer
Gelegenheit befasst. Ich verabredete mich mit Florian Flicker kurzfristig im
Café Bräunerhof. Der Name Florian Flicker war mir ein vager Begriff. Also googeln.
Wikipedia zeigt eine eindrucksvolle Liste von Auszeichnungen. Darunter gleich zwei
Mal der Große Diagonale Preis für den besten österreichischen Kinofilm, für Suzie Washington und Der Überfall. Eine DVD von Der Überfall bringt mir Florian Flicker
ins Café Bräunerhof zu unserem ersten Treffen mit.

Im Café Bräunerhof sitze ich einem hellwachen und zugleich
nachdenklichen Mann in den Vierzigern gegenüber. Florian Flicker hat eine ganze
Liste an juristischen Fragen mit. Vor jeder Frage überlegt er, jede Antwort von
mir bedenkt er. Über sein ernstes Gesicht huscht ab und zu ein verschmitztes,
ein bubenhaftes Lächeln. Den Fall des jugendlichen Einbrechers und den Prozess
gegen den Polizeibeamten, der den tödlichen Schuss abgegeben hat, kennt Florian
Flicker bis ins Detail. Er hat mit vielen Prozessbeteiligten und den
Angehörigen des Jugendlichen gesprochen. Ein Drehbuch für den Film existiert
bereits. Die juristischen Fragen des Falles leuchtet Florian Flicker in jeden
Winkel aus. Er führt die rechtliche Diskussion über den Fall auf höchstem
Niveau. Wiewohl vom Schicksal des Jugendlichen erschüttert und von dieser
Erschütterung zur Verfilmung motiviert, gelingt es Florian Flicker, sich in
alle anderen Beteiligten des Falles, in Polizeibeamte, Staatsanwälte, Richter,
Politiker, hineinzudenken und ihnen gerecht zu werden. Eine selten authentische
Offenheit und Bemühung um Wahrhaftigkeit ist spürbar, und eine scharfe
Beobachtungsgabe. Die Empathie für den Jugendlichen hindert Florian Flicker 
nicht daran, den Fall ruhig in alle Richtungen durchzudenken. Wenn auch nie
ausgesprochen, so war klar, dass der Film dem posthum auf einen Einbrecher reduzierten und so entwürdigten vierzehnjährigen
Florian P. Respekt erweisen sollte.

Ich habe Florian Flicker zwei Mal im Bräunerhof getroffen. Dazwischen haben wir uns über e-mail und am Telefon ausgetauscht. Er hat mir
Einblick in seine Arbeitsweise gewährt und mir über seine Pläne für die
Rollenbesetzung berichtet. Wir mussten über mögliche Besetzungen schmunzeln, als
wir uns Hollywoodstars in den Rollen realer Personen vorstellten, die wir nun
beide kannten. Und ich habe über Florian Flicker gestaunt: über die Akribie,
mit der er für seine Projekte mitunter jahrelang recherchierte. Und darüber,
dass er als (erfolgreicher) Künstler so völlig uneitel und unaffektiert war und
sich Selbstzweifel erhalten hatte. Wir sind beim Sie geblieben, und dies nicht
aus mangelnder Sympathie.

Wir hörten uns zuletzt kurz bevor das Förderungsansuchen für
den Film in die zuständigen Gremien ging. In den folgenden Wochen und Monaten
hatten wir keinen Kontakt mehr. Die Verbindung war zwar etwas abrupt
abgerissen, doch ich erklärte es mir damit, dass das Projekt möglicherweise
keine Finanzierung erhalten hatte. Ich hatte eine Scheu, aktiv nachzufragen.

Als ich vor wenigen Tagen in der Zeitung die Nachricht vom Tod von
Florian Flicker lese, kann ich es nicht glauben. Die Meldung erscheint mir nicht real. Ich habe Florian Flicker nur
flüchtig gekannt. Der selten tiefe Schmerz macht mir bewusst, wie einnehmend
seine Persönlichkeit war. Die kurze
Begegnung mit Florian Flicker hat genügt um zu erahnen, wie groß der Verlust
für seine Angehörigen und für die österreichische Filmlandschaft sein muss.

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