Justizminister Brandstetter hat Pläne für ein neues Jugendgefängnis in Wien (im früheren Strafbezirksgericht und nunmehrigen Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel im 8. Bezirk) vorgestellt. Ein neues Jugendgefängnis ist dann zukunftsweisend, wenn es Teil einer Reform der Jugendgerichtsbarkeit ist. Folgende Punkte sind zentral:
– Schaffung von Jugendgerichtshöfen (Jugendkompetenzzentren) in den Ballungsräumen: Gericht, Staatsanwaltschaft, Sozialarbeit unter einem Dach, im besten Fall mit angeschlossenen universitären Einrichtungen (Jugendpsychiatrie, Kriminalsoziologie etc)
– Kommunikation im kurzen Weg in den neuen Jugendkompetenzzentren (interdisziplinäre Fallbesprechungen, runde Tische etc)
– bundesweiter Ausbau der hervorragend arbeitenden Wiener Jugendgerichtshilfe
– Ausbau der Alternativen zur Jugendhaft, Beschränkung des geschlossenen Vollzugs auf wenige gefährliche Täter
– Erhöhung der Ressourcen im Jugendstrafvollzug, v.a. mehr Sozialarbeit und Bildungsressourcen
– Reduzierung der langen Einschlusszeiten
– Schaffung eines Heranwachsendenstrafrechts: das Strafrecht muss flexibilisert werden, um reifeverzögerten jungen Straftätern die Eingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern (dzt greift das Jugendstrafrecht nur bis zur Volljährigkeit, einzelne Bestimmungen gelten bis zum Alter von 21 Jahren). Ein moderner Ansatz könnte flexiblere Ansätze bis zu einem Alter von 27 oder 28 Jahren bringen.
Hintergrund : 2002 hat der damalige Justizminister Böhmdorfer die Auflösung des Wiener Jugendgerichtshofs eingeleitet. Der Jugendgerichtshof war in den 70 Jahren seines Bestehens eine weltweit anerkannte Institution, deren Vorbildcharakter international anerkannt war. Eine spezialisierte Jugendgerichtsbarkeit hatte Vorteile: im Spezialgericht haben sich Richterinnen und Richter zusammengefunden, die gerne mit Jugendlichen arbeiten. Sie konnten besonders geschult werden und sich mit anderen Akteuren der Jugendarbeit – Jugendstaatsanwaltschaft, Polizei, Jugendamt, Sozialarbeit, PsychologInnen, JugendpsychiaterInnen – eng vernetzen. Die Stadt Wien etwa konzentrierte im Nachbarhaus des Jugendgerichtshofs die Jugendsozialarbeit – dies machte es möglich, dass Gericht, Staatsanwaltschaft und Sozialarbeit sich kurzfristig treffen konnten, um einzelne Fälle zu besprechen und jugendlichen Straftätern nicht nur Sanktionen anzudrohen, sondern auch Perspektiven zu eröffnen.
Dieses Netzwerk wurde mit der Auflösung des Jugendgerichtshofs zerschlagen. Die Zuständigkeit des Jugendgerichtshofs wurde auf mehr als zehn Gerichte in Wien verteilt, Know how und Kontakte gingen verloren. Rund 85% der Wiener Richterinnen und Richter haben 2002 in einer Petition auf die Nachteile der Auflösung des Jugendgerichts hingewiesen – ein starkes Signal einer traditionell zurückhaltenden Richterschaft, was rechtspolitische Äußerungen betrifft.
Mit der Auflösung des Jugendgerichtshofs wurde die dem Gericht angeschlossene Haftanstalt geschlossen; die jugendlichen Straftäter und Untersuchungshäftlinge sind seither in der großen Justizanstalt Josefstadt (zwischen 88 und 1000 Häftlinge) untergebracht. Die gemeinsame Unterbringung jugendlicher und erwachsener Häftlinge in einer Einrichtung ist ein Unding – die Trennung der jugendlichen Häftlinge von den harten erwachsenen Kriminellen lässt sich in einem Gebäude nie strikt durchführen und widerspricht allen internationalen Expertenempfehlungen.
Ein neues Jugendgefängnis würde also die Trennung der jugendlichen von den erwachsenen Häftlingen mit sich bringen; in diesem Punkt ist der Plan uneingeschränkt zu begrüßen. Allerdings ist zu bedenken: das Polizeianhaltezentrum am Hernalser Gürtel ist für 400 Polizeihäftlinge ausgelegt. Die Zahl der jugendlichen Untersuchungs- und Strafhäftlinge in Wien liegt bei nicht einmal 10% dieser Größe. Mit Hafträumen ist es wie mit Autobahnen: wo Gefängnisse entstehen, werden sie gefüllt. Da derzeit bundesweit mehrere Neubauten für Gefängnisse im Gespräch sind ist es wichtig im Auge zu behalten, dass Österreich im internationalen Vergleich bereits derzeit hohe Häftlingszahlen hat (unter Berücksichtigung von Bevölkerungszahl und Kriminalitätsrate). Die Modernisierung von Hafträumen ist notwendig und sinnvoll, der Ausbau von Haftplätzen dagegen keinesfalls. Für jeden neu errichteten Haftplatz sollte mindestens ein alter Haftplatz zugesperrt werden. Bei Jugendlichen geht der Trend international zur weitgehenden Abschaffung von Untersuchungs- und Strafhaft. An ihre Stelle treten Spezialeinrichtungen des betreuten Wohnens und der Wohngemeinschaft. Österreich bräuchte an modernen Standards gemessen überhaupt nur eine Handvoll Haftplätze für besonders gefährliche Jugendliche.
Am 1. Juli 2013 hat ein interdisziplinäres Team der Allianz gegen die Gleichgültigkeit nach konkreten Anlässen in einer Pressekonferenz eine Reform des Jugendstrafvollzugs eingefordert: https://www.oliverscheiber.eu/2013/07/allianz-gegen-die-gleichgultigkeit.html