Scheiber, einer der wenigen Richter, die sich auch rechtspolitisch
äußern, über seine Einschätzung des Bildes der Justiz in der
Öffentlichkeit, über das, was sie gelernt hat und was sie noch vor sich
hat.
Die Presse: Der Oberste Gerichtshof hat vorige Woche die
disziplinarrechtliche Bestrafung eines Richters bestätigt, der mit einem
Journalisten über ein Verfahren in der Causa Kampusch gesprochen hatte.
Drohen auch Ihnen disziplinarrechtliche Konsequenzen? Sie sprechen mit
einem Journalisten.
Oliver Scheiber: Hoffentlich nicht! Sonst wäre das
eines meiner kürzesten Gespräche mit einem Journalisten. Es ging darum,
dass Richter mit Medien nicht über Verfahren sprechen sollen, die sie
geleitet haben. Der Grundgedanke ist sehr wichtig und richtig, die
Funktion des Mediensprechers eines Gerichts von der des Richters zu
trennen, der das Verfahren führt.
Das setzt voraus, dass es einen geeigneten Mediensprecher gibt.
Ja.
Wir sind als Justiz in den letzten Jahren extrem gefordert gewesen.
Früher hat es das Thema „Öffentlichkeitsarbeit der Justiz“ gar nicht
gegeben. Die Justiz hat nicht kommunizieren müssen, die Entscheidungen
haben sich in Fachkreisen herumgesprochen. Der Gedanke hat sich erst vor
etwa 15 Jahren durchgesetzt, aus dem Strafbereich kommend, aber jetzt
ausgedehnt auf alle Bereiche. Personell ist das natürlich eine
Herausforderung, weil diese Funktionen von Richtern und Staatsanwälten
wahrgenommen werden müssen und wir keine externen Kräfte einkaufen können.
Die Aufmerksamkeit der Medien für die Justiz ist enorm gewachsen.
Ja,
das spüren wir sehr stark. Die Richter sind stärkerer Beobachtung und
Kritik ausgesetzt. Die Richterschaft gehört zu den Berufen wie Ärzte
oder Universitätsprofessoren, die vom Sockel gestürzt worden sind und
von der Öffentlichkeit gefordert werden, auf gleicher Augenhöhe zu
kommunizieren. Ich halte das für richtig und zeitgemäß.
Wie wirkt die Justiz heute nach außen?
Im
Moment herrscht eine positive Tendenz. Ich habe schon den Eindruck,
dass wir eine Zeit lang Vertrauen verloren hatten, weil wir nicht
entschieden genug die Wirtschaftskriminalität verfolgt haben. Es ist gar
keine Frage, dass eine Vielzahl von Korruptionsverfahren, die
eingestellt wurden, Unmut erzeugt hat. Inzwischen haben wir viel getan:
eine starke Aufrüstung im Wirtschaftsbereich, verbesserte Medienarbeit,
bessere Selbstdarstellung. Das wirkt. Ich würde sagen, die Justiz ist
noch nicht über den Berg, aber wir haben Vertrauen zurückgewonnen. Es
greift auch die Ressourcenaufstockung. Vor allem die Wirtschafts- und
Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), hat einen ganz entscheidenden
Beitrag geleistet: sowohl von der inhaltlichen Kompetenz her als auch
von der Medienarbeit.
Wie kann der Aufwind in einen Dauerzustand überführt werden?
Aus-
und Fortbildung ist ein zentrales Thema für uns. Wir haben sehr viel
gemacht, um im Wirtschaftsbereich fit zu werden. Die Masterprogramme für
Richter und Staatsanwälte werden von sehr vielen Kollegen absolviert.
Aber wir sollten das in anderen Bereichen auch machen. Zum Beispiel im
Familienrecht: Da sollte man vergleichbare Module anbieten. Oder im
Unterbringungsrecht, bei dem Richter mit psychisch Kranken zu tun haben.
Es hilft nur, in allen Bereichen in die Aus- und Fortbildung zu
investieren.
Wird das, was die Justiz macht, in der Öffentlichkeit verstanden?
Da
ist viel Luft nach oben, besser zu werden. Es ist generell eine
Schwierigkeit von Juristen: Das ist ein Beruf, der sich gern
fachspezifisch ausdrückt. Schon an der Uni herrscht der schwer
verständliche Fachsprachenton vor. Ich glaube, wir sind viel besser
geworden, aber wir können noch immer viel besser werden.
Nämlich wie?
Die
Kommunikation generell ist die Herausforderung für die Justiz: Im
Verfahren, wie die Richter es leiten, wie sie mit den Anwälten und mit
den Verfahrensbeteiligten sprechen, und auch in Situationen wie dieser
hier, wie sie mit den Medien sprechen. Wir müssen uns verständlich
ausdrücken.
Es gibt eine Qualitätssicherung in der
Justiz in Form des Instanzenzugs. Gibt es für das, was Sie ansprechen,
auch eine Qualitätssicherung? Kümmert sich jemand darum, wie Richter mit
Angeklagten oder Streitparteien umgehen?
Der
Instanzenzug funktioniert gut, geht recht schnell, findet Akzeptanz. Ein
anderes Qualitätssicherungsinstrument, das wir schon Jahrzehnte haben,
ist die Kontrolle der Verfahrensgeschwindigkeit. Es gibt monatliche
Prüflisten über jeden Richter, anhand derer die vorgesetzten
Dienststellen genau sehen: Wo steht ein Verfahren länger als einen Monat
still, wo ist ein Urteil ausständig? Dadurch sind die Verfahren viel
kürzer geworden, weil es einen Druck auf die Richter gibt. Das schnelle
Verfahren ist schon ein wesentliches Element des guten Verfahrens. Alles
andere ist natürlich schwer zu messen: ob der Richter freundlich ist,
ob er jemanden unterbricht, ohne das zu erklären, ob er pünktlich im
Verhandlungssaal auftaucht, ob er eine Sprache verwendet, die die Leute
verstehen. Da muss die Qualitätssicherung einsetzen. Bereiche wie das
Gesundheitswesen oder die Universitäten sind uns voraus, auch an Schulen
gibt es Schülerbefragungen über die Lehrer. Wir müssen uns Gedanken
machen, wie wir das erfassen können: sei es durch Befragungen von
Anwälten oder Parteien. Aus meiner Sicht ist es notwendig, damit zu
beginnen.
Sie waren unter Maria Berger (SPÖ) im
Ministerbüro tätig. Kann das Ministerium solche Maßnahmen in der
weisungsfreien Justiz durchsetzen?
Die Kommunikation in
der Justiz verbessern heißt: nach außen, aber auch nach innen. Wir sind
ein gewachsener, sehr hierarchisch organisierter Betrieb und müssen erst
lernen, dass auch intern mehr gesprochen wird. Je mehr man erklärt,
desto größer ist die Akzeptanz. Als die Justizombudsstellen eingeführt
worden sind, war das für die Justiz etwas völlig Neues: eine
professionelle Beschwerdeeinrichtung, die noch dazu beworben wird, indem
man sagt: „Wenn Sie unzufrieden sind, gehen Sie da hin.“ Das ist
natürlich auf viel Widerstand gestoßen. Mittlerweile ist es durch die
gute Arbeit dort auch intern sehr gut angenommen. Das geht schon, denke
ich.
Die Richter haben sich damals dagegen
gesträubt, einen Externen als Kontrollor einzusetzen. Man hat an
emeritierte Anwälte oder an die Volksanwaltschaft gedacht. Jetzt sitzen
in den Ombudsstellen aktive Richter.
Nach dem
Selbstverständnis der Richterschaft ist diese Unabhängigkeit auch in den
Kontrolleinrichtungen ein hoher Wert. Persönlich meine ich, dass
externe Inputs immer guttun. Das Verhältnis zur Volksanwaltschaft hat
sich in den letzten Jahren sehr entspannt. Man lässt sich von ihr sehr
viel sagen, zum Beispiel im Sachwalterschaftsrecht, weil es da sehr
viele Beschwerden gibt. Darüber denken wir viel nach. Dann gibt es Dinge
wie den Wahrnehmungsbericht der Rechtsanwälte, den ich sehr hilfreich
finde: einfach eine Aufstellung, an der man sieht, welche Ärgernisse und
Fehler aus Sicht der Anwälte bestehen. Natürlich haben wir die Tendenz
zu sagen, wir schauen gern selbst darauf, dass der Betrieb gut läuft.
Aber es kommen immer mehr, wie bei der WKStA, externe Experten. Ein
nächster Schritt könnte sein, dass uns eine externe
Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Im Moment holen wir uns die externe
Expertise über die Fortbildung herein. Abgeschottet sind wir also nicht
mehr.
Juristen in der Justiz müssen also viel mehr als nur juristisch ausgebildet sein.
Ja,
das ist der entscheidende Punkt. Die Herausforderung für die Zukunft
ist eine menschengerechte Justiz mit einer menschengerechten
Kommunikation. Das scheint mir das Um und Auf zu sein. Es hilft die
juristisch beste Entscheidung nichts, wenn alle Verfahrensbeteiligten
unglücklich sind nach dem Prozess und jeder sagt: Das war eine
unangenehme Erfahrung. Man muss dahin kommen, dass die Leute sagen – und
das hört man ja auch jetzt schon oft: Ich habe den Prozess verloren,
aber es war okay. Ich habe sagen können, was ich meine, und der Richter
hat mir erklärt, er sieht das anders. Die Erwartungshaltung der Leute
ist, angehört zu werden.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.04.2013)