Text für die Fachzeitschrift juridikum Heft 2/2013
Bericht über eine
Enquete an der Universität Wien am 3. Mai 2013
Enquete an der Universität Wien am 3. Mai 2013
Justitia, die mit verbundenen Augen Recht
spricht, um ohne Ansehen der Person urteilen zu können, ist die Symbolfigur der unabhängigen Rechtsprechung.
Nicht nur deshalb mutet es paradox an, dass blinden Menschen in Österreich bislang der
Zugang zum
Amt der Richterin oder des Richters verwehrt ist. In den letzten zehn Jahren wandten sich
gleich mehrere junge Juristinnen, deren Berufswunsch Richterin sich nicht erfüllte, an die
Medien und sensibilisierten auf diese Weise die Öffentlichkeit für das Thema. Betroffen
sind freilich nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen; ganz allgemein sind
Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Personalstand der Justiz und im Amt der
Richterin/des Richters und der Staatsanwältin/des Staatsanwaltes unterrepräsentiert. Diese
mangelnde Vielfalt im Personal ist nicht
nur aus Sicht des Antidiskriminierungsrechts, sondern
auch im Hinblick auf das daraus
resultierende Defizit an Erfahrungen und Wissen innerhalb der Justiz bedauerlich.
spricht, um ohne Ansehen der Person urteilen zu können, ist die Symbolfigur der unabhängigen Rechtsprechung.
Nicht nur deshalb mutet es paradox an, dass blinden Menschen in Österreich bislang der
Zugang zum
Amt der Richterin oder des Richters verwehrt ist. In den letzten zehn Jahren wandten sich
gleich mehrere junge Juristinnen, deren Berufswunsch Richterin sich nicht erfüllte, an die
Medien und sensibilisierten auf diese Weise die Öffentlichkeit für das Thema. Betroffen
sind freilich nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen; ganz allgemein sind
Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Personalstand der Justiz und im Amt der
Richterin/des Richters und der Staatsanwältin/des Staatsanwaltes unterrepräsentiert. Diese
mangelnde Vielfalt im Personal ist nicht
nur aus Sicht des Antidiskriminierungsrechts, sondern
auch im Hinblick auf das daraus
resultierende Defizit an Erfahrungen und Wissen innerhalb der Justiz bedauerlich.
Die Gründe dafür, dass es Menschen
mit besonderen Bedürfnissen in Österreich so schwer haben, einen Rechtsberuf zu ergreifen, sind vielfältig. Sie
liegen zu
einem guten Teil im Bildungssystem. Lange Zeit hat
man Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Schulsystem
abgesondert unterrichtet. Das Prinzip der Inklusion hat sich nur langsam durchgesetzt. Auch das
Studienrecht wurde erst spät
angemessen ausgestaltet. Nunmehr haben Studierende
jedoch einen Rechtsanspruch
darauf, dass Prüfungsmodalitäten angepasst werden, wenn das im Hinblick auf eine
körperliche Einschränkung notwendig ist.
mit besonderen Bedürfnissen in Österreich so schwer haben, einen Rechtsberuf zu ergreifen, sind vielfältig. Sie
liegen zu
einem guten Teil im Bildungssystem. Lange Zeit hat
man Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Schulsystem
abgesondert unterrichtet. Das Prinzip der Inklusion hat sich nur langsam durchgesetzt. Auch das
Studienrecht wurde erst spät
angemessen ausgestaltet. Nunmehr haben Studierende
jedoch einen Rechtsanspruch
darauf, dass Prüfungsmodalitäten angepasst werden, wenn das im Hinblick auf eine
körperliche Einschränkung notwendig ist.
Foto: Christine Kainz; vlnr: Helene Jarmer, Peter Resetarits, Oliver Scheiber, Ludwig Bittner, Gerhard Jarosch, Werner Zinkl, Rupert Wolff |
Im Richterdienstgesetz (vormals RDG,
nunmehr RStDG) war lange die Diskriminierung behinderter
Menschen festgeschrieben. Unter den Voraussetzungen für die Ergreifung des RichterInnenamts nannte das Gesetz „die
uneingeschränkte persönliche, geistige und fachliche Eignung sowie die körperliche Eignung“, woraus
allgemein der Ausschluss von Menschen mit besonderen Bedürfnissen abgeleitet wurde. Erst 2006
wurde durch
das Bundes-Behindertengleichstellungs-Begleitgesetz [1] diese diskriminierende Norm
beseitigt und fortan nur mehr auf die „uneingeschränkte persönliche und fachliche Eignung“ abgestellt. Bereits
1996 war der Gleichheitssatz
der Bundesverfassung (Artikel 7) um folgenden Satz ergänzt worden: „Niemand darf
wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder, Gemeinden) bekennt sich dazu,
die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen
des täglichen Lebens zu gewährleisten“. Die Gesetzesmaterialien zeigen, dass man damals ein
verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht schaffen wollte, das vor dem VfGH durchsetzbar
ist. Im Sinne dieser Verfassungsbestimmung sieht das Behindertengleichstellungsgesetz die
positive Diskriminierung behinderter
Menschen vor. Antidiskriminierungsrichtlinien der EU, die EU-Grundrechte-Charta und die
UN-Behindertenkonvention, all diese hochrangigen Regelwerke sichern die rechtliche Stellung von
Menschen mit besonderen Bedürfnissen ab. Der Weg für
den einzelnen jungen Menschen,
der in Österreich einen Rechtsberuf ergreifen will, ist
aber steinig geblieben.[2] Als Hindernisse für
den Berufszugang von Behinderten werden von offizieller Seite die Unmittelbarkeit
des Verfahrens, im Besonderen Lokalaugenscheine, und die viele Stationen umfassende
Ausbildung genannt. Bei näherer Betrachtung wird rasch klar, dass es vor
allem am Willen fehlt: so sind etwa das Arbeits- und Sozialgericht Wien sowie das Bezirksgericht Josefstadt
nicht barrierefrei und damit für Rollstuhlbenutzer – Parteien wie JuristInnen – nicht oder sehr schwer zugänglich.
Was den Bereich der Justiz betrifft, so trat neben die ablehnende Haltung der
Ministerialbürokratie bislang bedauerlicherweise auch die Ablehnung der Berufsvertretung der Richterinnen und der
Richter und
der zuständigen Gewerkschaftssektion. In anderen europäischen Ländern hat sich schon
lange eine zeitgemäße Haltung durchgesetzt: in Deutschland sind rund 70 blinde Menschen als Richterinnen und Richter tätig.
Angesichts dieser Ausgangsposition war es bereits ein starkes Signal,
dass sich
die Vereinigungen aller Rechtsberufe mit der Universität Wien zusammenfanden, um
anlässlich des 5. Jahrestages des Inkrafttretens der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gemeinsam eine Enquete in
der Aula am Campus der Universität Wien zu veranstalten. Die rund zweistündige Tagung „Diversity
– Menschen mit Behinderungen in Rechtsberufen“ am 3. Mai 2013 lieferte eine Reihe
starker Inputs.
dass sich
die Vereinigungen aller Rechtsberufe mit der Universität Wien zusammenfanden, um
anlässlich des 5. Jahrestages des Inkrafttretens der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gemeinsam eine Enquete in
der Aula am Campus der Universität Wien zu veranstalten. Die rund zweistündige Tagung „Diversity
– Menschen mit Behinderungen in Rechtsberufen“ am 3. Mai 2013 lieferte eine Reihe
starker Inputs.
Am Beginn der Veranstaltung stand die Einspielung eines
Kurzportraits des Generalstaatsanwalts von Paris, Francois Falletti, der, zu 100 % sehbehindert, ein Team von 360 Staatsanwältinnen und Staatsanwälten im Großraum Paris
dirigiert und neben seiner Leitungsfunktion nach wie vor selbst im Gerichtssaal auftritt.
Kurzportraits des Generalstaatsanwalts von Paris, Francois Falletti, der, zu 100 % sehbehindert, ein Team von 360 Staatsanwältinnen und Staatsanwälten im Großraum Paris
dirigiert und neben seiner Leitungsfunktion nach wie vor selbst im Gerichtssaal auftritt.
Petra Bungart ist Richterin am Amtsgericht Duisburg. Sie
referierte über ihre Arbeitssituation. Durch die heute zur Verfügung
stehenden technischen Hilfsmittel ist das Lesen und
das Bearbeiten der Akten unkompliziert.
Bungart führt aber auch überdurchschnittliche viele Lokalaugenscheine durch. Was andere sehen,
ertastet sie mit dem Blindenstock, häufig lässt sie sich Sachverhaltsmerkmale von ihrem Assistenten oder
von den
Parteien selbst beschreiben.
referierte über ihre Arbeitssituation. Durch die heute zur Verfügung
stehenden technischen Hilfsmittel ist das Lesen und
das Bearbeiten der Akten unkompliziert.
Bungart führt aber auch überdurchschnittliche viele Lokalaugenscheine durch. Was andere sehen,
ertastet sie mit dem Blindenstock, häufig lässt sie sich Sachverhaltsmerkmale von ihrem Assistenten oder
von den
Parteien selbst beschreiben.
Alexander Niederwimmer, Polizeijurist in
Oberösterreich, ist ebenfalls blind. Er leitet häufig Tatortkommissionen und berichtete, ähnlich wie Bungart, dass
seine Sachverhaltsaufnahmen in der Regel mehr
Zeit beanspruchen als bei Menschen ohne Sehbehinderungen, dass sie aber wesentlich
präziser und detailgetreuer ausfallen.
Oberösterreich, ist ebenfalls blind. Er leitet häufig Tatortkommissionen und berichtete, ähnlich wie Bungart, dass
seine Sachverhaltsaufnahmen in der Regel mehr
Zeit beanspruchen als bei Menschen ohne Sehbehinderungen, dass sie aber wesentlich
präziser und detailgetreuer ausfallen.
Eine zweite Diskussionsrunde beschäftigte sich
schwerpunktmäßig mit dem Entschließungsantrag des Nationalrats vom Jänner 2013, mit dem ein Pilotprojekt für blinde Richter angeregt wurde.[3]
Das Parlament fordert einen Pilotversuch für blinde Richterinnen
und Richter am Bundesverwaltungsgericht, das im Jänner 2014 seinen Betrieb aufnehmen
und ab dann das größte österreichische
Gericht sein wird. Sektionschef Gerhard Hesse vom Verfassungsdienst des
Bundeskanzleramts zeigte sich für einen solchen Pilotversuch aufgeschlossen; er sieht
einen Rechtsanspruch für behinderte Menschen auf Zugang zu den Rechtsberufen. Die Statements der
weiteren hochrangigen Vertreter aus Verwaltung, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gesundheits-,
Justizministerium und Wissenschaft machten Hoffnung, dass die Tore
der Rechtsberufe für Menschen mit besonderen Bedürfnissen tatsächlich bald
aufgehen könnten. Beispielhaft ein Zwischenruf von
Univ. Prof. Rechberger, der auf das Argument,
Österreich habe eben keine Kultur der Integration behinderter Menschen in die Rechtsberufe, aus dem
Publikum meinte: dann
müsse man diese Kultur eben schnell ändern. Mit ähnlichem Nachdruck forderte der Präsident des österreichischen Rechtsanwaltskammertags,
Rupert Wolff, die Rechte von Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein. Die Behindertensprecher von ÖVP und Grünen, Franz-Joseph Huainigg und Helene Jarmer, kämpfen seit Jahren leidenschaftlich für die Öffnung der Rechtsberufe und legten bei der Enquete
ihre Position dar. Nicht zuletzt trug die scharfsinnige Moderation von Peter Resetarits zum
Gelingen der Veranstaltung und zum breiten Medienecho bei.
schwerpunktmäßig mit dem Entschließungsantrag des Nationalrats vom Jänner 2013, mit dem ein Pilotprojekt für blinde Richter angeregt wurde.[3]
Das Parlament fordert einen Pilotversuch für blinde Richterinnen
und Richter am Bundesverwaltungsgericht, das im Jänner 2014 seinen Betrieb aufnehmen
und ab dann das größte österreichische
Gericht sein wird. Sektionschef Gerhard Hesse vom Verfassungsdienst des
Bundeskanzleramts zeigte sich für einen solchen Pilotversuch aufgeschlossen; er sieht
einen Rechtsanspruch für behinderte Menschen auf Zugang zu den Rechtsberufen. Die Statements der
weiteren hochrangigen Vertreter aus Verwaltung, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gesundheits-,
Justizministerium und Wissenschaft machten Hoffnung, dass die Tore
der Rechtsberufe für Menschen mit besonderen Bedürfnissen tatsächlich bald
aufgehen könnten. Beispielhaft ein Zwischenruf von
Univ. Prof. Rechberger, der auf das Argument,
Österreich habe eben keine Kultur der Integration behinderter Menschen in die Rechtsberufe, aus dem
Publikum meinte: dann
müsse man diese Kultur eben schnell ändern. Mit ähnlichem Nachdruck forderte der Präsident des österreichischen Rechtsanwaltskammertags,
Rupert Wolff, die Rechte von Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein. Die Behindertensprecher von ÖVP und Grünen, Franz-Joseph Huainigg und Helene Jarmer, kämpfen seit Jahren leidenschaftlich für die Öffnung der Rechtsberufe und legten bei der Enquete
ihre Position dar. Nicht zuletzt trug die scharfsinnige Moderation von Peter Resetarits zum
Gelingen der Veranstaltung und zum breiten Medienecho bei.
Soweit überschaubar, war es das erste Mal, dass die Berufsvereinigungen der RichterInnen, StaatsanwältInnen, RechtsanwältInnen und NotarInnen
gemeinsam mit der Universität Wien zu einer Fachveranstaltung eingeladen hatten. Dass sie als Thema dafür die
Öffnung des Berufszugangs für Menschen mit besonderen
Bedürfnissen ausgewählt hatten und dass diese Tagung als erste juristische Fachveranstaltung
dieser Art
zur Gänze in die Gebärdensprache gedolmetscht wurde, lässt hoffen, dass
Menschen mit besonderen Bedürfnissen künftig auf eine aufgeschlossene
Haltung der Rechtsberufe treffen werden. Universität Wien und die Vereinigungen aller Rechtsberufe
fassten in
der Enquete gemeinsame Schlussfolgerungen,[4] in denen sie
unter anderem fordern, dass junge Menschen mit Behinderungen ab sofort
ermuntert werden sollen, die rechtswissenschaftlichen Studien
zu inskribieren und die
Ausbildung zu einem Rechtsberuf anzustreben.
gemeinsam mit der Universität Wien zu einer Fachveranstaltung eingeladen hatten. Dass sie als Thema dafür die
Öffnung des Berufszugangs für Menschen mit besonderen
Bedürfnissen ausgewählt hatten und dass diese Tagung als erste juristische Fachveranstaltung
dieser Art
zur Gänze in die Gebärdensprache gedolmetscht wurde, lässt hoffen, dass
Menschen mit besonderen Bedürfnissen künftig auf eine aufgeschlossene
Haltung der Rechtsberufe treffen werden. Universität Wien und die Vereinigungen aller Rechtsberufe
fassten in
der Enquete gemeinsame Schlussfolgerungen,[4] in denen sie
unter anderem fordern, dass junge Menschen mit Behinderungen ab sofort
ermuntert werden sollen, die rechtswissenschaftlichen Studien
zu inskribieren und die
Ausbildung zu einem Rechtsberuf anzustreben.
Ermutigend
ist jedenfalls die Meldung, die bei Redaktionsschluss am 31.7.2013 einlangt:
Alexander Niederwimmer und Gerhard Höllerer werden ab 1.1.2014 die ersten
blinden Personen in Österreich sein, die das Richteramt ausüben – am neuen
Bundesverwaltungsgericht.
ist jedenfalls die Meldung, die bei Redaktionsschluss am 31.7.2013 einlangt:
Alexander Niederwimmer und Gerhard Höllerer werden ab 1.1.2014 die ersten
blinden Personen in Österreich sein, die das Richteramt ausüben – am neuen
Bundesverwaltungsgericht.
Dr. Oliver Scheiber ist Richter in
Wien und Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Er hat an
der Organisation der Enquete mitgewirkt.
[1] 1 BGBl
I 82/2005,
http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2005_I_82/BGBLA_2005_I_82.pdf
(Stand 10.5.2013).
I 82/2005,
http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2005_I_82/BGBLA_2005_I_82.pdf
(Stand 10.5.2013).
[2]
Scheiber, Wer ist hier blind? Falter 21/2007.
Scheiber, Wer ist hier blind? Falter 21/2007.
[4] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130503_OTS0129/enquete-menschen-mit-behinderungen-inrechtsberufen-konkrete-schlussfolgerungen-als-ergebnis
(Stand: 10. 5.2013).
(Stand: 10. 5.2013).