Seit 1951 wird der Musikcontest Festival della canzone italiana im ligurischen Sanremo ausgetragen. Das Festival ist Fixpunkt im italienischen Jahreslauf, es wird begangen wie Weihnachten, Silvester, Ostern. Die Auswahl von Moderator, Sängern, Liedern, alles wird breit diskutiert. Jedes Jahr im Februar bestimmt das dem Eurovisionssongcontest vergleichbare Festival die Medien. Das Festival selbst dauert eine Woche lang und hat seine Heimat im legendären Teatro Ariston von Sanremo. Sanremo, bekannt für Casino und seine Blumenproduktion, hat dann eine Woche lang etwas vom früheren Glanz zurück.
Das eben zu Ende gegangene diesjährige Festival wurde zum zweiten Mal in Folge von Fabio Fazio moderiert, einem der wohl ungewöhnlichsten europäischen Fernsehstars. Fazio agiert wie aus einer vergangenen Zeit, und dennoch erfreut er sich der Liebe des Massenpublikums. Seine Moderation lässt die in Italien regelrecht durchgeknallte oberflächliche Fernsehkultur für ein paar Tage vergessen. Fazio zelebriert das Festival langsam. Da beginnt einer der Abende mit einer 20- minütigen Hommage an den kürzlich verstorbenen Claudio Abbado, da werden von Fazio und Gästen Gedichte verlesen und Fazio erinnert an verstorbene italienische Musiker. Am ersten Abend stören Aktivisten die Eröffnung, sie machen auf das Elend von Fabriksarbeitern in Süditalien aufmerksam. Seit 16 Monaten arbeiten mehrere hundert Arbeiter einer Fabrik, ohne Löhne zu erhalten. Alle Appelle an Medien und Politik haben nichts geholfen, drei Familienväter haben sich bisher das Leben genommen. Fazio redet in der Livesendung ruhig auf die Arbeiter ein, er nimmt sich Zeit, verliest die Protestbotschaft auf der Bühne, nicht ohne Empathie.
Buonismo, Gutmenschentum, haben Medien Fazio dieses Jahr vorgeworfen, außerdem sinkende Quoten am zweiten Abend und ein Zuviel an Nostalgie. Den Blick zurück in die italienische Musikgeschichte könne man sein lassen, meinte Fazio, aber erst dann, wenn man auch die Kunstwerke italienischer Maler in den Kirchen und Museen nicht mehr beachte. Andere Medien würdigten Fazios Stil; er habe eine Vintage-Seele, schrieb eine Zeitung. Der Programmdirektor der RAI steht zu Fazio: für den Qualitätsgewinn nehme er einen Rückgang der Quoten gern in Kauf.
Waren den Moderatoren früherer Jahre oft dümmliche Models zur Seite gestellt, so moderierte Fazio wie so oft bei seinen Sendungen gemeinsam mit der Schauspielerin und Komikerin Luciana Littizzetto. Die beiden sind ein eingespieltes Team, das regelmäßig freche politische Bemerkungen fallen lässt. Fabio Fazio steht nach langen Jahren im Fernsehen immer noch wie am ersten Tag vor der Kamera: bei aller Professionalität ist da noch das staunende Kind am Schirm, immer verschmitzt und von einer unzeitgemäßen Schüchternheit. Der Fernsehmoderator Fazio ist in diesem Sinne ein Gefährte Fellinis und Benignis, ein Melancholiker und Träumer, und doch am Puls der Zeit; ein Glücksfall für Publikum und Sender. Über die Siegerin des diesjährigen Festivals wird er sich wohl gefreut haben: die immer unbeholfen wirkende Arisa (sie hatte in Sanremo bereits 2009 den Newcomerpreis mit dem zauberhaften Titel Sincerità gewonnen) könnte eigens von Fazio erfunden worden sein.
Fabio Fazio und Luciana Littizzetto 2014 in Sanremo; Foto: Ansa |