Gegen ein solches verkürztes Verfahren spricht der Entfall der Hauptverhandlung mit ihren vielfältigen Funktionen: Das Gericht verschafft sich in der Verhandlung einen Eindruck von der Person des Angeklagten, es kann Missverständnisse aufdecken, die Schuldfähigkeit besser beurteilen und mit Staatsanwaltschaft und Angeklagtem eine allfällige Sanktion erörtern und auf den Täter zuschneiden – etwa Weisungen aussprechen oder Bewährungshilfe anordnen. Auch dient die Hauptverhandlung einer raschen Schadensregulierung für das Opfer der Tat.
Vielen fehlt schon ein Ausweis
Ein gewichtiges Argument gegen ein schriftliches Verfahren ist auch, dass viele Menschen von ihrer Vorstrafenbelastung nichts erfahren würden – die betroffene Personengruppe behebt vielfach ihre Schriftstücke nicht auf dem Postamt, viele Menschen besitzen nicht einmal den für die Postabholung nötigen Lichtbildausweis.
Dennoch wäre ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen möglich. Das Mandatsverfahren scheint nämlich für einen bestimmten Bereich sehr wohl geeignet: für Strafverfahren nach Verkehrsunfällen. Angeklagte in diesem Feld des Strafrechts gehören in der Regel nicht zu jener bildungsmäßig und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppe wie die meisten anderen Angeklagten der Strafprozesse. Es handelt sich also um eine Gruppe von Angeklagten, die sehr wohl ihre Poststücke vom Postamt abholt, prüft und einen Rechtsbeistand konsultiert.
Zudem hat hier die Schadensregulierungsfunktion der Hauptverhandlung weniger Bedeutung als sonst: Die Schäden sind ohnedies durch die Haftpflichtversicherung gedeckt und können vom Versicherten ohne Zustimmung der Versicherung gar nicht ohne Weiteres anerkannt werden. Das vorgeschlagene Mandatsverfahren könnte hier, auf den Bereich der fahrlässigen Körperverletzungen eingeschränkt, im Einzelfall durchaus zweckmäßig sein.
Die hohe Zahl an Mandatsverfahren in Deutschland wird unter anderem dadurch erklärt, dass im Nachbarland für viele Straßenverkehrsdelikte nicht wie in Österreich die Verwaltungsbehörden, sondern die Gerichte zuständig sind. Und im Verkehrsrecht (auch im österreichischen Verwaltungsverfahren) haben sich Mandatsverfahren eben bewährt.
Oliver Scheiber ist Richter in Wien. Der Beitrag gibt seine persönliche Ansicht wieder.