Text erschienen in der Fachzeitschrift juridikum4/2013
Thema:
Jurist_innen
Die
Suche nach der Lucona – Personalauswahl und Ausbildung in der Justiz
Oliver Scheiber
„Die großen Zweifler an der Wissenschaft und dem Werte des Rechts, ein
Tolstoi, ein Daumier, ein Anatole France, sind für den werdenden Juristen
unschätzbare Mahner zur Selbstbesinnung. Denn ein guter Jurist kann nur der
werden, der mit schlechtem Gewissen Jurist ist.“
Gustav Radbruch[1]
1.
Einleitung
Wien, im Jahr 1990: Einer der
spektakulärsten Mordprozesse der österreichischen Geschichte beginnt. Die
Staatsanwaltschaft Wien wirft dem Demel-Chef und Szeneliebling Udo Proksch vor,
1977 den unter der Flagge Panamas fahrenden Frachter Lucona gechartert, offiziell mit teuren technischen Anlagen,
tatsächlich aber mit wertlosem Schrott auf die lange Seereise von Italien nach
Hongkong geschickt und zum Zwecke eines Versicherungsbetrugs unweit der
Malediven während der Fahrt gesprengt zu haben. Sechs Menschen verloren durch
die Explosion ihr Leben. Die Mordanklage stützt sich auf Indizien, denn das
gesunkene Wrack wurde nicht gefunden.
Das Schiff war vor Beginn der
Hauptverhandlung aber auch nie gesucht worden. Der Vorsitzende Richter des
Proksch-Prozesses, Hans-Christian Leiningen-Westerburg, beschließt, nach den ersten
Verhandlungswochen, die Lucona zu
suchen. Ein Knalleffekt, denn große Teile der Politik stehen noch immer hinter
Proksch. Gemeinsam mit vier Sachverständigen reist Leiningen im Januar 1991 auf
die Malediven und beauftragt eine amerikanische Bergungsfirma mit der Suche
nach der Lucona. Am letzten Tag der dreiwöchigen Suche wird das Wrack gefunden,
ziemlich genau an der von den überlebenden Zeugen angegebenen Position. Die
Lucona liegt 4197 Meter tief unter Wasser. Die nähere Untersuchung ergibt: Sie
wurde von innen gesprengt. Richter Leiningen reist zurück nach Wien und setzt
die Hauptverhandlung fort. Am Ende des Verfahrens steht für Proksch die
Verurteilung zu lebenslanger Haft. Die Minister Gratz und Blecha, die bis
zuletzt ihre schützende Hand über Proksch gehalten haben, stürzen.
Modica, Sizilien, im Jahr 2012:
An der Südküste Italiens werden nahezu täglich Boote mit Flüchtlingen aus
Afrika an Land gespült. Die FamilienrichterInnen des nahegelegenen Gerichts in
Modica bestellen für jeden ankommenden jugendlichen Flüchtling, binnen Stunden
einen Vormund, zumeist aus der AnwältInnenschaft. Sie halten in den Tagen
darauf Kontakt mit den AnwältInnen, überzeugen sich, dass die Jugendlichen
anständig untergebracht und notwendige Asyl- oder Aufenthaltsverfahren
eingeleitet werden. Ähnlich verstehen die JugendstrafrichterInnen im nahen
Catania ihren Beruf: Sie begleiten jugendliche StraftäterInnen, die sie
verurteilen, bis zu ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Sie besuchen
die Jugendlichen im Gefängnis und besprechen in den Wochen vor der Entlassung
mit ihnen, wie es draußen weitergehen soll und welche Unterstützungsangebote
existieren.
Die Empathiefähigkeit der
sizilianischen JugendrichterInnen, die Kreativität, Courage und gelebte
Unabhängigkeit eines Hans-Christian Leiningen-Westerburg verleihen einem
Rechtsprechungssystem ein starkes Rückgrat. Sie sorgen für eine sensible
Rechtsanwendung ohne Unterschied der Person. Hätte Leiningen in Wien nach
Schema F verhandelt, ohne das Schiff suchen zu lassen, das Verfahren hätte wohl
mit einem Freispruch geendet. Aber: Empathiefähigkeit, Kreativität, Courage –
sind das tatsächlich Fähigkeiten, die die Justiz bei der Personalauswahl
positiv würdigt?
spektakulärsten Mordprozesse der österreichischen Geschichte beginnt. Die
Staatsanwaltschaft Wien wirft dem Demel-Chef und Szeneliebling Udo Proksch vor,
1977 den unter der Flagge Panamas fahrenden Frachter Lucona gechartert, offiziell mit teuren technischen Anlagen,
tatsächlich aber mit wertlosem Schrott auf die lange Seereise von Italien nach
Hongkong geschickt und zum Zwecke eines Versicherungsbetrugs unweit der
Malediven während der Fahrt gesprengt zu haben. Sechs Menschen verloren durch
die Explosion ihr Leben. Die Mordanklage stützt sich auf Indizien, denn das
gesunkene Wrack wurde nicht gefunden.
Hauptverhandlung aber auch nie gesucht worden. Der Vorsitzende Richter des
Proksch-Prozesses, Hans-Christian Leiningen-Westerburg, beschließt, nach den ersten
Verhandlungswochen, die Lucona zu
suchen. Ein Knalleffekt, denn große Teile der Politik stehen noch immer hinter
Proksch. Gemeinsam mit vier Sachverständigen reist Leiningen im Januar 1991 auf
die Malediven und beauftragt eine amerikanische Bergungsfirma mit der Suche
nach der Lucona. Am letzten Tag der dreiwöchigen Suche wird das Wrack gefunden,
ziemlich genau an der von den überlebenden Zeugen angegebenen Position. Die
Lucona liegt 4197 Meter tief unter Wasser. Die nähere Untersuchung ergibt: Sie
wurde von innen gesprengt. Richter Leiningen reist zurück nach Wien und setzt
die Hauptverhandlung fort. Am Ende des Verfahrens steht für Proksch die
Verurteilung zu lebenslanger Haft. Die Minister Gratz und Blecha, die bis
zuletzt ihre schützende Hand über Proksch gehalten haben, stürzen.
An der Südküste Italiens werden nahezu täglich Boote mit Flüchtlingen aus
Afrika an Land gespült. Die FamilienrichterInnen des nahegelegenen Gerichts in
Modica bestellen für jeden ankommenden jugendlichen Flüchtling, binnen Stunden
einen Vormund, zumeist aus der AnwältInnenschaft. Sie halten in den Tagen
darauf Kontakt mit den AnwältInnen, überzeugen sich, dass die Jugendlichen
anständig untergebracht und notwendige Asyl- oder Aufenthaltsverfahren
eingeleitet werden. Ähnlich verstehen die JugendstrafrichterInnen im nahen
Catania ihren Beruf: Sie begleiten jugendliche StraftäterInnen, die sie
verurteilen, bis zu ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Sie besuchen
die Jugendlichen im Gefängnis und besprechen in den Wochen vor der Entlassung
mit ihnen, wie es draußen weitergehen soll und welche Unterstützungsangebote
existieren.
sizilianischen JugendrichterInnen, die Kreativität, Courage und gelebte
Unabhängigkeit eines Hans-Christian Leiningen-Westerburg verleihen einem
Rechtsprechungssystem ein starkes Rückgrat. Sie sorgen für eine sensible
Rechtsanwendung ohne Unterschied der Person. Hätte Leiningen in Wien nach
Schema F verhandelt, ohne das Schiff suchen zu lassen, das Verfahren hätte wohl
mit einem Freispruch geendet. Aber: Empathiefähigkeit, Kreativität, Courage –
sind das tatsächlich Fähigkeiten, die die Justiz bei der Personalauswahl
positiv würdigt?
Zu Österreichs RichterInnen liegt wenig Datenmaterial vor. Die
letzte Studie zu Herkunft und Sozialisation der österreichischen RichterInnen
liegt mehr als zehn Jahre zurück.[2]
Sie ergab ein sehr uniformes Bild der RichterInnenschaft, rund 50 % der RichterInnen stammten im Jahr 1999 aus Beamtenfamilien. Auch heute noch findet
sich ein unverhältnismäßig hoher Anteil von RichterInnen, die zumindest einen
Elternteil aus demselben Berufsstand haben. Die RichterInnenschaft rekrutiert sich in Österreich im Wesentlichen
aus der gehobenen Mittelschicht; die Lebensläufe sind meist ähnlich:
Mittelschule, Studium und daran
anschließend der Eintritt in den Justizdienst. Das Auswahlverfahren für die künftigen RichterInnen der ordentlichen
Gerichtsbarkeit und für StaatsanwältInnen sowie deren Grundausbildung[3]
erledigen in Österreich die vier
Oberlandesgerichte in Wien, Linz, Graz und Innsbruck. Im Auswahlverfahren fehlen Transparenz und nachvollziehbare Regeln; so
existiert auch kein in andereren Bereichen des öffentlichen
Diensts oder in großen
privaten Unternehmen selbstverständliches
Diversity-Konzept.[4] Vielfach sind die Landesgerichte für eine
Vorauswahl im Verfahren zur Findung des richterlichen Nachwuchses zuständig;
mangels gemeinsamer Kriterien gehen sie dabei unterschiedlich vor. Das Gesetz bestimmt, dass die RichteramtsanwärterInnen
jeweils für einige Monate verschiedenen Justizdienststellen, aber etwa auch
Opfereinrichtungen oder privaten Unternehmen zugeteilt werden. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt also beim training on the job. Bezüglich der ebenfalls vorgeschriebenen
Übungskurse bleibt das Gesetz vage. Die Modelle der vier Oberlandesgerichte
sind sich darin ähnlich, dass vor allem das bereits an den juridischen
Fakultäten Gelehrte vertieft wird. Der klare Schwerpunkt der Übungskurse liegt
bei materiellem und formellem Recht.
Überwiegend wird in kurzen Lerneinheiten gearbeitet (Blöcke von maximal 90 Minuten). Es dominiert
immer noch der Frontalvortrag gegenüber
dialogischem Lernen und einem
Diskurs. Der Schärfung der im Gesetz erwähnten
sozialen Fähigkeiten wird wenig Augenmerk geschenkt. Auch vergessen Gesetz und
Praxis, dass RichterInnen und StaatsanwältInnen je nach Arbeitsbereich auf Grundkenntnisse
benachbarter Disziplinen angewiesen sind. StrafrichterInnen
wie StaatsanwältInnen kommen schlecht ohne Wissen über
das
Wesen von Traumatisierungen, psychischen
Erkrankungen und Sucht aus. Für FamilienrichterInnen
ist die Kenntnis der
Grundbegriffe der Kinderpsychologie hilfreich.
letzte Studie zu Herkunft und Sozialisation der österreichischen RichterInnen
liegt mehr als zehn Jahre zurück.[2]
Sie ergab ein sehr uniformes Bild der RichterInnenschaft, rund 50 % der RichterInnen stammten im Jahr 1999 aus Beamtenfamilien. Auch heute noch findet
sich ein unverhältnismäßig hoher Anteil von RichterInnen, die zumindest einen
Elternteil aus demselben Berufsstand haben. Die RichterInnenschaft rekrutiert sich in Österreich im Wesentlichen
aus der gehobenen Mittelschicht; die Lebensläufe sind meist ähnlich:
Mittelschule, Studium und daran
anschließend der Eintritt in den Justizdienst. Das Auswahlverfahren für die künftigen RichterInnen der ordentlichen
Gerichtsbarkeit und für StaatsanwältInnen sowie deren Grundausbildung[3]
erledigen in Österreich die vier
Oberlandesgerichte in Wien, Linz, Graz und Innsbruck. Im Auswahlverfahren fehlen Transparenz und nachvollziehbare Regeln; so
existiert auch kein in andereren Bereichen des öffentlichen
Diensts oder in großen
privaten Unternehmen selbstverständliches
Diversity-Konzept.[4] Vielfach sind die Landesgerichte für eine
Vorauswahl im Verfahren zur Findung des richterlichen Nachwuchses zuständig;
mangels gemeinsamer Kriterien gehen sie dabei unterschiedlich vor. Das Gesetz bestimmt, dass die RichteramtsanwärterInnen
jeweils für einige Monate verschiedenen Justizdienststellen, aber etwa auch
Opfereinrichtungen oder privaten Unternehmen zugeteilt werden. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt also beim training on the job. Bezüglich der ebenfalls vorgeschriebenen
Übungskurse bleibt das Gesetz vage. Die Modelle der vier Oberlandesgerichte
sind sich darin ähnlich, dass vor allem das bereits an den juridischen
Fakultäten Gelehrte vertieft wird. Der klare Schwerpunkt der Übungskurse liegt
bei materiellem und formellem Recht.
Überwiegend wird in kurzen Lerneinheiten gearbeitet (Blöcke von maximal 90 Minuten). Es dominiert
immer noch der Frontalvortrag gegenüber
dialogischem Lernen und einem
Diskurs. Der Schärfung der im Gesetz erwähnten
sozialen Fähigkeiten wird wenig Augenmerk geschenkt. Auch vergessen Gesetz und
Praxis, dass RichterInnen und StaatsanwältInnen je nach Arbeitsbereich auf Grundkenntnisse
benachbarter Disziplinen angewiesen sind. StrafrichterInnen
wie StaatsanwältInnen kommen schlecht ohne Wissen über
das
Wesen von Traumatisierungen, psychischen
Erkrankungen und Sucht aus. Für FamilienrichterInnen
ist die Kenntnis der
Grundbegriffe der Kinderpsychologie hilfreich.
Kurz gefasst ist das Ausbildungssystem der Justiz dadurch
gekennzeichnet, dass das traditionelle Lehrsystem den heutigen Bedürfnissen nur unzureichend angepasst wurde, interdisziplinäre
Arbeit zu kurz kommt und ein
didaktisches Konzept nicht vorhanden ist.
Für die Lehrenden sind keine Mindeststandards definiert, es fehlt an einem
Qualitätssicherungsmodell für die Ausbildung (für die Fortbildung gilt Ähnliches). Dabei sind die
Anforderungen an die Ausbildung höher denn je; denn die Rahmenbedingungen für richterliches Handeln haben sich radikal
verändert.
gekennzeichnet, dass das traditionelle Lehrsystem den heutigen Bedürfnissen nur unzureichend angepasst wurde, interdisziplinäre
Arbeit zu kurz kommt und ein
didaktisches Konzept nicht vorhanden ist.
Für die Lehrenden sind keine Mindeststandards definiert, es fehlt an einem
Qualitätssicherungsmodell für die Ausbildung (für die Fortbildung gilt Ähnliches). Dabei sind die
Anforderungen an die Ausbildung höher denn je; denn die Rahmenbedingungen für richterliches Handeln haben sich radikal
verändert.
2. Geändertes Berufsbild und neue
Herausforderungen
Herausforderungen
Noch zu Zeiten des Lucona-Verfahrens mussten alle Parteien und ZeugInnen
in einem österreichischen Gerichtsverfahren während ihrer Einvernahme stehen,
mitunter stundenlang, ohne adäquate Möglichkeit, mitgebrachte Unterlagen vor
sich abzulegen. Heute sitzen alle Befragten während ihrer Einvernahme.
Der RichterInnentisch ist nicht mehr oder nur geringfügig erhöht. Helles hat
dunkles Holz in den Verhandlungssälen abgelöst. All diese Veränderungen
symbolisieren, was (noch) nicht ausgesprochen wird: ein Gebot zur Kommunikation
auf Augenhöhe zwischen Gericht, AnwältInnen und BürgerInnen.
in einem österreichischen Gerichtsverfahren während ihrer Einvernahme stehen,
mitunter stundenlang, ohne adäquate Möglichkeit, mitgebrachte Unterlagen vor
sich abzulegen. Heute sitzen alle Befragten während ihrer Einvernahme.
Der RichterInnentisch ist nicht mehr oder nur geringfügig erhöht. Helles hat
dunkles Holz in den Verhandlungssälen abgelöst. All diese Veränderungen
symbolisieren, was (noch) nicht ausgesprochen wird: ein Gebot zur Kommunikation
auf Augenhöhe zwischen Gericht, AnwältInnen und BürgerInnen.
In das Verfahrensrecht haben Institute wie Mediation,
Tatausgleich, Kronzeugenmodelle und Gerichtshilfe Einzug gehalten, die vor
allem die RichterInnen vor
neue Herausforderungen stellen. Sehr viel mehr als früher geht es heute in
jedem einzelnen Gerichtsverfahren darum, den gestörten Rechtsfrieden dauerhaft
wiederherzustellen, Probleme bei der Wurzel zu packen und schwache
Personengruppen, etwa Kinder im Fall von Gewalt in der Familie, geeignet zu
schützen. Die Palette der Maßnahmen, die Gerichte heute anwenden, ist enorm breit geworden. Der Moderation und Leitung eines
gerichtlichen Verfahrens kommt gestiegene, ja zentrale Bedeutung dafür zu, ob
die gerichtliche Intervention von den Verfahrensbeteiligten als positiv oder
negativ gewertet wird. Es
geht also darum, dass RichterInnen
und StaatsanwältInnen menschengerecht agieren; eine ihrer
zentralen Fähigkeiten muss jene zum Zuhören sein. Die traditionsreiche französische RichterInnenakademie
Ecole Nationale
de la Magistrature (ENM)[5] etwa bekennt sich zu einem neuen Humanismus, dem die moderne
Justiz verpflichtet sei. Justizakademien
jüngerer Demokratien wie etwa jene Rumäniens folgen einem
ähnlichen Ansatz.[6]
Tatausgleich, Kronzeugenmodelle und Gerichtshilfe Einzug gehalten, die vor
allem die RichterInnen vor
neue Herausforderungen stellen. Sehr viel mehr als früher geht es heute in
jedem einzelnen Gerichtsverfahren darum, den gestörten Rechtsfrieden dauerhaft
wiederherzustellen, Probleme bei der Wurzel zu packen und schwache
Personengruppen, etwa Kinder im Fall von Gewalt in der Familie, geeignet zu
schützen. Die Palette der Maßnahmen, die Gerichte heute anwenden, ist enorm breit geworden. Der Moderation und Leitung eines
gerichtlichen Verfahrens kommt gestiegene, ja zentrale Bedeutung dafür zu, ob
die gerichtliche Intervention von den Verfahrensbeteiligten als positiv oder
negativ gewertet wird. Es
geht also darum, dass RichterInnen
und StaatsanwältInnen menschengerecht agieren; eine ihrer
zentralen Fähigkeiten muss jene zum Zuhören sein. Die traditionsreiche französische RichterInnenakademie
Ecole Nationale
de la Magistrature (ENM)[5] etwa bekennt sich zu einem neuen Humanismus, dem die moderne
Justiz verpflichtet sei. Justizakademien
jüngerer Demokratien wie etwa jene Rumäniens folgen einem
ähnlichen Ansatz.[6]
Durch die neue Berufswirklichkeit hat die Persönlichkeitsbildung
der RichterInnen gegenüber den juristisch-technischen
Fähigkeiten an Bedeutung gewonnen. Ein Treffen von
Fortbildungsverantwortlichen der Justiz auf EU-Ebene[7]
hat vor kurzem gezeigt, dass quer durch Europa die Notwendigkeit zu Umbrüchen
in der RichterInnenausbildung gesehen wird: Es besteht große Übereinstimmung
dahingehend, dass in der Grundausbildung den nicht-juristischen Inhalten
zumindest gleich viel Bedeutung und Raum zuzumessen ist wie der Lehre von
materiellem Recht und Verfahrensregeln. Im Übrigen wird allgemein das
Erfordernis einer mehrjährigen Berufspraxis außerhalb der Justiz als
zukunftsweisend empfunden.
der RichterInnen gegenüber den juristisch-technischen
Fähigkeiten an Bedeutung gewonnen. Ein Treffen von
Fortbildungsverantwortlichen der Justiz auf EU-Ebene[7]
hat vor kurzem gezeigt, dass quer durch Europa die Notwendigkeit zu Umbrüchen
in der RichterInnenausbildung gesehen wird: Es besteht große Übereinstimmung
dahingehend, dass in der Grundausbildung den nicht-juristischen Inhalten
zumindest gleich viel Bedeutung und Raum zuzumessen ist wie der Lehre von
materiellem Recht und Verfahrensregeln. Im Übrigen wird allgemein das
Erfordernis einer mehrjährigen Berufspraxis außerhalb der Justiz als
zukunftsweisend empfunden.
3.
Qualitäts(un)sicherheit
Qualitäts(un)sicherheit
Die Aufgaben
von RichterInnen,
Streitigkeiten zu regeln und über sie zu entscheiden, sowie den
Rechtsfrieden zu bewahren, sind für jede Gesellschaft zentral. Die Entwicklung der
Rechtsprechung in Arbeits- und Sozialrechtssachen, in Asylsachen, oder in mietrechtlichen Angelegenheiten, über Fragen der Bewilligung von Bewährungshilfe oder Therapien für StraftäterInnen oder zum Umgang mit
Opfern von Straftaten bestimmen die Gesellschaft
wesentlich mit. Ein richterliches Rollenbild, das diese Aufgaben im Auge hat,
fehlt in Österreich – so wie in den meisten europäischen Staaten. Das überrascht:
Große
Betriebe, ob öffentlich oder privat, formulieren in der Regel eine
Zielsetzung und gemeinsame Idee; mit positiver Wirkung auf
die MitarbeiterInnenmotivation
und die Flexibilität des Systems. Die Justiz liest ihre
Aufgabe aus Verfassung und gesellschaftlicher Grundordnung ab, verzichtet aber auf die Formulierung eines konkreten,
detaillierten (Unternehmens)ziels. Auch
verraten weder Gesetz noch Verordnungen,
welches Bild der Gesetzgeber von RichterInnen und StaatsanwältInnen vor Augen hat.[8] Die fehlende Formulierung
von Unternehmensziel und Rollenbild
erschwert zum einen eine transparente Personalauswahl, und liefert zum anderen die Erklärung, warum jedes Aus- und Fortbildungssystem
vage bleiben muss.[9] Einen anderen Weg haben Frankreich
und das in der RichterInnenausbildung fortschrittliche Rumänien gewählt. Die
ENM hat dreizehn Fähigkeiten definiert, die RichterInnen und StaatsanwältInnen benötigen und
die in der Ausbildung geschärft werden sollen. Ein Schwerpunkt liegt auf
sozialen und kommunikativen Fähigkeiten.[10]
von RichterInnen,
Streitigkeiten zu regeln und über sie zu entscheiden, sowie den
Rechtsfrieden zu bewahren, sind für jede Gesellschaft zentral. Die Entwicklung der
Rechtsprechung in Arbeits- und Sozialrechtssachen, in Asylsachen, oder in mietrechtlichen Angelegenheiten, über Fragen der Bewilligung von Bewährungshilfe oder Therapien für StraftäterInnen oder zum Umgang mit
Opfern von Straftaten bestimmen die Gesellschaft
wesentlich mit. Ein richterliches Rollenbild, das diese Aufgaben im Auge hat,
fehlt in Österreich – so wie in den meisten europäischen Staaten. Das überrascht:
Große
Betriebe, ob öffentlich oder privat, formulieren in der Regel eine
Zielsetzung und gemeinsame Idee; mit positiver Wirkung auf
die MitarbeiterInnenmotivation
und die Flexibilität des Systems. Die Justiz liest ihre
Aufgabe aus Verfassung und gesellschaftlicher Grundordnung ab, verzichtet aber auf die Formulierung eines konkreten,
detaillierten (Unternehmens)ziels. Auch
verraten weder Gesetz noch Verordnungen,
welches Bild der Gesetzgeber von RichterInnen und StaatsanwältInnen vor Augen hat.[8] Die fehlende Formulierung
von Unternehmensziel und Rollenbild
erschwert zum einen eine transparente Personalauswahl, und liefert zum anderen die Erklärung, warum jedes Aus- und Fortbildungssystem
vage bleiben muss.[9] Einen anderen Weg haben Frankreich
und das in der RichterInnenausbildung fortschrittliche Rumänien gewählt. Die
ENM hat dreizehn Fähigkeiten definiert, die RichterInnen und StaatsanwältInnen benötigen und
die in der Ausbildung geschärft werden sollen. Ein Schwerpunkt liegt auf
sozialen und kommunikativen Fähigkeiten.[10]
4.
Steuerung
Steuerung
Die österreichische Justiz ist im
internationalen Vergleich hoch entwickelt.[11]
Wo Defizite bestehen, gehen diese meistens auf einen Mangel an zentraler
Steuerung zurück. Auf den Personalsektor trifft dies in besonderem Maße zu. Ein paar Jahre lang fehlt es an StaatsanwältInnen, dann
wieder an FamilienrichterInnen.
Für die Zukunft gilt es, durch ein
Mehr an Analyse und Steuerung den mutmaßlichen Personalbedarf in den einzelnen
Sparten besser zu planen
und bei der Auswahl unter den BewerberInnen
mehr auf die spezifische Qualifikation zu achten. So lässt die Zusatzqualifikation
[F1] Wirtschaftsstudium
erwarten, dass sich die unter diesem Aspekt ausgewählten Personen für eine
Tätigkeit im Unternehmens- oder Wirtschaftsstrafrecht interessieren,
während für den Familienrechtsbereich eher Zusatzqualifikationen aus dem
Bereich Mediation, Psychologie oder Sozialarbeit relevant sind.
internationalen Vergleich hoch entwickelt.[11]
Wo Defizite bestehen, gehen diese meistens auf einen Mangel an zentraler
Steuerung zurück. Auf den Personalsektor trifft dies in besonderem Maße zu. Ein paar Jahre lang fehlt es an StaatsanwältInnen, dann
wieder an FamilienrichterInnen.
Für die Zukunft gilt es, durch ein
Mehr an Analyse und Steuerung den mutmaßlichen Personalbedarf in den einzelnen
Sparten besser zu planen
und bei der Auswahl unter den BewerberInnen
mehr auf die spezifische Qualifikation zu achten. So lässt die Zusatzqualifikation
[F1] Wirtschaftsstudium
erwarten, dass sich die unter diesem Aspekt ausgewählten Personen für eine
Tätigkeit im Unternehmens- oder Wirtschaftsstrafrecht interessieren,
während für den Familienrechtsbereich eher Zusatzqualifikationen aus dem
Bereich Mediation, Psychologie oder Sozialarbeit relevant sind.
Generell wären im Aufnahmeprozess und in der Grundausbildung
Qualitätsschübe vor allem durch die Gründung einer Justizakademie zu erzielen. Österreich
verfügt – ähnlich wie Deutschland und Finnland –
als eines der letzten Länder in Europa über keine RichterInnenakademie, in der eine zentrale,
moderne, postuniversitäre Spezialausbildung geboten werden kann. So wie in
Europa im Polizeibereich schon lange zentrale Sicherheitsakademien Standard
sind, so hat sich auch in den Justizsystemen eine Struktur mit zentralen
Justizschulen durchgesetzt;[12] die französische und rumänische Akademie mit ihrer Leitfunktion wurden
bereits erwähnt.[13]
Eine zentrale Justizakademie böte
auch in Österreich die Möglichkeit eines transparenten, gleichen
Aufnahmeverfahrens für das gesamte Bundesgebiet und die Chance, die
Grundausbildung nach modernsten didaktischen Konzepten als
Postgraduate-Ausbildung auszugestalten. Interdisziplinäre Konzepte ließen sich so ebenfalls besser umsetzen. Schließlich würden sich über eine neue Akademie die Berufe der
VerwaltungsrichterInnen und JustizrichterInnen zusammenführen lassen. Derzeit
können die RichterInnen der ordentlichen Gerichtsbarkeit in die
Verwaltungsgerichtsbarkeit wechseln, eine Bewerbung in die Gegenrichtung ist
aber nicht möglich. Die Durchlässigkeit der Berufsbilder wird am sinnvollsten
über die Harmonisierung der Aus- und Fortbildungssysteme gelingen können.
Qualitätsschübe vor allem durch die Gründung einer Justizakademie zu erzielen. Österreich
verfügt – ähnlich wie Deutschland und Finnland –
als eines der letzten Länder in Europa über keine RichterInnenakademie, in der eine zentrale,
moderne, postuniversitäre Spezialausbildung geboten werden kann. So wie in
Europa im Polizeibereich schon lange zentrale Sicherheitsakademien Standard
sind, so hat sich auch in den Justizsystemen eine Struktur mit zentralen
Justizschulen durchgesetzt;[12] die französische und rumänische Akademie mit ihrer Leitfunktion wurden
bereits erwähnt.[13]
Eine zentrale Justizakademie böte
auch in Österreich die Möglichkeit eines transparenten, gleichen
Aufnahmeverfahrens für das gesamte Bundesgebiet und die Chance, die
Grundausbildung nach modernsten didaktischen Konzepten als
Postgraduate-Ausbildung auszugestalten. Interdisziplinäre Konzepte ließen sich so ebenfalls besser umsetzen. Schließlich würden sich über eine neue Akademie die Berufe der
VerwaltungsrichterInnen und JustizrichterInnen zusammenführen lassen. Derzeit
können die RichterInnen der ordentlichen Gerichtsbarkeit in die
Verwaltungsgerichtsbarkeit wechseln, eine Bewerbung in die Gegenrichtung ist
aber nicht möglich. Die Durchlässigkeit der Berufsbilder wird am sinnvollsten
über die Harmonisierung der Aus- und Fortbildungssysteme gelingen können.
Eine
völlig neu gestaltete RichterInnenausbildung
erscheint umso nötiger, als die rechtswissenschaftlichen Studien in Österreich
weitgehend einen rein rechtsdogmatisch-normativen Ansatz verfolgen. Max Haller[14]
ist darin zuzustimmen, dass die
Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einerseits, Recht und Verfassung
andererseits stärker ins Bewusstsein aller Rechtsberufe treten müsste. Eine Akademie könnte diese Aufgabe übernehmen und, angelehnt an das
Vorbild der französischen ENM, ein Berufsprofil für RichterInnen und StaatsanwältInnen entwickeln und die Personalauswahl
und Ausbildung daran ausrichten. Der europäischen Entwicklung Rechnung tragend
müsste eine Akademie einen Schwerpunkt auf soziale und kommunikative
Fähigkeiten legen. Tatsächlich sind Kommunikation und Sprache
Schlüsselbegriffe für den Zugang zum Recht und damit für eine moderne Justiz. Dies
findet in der Aus- und Fortbildung der
Justiz bereits jetzt da und dort Niederschlag.
Der nötige Paradigmenwechsel, der auch die Universitäten einschließt, steht
aber noch aus. JuristInnen
werden nach wie vor zur Unverständlichkeit erzogen. Auch gut gebildete Menschen
können vielfach weder den Verlauf einer Gerichtsverhandlung
richtig deuten noch den Sinn gerichtlicher Entscheidungen erfassen; oft ist für
Laien nicht erkennbar, wer denn nun Recht bekommen hat. Dabei ließen sich schon durch einfache Umstellungen, Verbesserungen erzielen: Die Verwendung des Familiennamens macht
einen Text etwa leichter
verständlich als die Verwendung von
abstrakten Bezeichnungen wie
„Kläger“ oder gar
„Gegner der gefährdeten Partei“. Urteile wie
auch Internetseiten und Presseaussendungen von Höchstgerichten bieten positive
Beispiele einer neuen Sprache. Die Texte des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte etwa zeichnen sich zumeist durch eine hohe Verständlichkeit aus.
völlig neu gestaltete RichterInnenausbildung
erscheint umso nötiger, als die rechtswissenschaftlichen Studien in Österreich
weitgehend einen rein rechtsdogmatisch-normativen Ansatz verfolgen. Max Haller[14]
ist darin zuzustimmen, dass die
Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einerseits, Recht und Verfassung
andererseits stärker ins Bewusstsein aller Rechtsberufe treten müsste. Eine Akademie könnte diese Aufgabe übernehmen und, angelehnt an das
Vorbild der französischen ENM, ein Berufsprofil für RichterInnen und StaatsanwältInnen entwickeln und die Personalauswahl
und Ausbildung daran ausrichten. Der europäischen Entwicklung Rechnung tragend
müsste eine Akademie einen Schwerpunkt auf soziale und kommunikative
Fähigkeiten legen. Tatsächlich sind Kommunikation und Sprache
Schlüsselbegriffe für den Zugang zum Recht und damit für eine moderne Justiz. Dies
findet in der Aus- und Fortbildung der
Justiz bereits jetzt da und dort Niederschlag.
Der nötige Paradigmenwechsel, der auch die Universitäten einschließt, steht
aber noch aus. JuristInnen
werden nach wie vor zur Unverständlichkeit erzogen. Auch gut gebildete Menschen
können vielfach weder den Verlauf einer Gerichtsverhandlung
richtig deuten noch den Sinn gerichtlicher Entscheidungen erfassen; oft ist für
Laien nicht erkennbar, wer denn nun Recht bekommen hat. Dabei ließen sich schon durch einfache Umstellungen, Verbesserungen erzielen: Die Verwendung des Familiennamens macht
einen Text etwa leichter
verständlich als die Verwendung von
abstrakten Bezeichnungen wie
„Kläger“ oder gar
„Gegner der gefährdeten Partei“. Urteile wie
auch Internetseiten und Presseaussendungen von Höchstgerichten bieten positive
Beispiele einer neuen Sprache. Die Texte des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte etwa zeichnen sich zumeist durch eine hohe Verständlichkeit aus.
Das soziale und kommunikative Verhalten der Justizorgane bedarf aber auch
einer laufenden Evaluierung im Justizalltag: Während
die Überprüfung der Qualität der Entscheidungen durch Rechtsmittel erfolgt und die Verfahrensdauer mittels EDV penibel beobachtet wird,
unterliegen interaktive Kompetenzen der RichterInnen
und StaatsanwältInnen, Höflichkeit und Pünktlichkeit
keiner systematischen Überprüfung. Die Zukunft gehört daher einem breit
angelegten Qualitätssicherungssystem, für das sich Vorbilder vor allem im
Gesundheits- und Universitätswesen finden und das auch
mit KundInnenbefragungen arbeitet.
einer laufenden Evaluierung im Justizalltag: Während
die Überprüfung der Qualität der Entscheidungen durch Rechtsmittel erfolgt und die Verfahrensdauer mittels EDV penibel beobachtet wird,
unterliegen interaktive Kompetenzen der RichterInnen
und StaatsanwältInnen, Höflichkeit und Pünktlichkeit
keiner systematischen Überprüfung. Die Zukunft gehört daher einem breit
angelegten Qualitätssicherungssystem, für das sich Vorbilder vor allem im
Gesundheits- und Universitätswesen finden und das auch
mit KundInnenbefragungen arbeitet.
5. Zum Schluss
So wie in vielen Feldern liegt auch für die Justiz die Zukunft in
Europa. Die nationalen europäischen Justizsysteme haben lange abgeschottet
voneinander vor sich hingearbeitet; Gerichtsentscheidungen anderer Staaten
wurden skeptisch beäugt. In den letzten Jahren hat die Annäherung und
Harmonisierung nicht nur das materielle Recht, sondern auch die richterliche
Aus- und Fortbildung voll erfasst. Ein- und zweiwöchige Austauschaufenthalte
von RichterInnen und StaatsanwältInnen innerhalb Europas sind zu einer
Erfolgsgeschichte geworden wie einst die ersten Austauschprogramme für
Studierende.[15]
Der Europarat wiederum bemüht sich um die Harmonisierung der Grundrechtsschulung
der europäischen RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen.[16]
Innerhalb der EU gibt es erste Tendenzen, gesamteuropäische Konzepte für die
richterliche Grundausbildung zu entwickeln. Diskutiert wird die Ausarbeitung
von Standards für die nicht-juristischen Teile der richterlichen
Grundausbildung: etwa zur Vermittlung von Kenntnissen für das Management von Großverfahren, für
den Umgang mit Medien, von Grundkenntnissen anderer bei Gericht häufig
benötigter Disziplinen; zudem geht es um berufsethische Fragen,
Sprachkenntnisse und um eine Vertiefung des Europarechts.[17]
Europa. Die nationalen europäischen Justizsysteme haben lange abgeschottet
voneinander vor sich hingearbeitet; Gerichtsentscheidungen anderer Staaten
wurden skeptisch beäugt. In den letzten Jahren hat die Annäherung und
Harmonisierung nicht nur das materielle Recht, sondern auch die richterliche
Aus- und Fortbildung voll erfasst. Ein- und zweiwöchige Austauschaufenthalte
von RichterInnen und StaatsanwältInnen innerhalb Europas sind zu einer
Erfolgsgeschichte geworden wie einst die ersten Austauschprogramme für
Studierende.[15]
Der Europarat wiederum bemüht sich um die Harmonisierung der Grundrechtsschulung
der europäischen RichterInnen, StaatsanwältInnen und RechtsanwältInnen.[16]
Innerhalb der EU gibt es erste Tendenzen, gesamteuropäische Konzepte für die
richterliche Grundausbildung zu entwickeln. Diskutiert wird die Ausarbeitung
von Standards für die nicht-juristischen Teile der richterlichen
Grundausbildung: etwa zur Vermittlung von Kenntnissen für das Management von Großverfahren, für
den Umgang mit Medien, von Grundkenntnissen anderer bei Gericht häufig
benötigter Disziplinen; zudem geht es um berufsethische Fragen,
Sprachkenntnisse und um eine Vertiefung des Europarechts.[17]
Wie richterliche Ausbildung in Österreich in
Zukunft aussehen könnte, zeigen zwei kürzlich eingerichtete Ausbildungsmodule
für RichteramtsanwärterInnen. Beide Module werden bundesweit ausgeschrieben und
bilden schon dahingehend Ausnahmefälle in einem sonst regionalen
Ausbildungsangebot. Ein insgesamt sechstägiges Seminar zur Justizgeschichte
beleuchtet die Entwicklung des Rechtssystems der letzten 150 Jahre. Ein Schwerpunkt
liegt dabei auf der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Aufarbeitung. Die
Kontinuität von RichterInnenkarrieren wird genauso diskutiert, wie die
verschiedenen Modelle von Transitional Justice. In das Seminar integriert sind
der Besuch von Gedenkstätten (der ehemaligen Euthanasieklinik Am Spiegelgrund in Wien bzw des
Vernichtungslagers Mauthausen) sowie ZeitzeugInnengespräche. Im jüngsten Modul
des Seminars wurden die Lebensgeschichten des NS-Verbrechers Heinrich Gross und
seines Opfers Friedrich Zawrel anhand des Besuchs der Gedenkstätte Am Spiegelgrund, durch ein ZeitzeugInnengespräch
mit Friedrich Zawrel sowie einen Besuch des Theaterstücks „F. Zawrel –
Erbbiologisch und sozial minderwertig“ bearbeitet. Der Schauspieler Nikolaus
Habjan, der 2013 für die Produktion mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet worden
war, war auch im Seminar anwesend. Das Seminar wurde interdisziplinär
(juristisch-geschichtswissenschaftlich) konzipiert und vom Justizministerium
organisiert. Die Evaluierung ergab eine sehr hohe Akzeptanz bei den
RichteramtsanwärterInnen. Es gelingt damit, einen Raum für eine offene,
kritische Auseinandersetzung mit dem künftigen Beruf zu schaffen. Ähnliches
gilt für ein Grundrechtecurriculum, das die Fachgruppe Grundrechte der
Österreichischen RichterInnenvereinigung organisiert und das ebenfalls rund
sechs Tage dauert. Das Seminar ist zweigeteilt. Ein Block findet in Österreich
statt, ein zweiter Teil in Straßburg, wo Verhandlungen des EGMR besucht werden
und Diskussionen mit RichterInnen des EGMR stattfinden.
Zukunft aussehen könnte, zeigen zwei kürzlich eingerichtete Ausbildungsmodule
für RichteramtsanwärterInnen. Beide Module werden bundesweit ausgeschrieben und
bilden schon dahingehend Ausnahmefälle in einem sonst regionalen
Ausbildungsangebot. Ein insgesamt sechstägiges Seminar zur Justizgeschichte
beleuchtet die Entwicklung des Rechtssystems der letzten 150 Jahre. Ein Schwerpunkt
liegt dabei auf der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Aufarbeitung. Die
Kontinuität von RichterInnenkarrieren wird genauso diskutiert, wie die
verschiedenen Modelle von Transitional Justice. In das Seminar integriert sind
der Besuch von Gedenkstätten (der ehemaligen Euthanasieklinik Am Spiegelgrund in Wien bzw des
Vernichtungslagers Mauthausen) sowie ZeitzeugInnengespräche. Im jüngsten Modul
des Seminars wurden die Lebensgeschichten des NS-Verbrechers Heinrich Gross und
seines Opfers Friedrich Zawrel anhand des Besuchs der Gedenkstätte Am Spiegelgrund, durch ein ZeitzeugInnengespräch
mit Friedrich Zawrel sowie einen Besuch des Theaterstücks „F. Zawrel –
Erbbiologisch und sozial minderwertig“ bearbeitet. Der Schauspieler Nikolaus
Habjan, der 2013 für die Produktion mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet worden
war, war auch im Seminar anwesend. Das Seminar wurde interdisziplinär
(juristisch-geschichtswissenschaftlich) konzipiert und vom Justizministerium
organisiert. Die Evaluierung ergab eine sehr hohe Akzeptanz bei den
RichteramtsanwärterInnen. Es gelingt damit, einen Raum für eine offene,
kritische Auseinandersetzung mit dem künftigen Beruf zu schaffen. Ähnliches
gilt für ein Grundrechtecurriculum, das die Fachgruppe Grundrechte der
Österreichischen RichterInnenvereinigung organisiert und das ebenfalls rund
sechs Tage dauert. Das Seminar ist zweigeteilt. Ein Block findet in Österreich
statt, ein zweiter Teil in Straßburg, wo Verhandlungen des EGMR besucht werden
und Diskussionen mit RichterInnen des EGMR stattfinden.
Diese neuen Ansätze zeigen, dass ein von Dialog, Diskurs und Kommunikation
auf Augenhöhe angelegtes RichterInnenbild von der jungen Generation als
selbstverständlich angenommen wird. Auf breite Basis gestellt haben diese
Initiativen das Potenzial, eine neue Kultur in den Gerichten und
Staatsanwaltschaften zu entwickeln. Von der Masse der Richterinnen und Richter
erwartet niemand HeldInnentum. Zu Bestimmtheit, Empathie und Zugewandtheit zum
Menschen verpflichtet die richterliche Unabhängigkeit allemal.
auf Augenhöhe angelegtes RichterInnenbild von der jungen Generation als
selbstverständlich angenommen wird. Auf breite Basis gestellt haben diese
Initiativen das Potenzial, eine neue Kultur in den Gerichten und
Staatsanwaltschaften zu entwickeln. Von der Masse der Richterinnen und Richter
erwartet niemand HeldInnentum. Zu Bestimmtheit, Empathie und Zugewandtheit zum
Menschen verpflichtet die richterliche Unabhängigkeit allemal.
Dr. Oliver
Scheiber ist Richter in Wien und
Lehrbeauftragter an der Universität Wien; er ist auch in der richterlichen Aus-
und Fortbildung tätig; oliver.scheiber@justiz.gv.at
[1] Radbruch in Schmidt (Hrsg), Eine Feuerbach-Gedenkrede sowie drei Aufsätze aus
dem wissenschaftlichen Nachlaß (1952) 24.
dem wissenschaftlichen Nachlaß (1952) 24.
[2] Haller, RichterInnen in Österreich,
juridikum 4/2002, 176; abrufbar unter: http://www.juridikum.at/fileadmin/user_upload/ausgaben/juridikum%204-2002.pdf (Stand:
1.11.2013).
juridikum 4/2002, 176; abrufbar unter: http://www.juridikum.at/fileadmin/user_upload/ausgaben/juridikum%204-2002.pdf (Stand:
1.11.2013).
[3] Die
Auswahl der RichterInnen der neuen Verwaltungsgerichte folgt anderen
Regelungen, eine RichterInnenausbildung ist bei den Verwaltungsgerichten nicht
vorgesehen.
Auswahl der RichterInnen der neuen Verwaltungsgerichte folgt anderen
Regelungen, eine RichterInnenausbildung ist bei den Verwaltungsgerichten nicht
vorgesehen.
[4] Die
ordentliche Justiz sperrt sich etwa nach wie vor gegen die Aufnahme blinder RichterInnen.
Anders das neue Bundesverwaltungsgericht: Mit Alexander Niederwimmer und
Gerhard Höllerer werden dort ab 1.1.2014 erstmals sehbehinderte Personen als
Richter arbeiten.
ordentliche Justiz sperrt sich etwa nach wie vor gegen die Aufnahme blinder RichterInnen.
Anders das neue Bundesverwaltungsgericht: Mit Alexander Niederwimmer und
Gerhard Höllerer werden dort ab 1.1.2014 erstmals sehbehinderte Personen als
Richter arbeiten.
[6] Das Institutul
National al Magistraturii (INM) verfügt über ein inhaltlich und didaktisch
beachtliches Konzept der RichterInnenausbildung (http://www.inm-lex.ro/index.php, Stand: 1.11.2013).
National al Magistraturii (INM) verfügt über ein inhaltlich und didaktisch
beachtliches Konzept der RichterInnenausbildung (http://www.inm-lex.ro/index.php, Stand: 1.11.2013).
[7] Train–the–trainer–Seminar des European Judicial Training Network (EJTN; Arbeitsplattform der EU–Justizausbildungsstätten) am 22./23.10.2013 in Florenz (http://ejtn.net/en/About/Training-the-Trainers/; Stand: 1.11.2013).
[8] Ein
wichtiger Schritt erfolgte in Österreich durch die gesetzliche Erwähnung
sozialer Kompetenzen als Voraussetzung für das RichterInnenamt und als Ziel der
Grundausbildung durch die Dienstrechts-Novelle 2008, BGBl I 147/2008.
wichtiger Schritt erfolgte in Österreich durch die gesetzliche Erwähnung
sozialer Kompetenzen als Voraussetzung für das RichterInnenamt und als Ziel der
Grundausbildung durch die Dienstrechts-Novelle 2008, BGBl I 147/2008.
[9] Dazu
kommt, dass für RichterInnen
und StaatsanwältInnen keine durchsetzbare Fortbildungsverpflichtung besteht.
Dies verursacht Schwierigkeiten bei der Implementierung neuer
Materien, was in der Strafgerichtsbarkeit etwa bei der
Verbandsverantwortlichkeit, der Umsetzung der Strafprozessreform oder der
Vermögensabschöpfung gut zu beobachten ist.
kommt, dass für RichterInnen
und StaatsanwältInnen keine durchsetzbare Fortbildungsverpflichtung besteht.
Dies verursacht Schwierigkeiten bei der Implementierung neuer
Materien, was in der Strafgerichtsbarkeit etwa bei der
Verbandsverantwortlichkeit, der Umsetzung der Strafprozessreform oder der
Vermögensabschöpfung gut zu beobachten ist.
[10] Vgl http://www.enm-justice.fr/formation-initiale/accueil.php (Stand 28.10.2013): die ENM spricht von den Fähigkeiten 1. je nach
den Umständen mit Autorität oder Demut
aufzutreten; 2. einen Sachverhalt oder ein Dossier zu analysieren und
zusammenzufassen; 3. Verfahrensregeln zu erkennen, anzuwenden und zu
garantieren; 4. berufsethische Regelungen festzumachen, sich anzueignen und in
der Praxis anzuwenden; 5. eine Entscheidung zu begründen, zu formalisieren und
zu erklären; 6. zu organisieren, zu leiten und innovativ zu wirken; 7. im
vorgesehenen nationalen oder internationalen Zusammenhang zu agieren; 8. eine
Entscheidung zu treffen, gegründet auf das Gesetz und nach Prüfung der Fakten,
die exekutierbar ist, geleitet von Hausverstand; 9. die Fähigkeit, eine Verhandlung
in Abstimmung mit dem Regelwerk vorzubereiten und zu leiten; 10. sich an
verschiedene Situationen anzupassen; 11. zuzuhören und mit anderen zu
interagieren; 12. Vergleichs- bzw Versöhnungsversuche zwischen den Parteien zu
moderieren; 13. im Team zu arbeiten.
den Umständen mit Autorität oder Demut
aufzutreten; 2. einen Sachverhalt oder ein Dossier zu analysieren und
zusammenzufassen; 3. Verfahrensregeln zu erkennen, anzuwenden und zu
garantieren; 4. berufsethische Regelungen festzumachen, sich anzueignen und in
der Praxis anzuwenden; 5. eine Entscheidung zu begründen, zu formalisieren und
zu erklären; 6. zu organisieren, zu leiten und innovativ zu wirken; 7. im
vorgesehenen nationalen oder internationalen Zusammenhang zu agieren; 8. eine
Entscheidung zu treffen, gegründet auf das Gesetz und nach Prüfung der Fakten,
die exekutierbar ist, geleitet von Hausverstand; 9. die Fähigkeit, eine Verhandlung
in Abstimmung mit dem Regelwerk vorzubereiten und zu leiten; 10. sich an
verschiedene Situationen anzupassen; 11. zuzuhören und mit anderen zu
interagieren; 12. Vergleichs- bzw Versöhnungsversuche zwischen den Parteien zu
moderieren; 13. im Team zu arbeiten.
[11] Vgl
etwa den jüngsten einschlägigen Bericht des Europarats: 4. Bericht zur
Bewertung europäischer Justizsysteme der
Europäischen Kommission für die
Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) vom 20.9.2012 (http://www.coe.int/t/dghl/cooperation/cepej/evaluation/2012/Rapport_en.pdf; Stand:
1.11.2013).
etwa den jüngsten einschlägigen Bericht des Europarats: 4. Bericht zur
Bewertung europäischer Justizsysteme der
Europäischen Kommission für die
Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) vom 20.9.2012 (http://www.coe.int/t/dghl/cooperation/cepej/evaluation/2012/Rapport_en.pdf; Stand:
1.11.2013).
[12] Eine Übersicht
über die Europäischen Justizausbildungsstätten findet sich unter http://www.ejtn.eu/About/EJTN-Affiliates/ (Stand:
1.11.2013).
über die Europäischen Justizausbildungsstätten findet sich unter http://www.ejtn.eu/About/EJTN-Affiliates/ (Stand:
1.11.2013).
[13] Zuletzt hat in
Italien im Jahr 2013 eine neue Akademie den Betrieb aufgenommen; die Scuola Superiore della Magistratura ist in der Villa di Castel Pulci in
Scandicci bei Florenz untergebracht (http://www.scuolamagistratura.it/; Stand:
1.11.2013).
Italien im Jahr 2013 eine neue Akademie den Betrieb aufgenommen; die Scuola Superiore della Magistratura ist in der Villa di Castel Pulci in
Scandicci bei Florenz untergebracht (http://www.scuolamagistratura.it/; Stand:
1.11.2013).
[14] Haller, Zu enges Denken bei Juristen,
Die Presse vom 11.1.2010; online: http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/532045/Zu-enges-Denken-bei-Juristen (Stand:
12.5.2013).
Die Presse vom 11.1.2010; online: http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/532045/Zu-enges-Denken-bei-Juristen (Stand:
12.5.2013).
[16] Im Wege eines eigenen Programms: HELP (European
Programme for Human Rights Education for Legal Professionals; http://help.ppa.coe.int/ [Stand: 1.11.2013]).
Programme for Human Rights Education for Legal Professionals; http://help.ppa.coe.int/ [Stand: 1.11.2013]).
[17] Referat
von Giovanna Ichino,
Direktoriumsmitglied der Scuola Superiore della Magistratura, am
23.10.2013 im Rahmen des Train–the–trainer–Seminar des European Judicial Training Network in Florenz (unveröffentlicht).
von Giovanna Ichino,
Direktoriumsmitglied der Scuola Superiore della Magistratura, am
23.10.2013 im Rahmen des Train–the–trainer–Seminar des European Judicial Training Network in Florenz (unveröffentlicht).