Die Stärkung der Institutionen ist die zentrale Aufgabe der kommenden Jahre – daran sollten sich Viele beteiligen

Österreich hat eine neue Regierung, mit einem respektablen Programm und starken Persönlichkeiten. Das ist, in einer Phase, in der weltweit Demokratien kippen und autoritäre Bewegungen an die Macht kommen, ein kleines Wunder. In vielen Ländern befinden sich die konservativen wie auch sozialdemokratischen Traditionsparteien in der Krise, sind zum Teil bereits untergegangen oder unbedeutend geworden – Italien oder Frankreich sind Beispiele dafür. Es hat sich gezeigt, dass die Lücken hinter diesen Sammelparteien nicht von demokratischen Kräften gefüllt werden, sondern in der Regel von neuen Bewegungen, die zu autoritärem Agieren und Regieren neigen. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass sich das demokratische System aktuell nur dann stabilisieren lässt, wenn sich konservative wie sozialdemokratische Traditionsparteien erneuern.
Die letzten Wochen der österreichischen Innenpolitik Wochen lassen sich vorsichtig positiv beurteilen. Während sich in unmittelbarer Nachbarschaft – in Ungarn, Serbien und der Slowakei, in Italien ist die Lage noch widersprüchlich – zuletzt autoritäre oder zumindest autoritär gesinnte Regierungen etablieren konnten, schaffte Österreich doch die Wendung hin zur Regierung der Mitte.
Die Prozesse der letzten Wochen lassen sich auch als Resilienz des österreichischen demokratischen Systems lesen. Der Schock des radikalen Umbaus der USA ab dem Amtsantritt von Donald Trump hat die Bildung einer Mitte-Regierung sicher begünstigt. Trump hat der Welt vorgeführt, wie rasch sich zum Teil Jahrhunderte lang gewachsene demokratische Institutionen zerschlagen lassen. Zur Bildung der Mitte-Regierung in Österreich haben aber auch zivilgesellschaftliche Proteste und Initiativen gegen eine FPÖ-geführte Koalition beigetragen; die Warnungen und Positionierungen prominenter ehemaliger Politiker:innen, einzelne Zeichen wie der Appell am Titelblatt des Falter und starke Texte angesehener Kommentator:innen.
Die erfolgte Regierungsbildung ist aber auch eine Leistung der handelnden Akteure und Hinweis auf einen Erneuerungsprozesses von ÖVP und SPÖ. Nach vielen Volten wählte Christian Stocker im entscheidenden Moment doch den Kompromiss im Sinn der Werte der Zweiten Republik. Die Regierungserklärung Stockers vom 7. März hat durch die Bezugnahme auf die Gründung der Zweiten Republik und gemeinsame historische Erfolge von ÖVP und SPÖ, wie den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, die ÖVP wieder als staatstragende Partei der Mitte definiert. Die unaufgeregte Führung Stockers gibt der ÖVP die Chance, diese Periode auch zur Rückbesinnung auf ihre traditionellen Stärken zu nutzen, zu einer konstruktiven Europapolitik zurückzufinden und die Rolle der Sozialpartnerschaft neu wertzuschätzen.
Andreas Babler wiederum steht noch viel mehr für einen innerparteilichen Erneuerungsprozess. Babler hat die Partei unter anderem für Expertinnen und Experten im größten Umfang seit der Ära Kreisky geöffnet. In den Landeshauptstädten sind die Erfolge des sozialdemokratischen Erneuerungsprozesses bereits sichtbar. In Salzburg, Linz und Innsbruck sind neu gewählte, jüngere, moderne sozialdemokratische Politikerinnen erfolgreich. Damit steht Babler in der ersten Reihe europäischer Erneuerer der Sozialdemokratie; der österreichische Reformprozess ist mit jenem des italienischen Partito Democratico vergleichbar, den Elly Schlein einige Wochen vor Babler im März 2023 eingeleitet hat und die mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hat wie Babler. In Bablers Regierungsteam finden sich Persönlichkeiten, die an prägende sozialdemokratische Politiker:innen der letzten Jahrzehnte anknüpfen. Das starke Regierungsteam ist im Übrigen eine Parallele zum Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der wohl einen erheblichen Anteil am Zustandekommen der aktuellen Regierung hat.
Die kleineren Parteien haben Ihren Anteil zur Stabilisierung des Landes ebenfalls geleistet. Die Neos durch ihren Regierungseintritt, die Grünen durch die offensive Unterstützung der Bildung einer Regierung, von der sie wussten, dass sie ihr wohl nicht angehören werden. Umso bemerkenswerter ist der leidenschaftliche Einsatz Werner Koglers für eine Mitte-Regierung in den letzten Wochen.
Die Bildung einer Regierung der Mitte verschafft dem Land eine Atempause, die sich viele andere Staaten wünschen würden. In der weltweiten Demokratiekrise erhält Österreich die Chance, das System der checks and balances, also der wechselseitigen Kontrolle staatlicher Institutionen und Akteure, zu verbessern. Die zentrale Aufgabe dieser Regierung muss es sein, jene Institutionen, die für Demokratie und Rechtsstaat entscheidend sind, zu stärken und gegen mögliche Angriffe autoritärer Bewegungen abzusichern.
Der von der Regierung vorgesehene Konvent bildet einen möglichen Rahmen für eine Verfassungsreform, die Parlament, Medien und Justiz stärken müsste. Das Parlament könnte durch den Aufbau eines großen Rechtsdiensts in seiner Unabhängigkeit gegenüber der Regierung gestärkt werden. Zur Stärkung der Medienvielfalt und des öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es in Österreich schon Ideen und Vorschläge von Expertenseite. Das gilt auch für Verwaltungsreformen und die geplante Jahrhundertreform der Einrichtung einer Bundesstaatsanwaltschaft, die die Staatsanwaltschaften endlich unabhängig von der jeweiligen Regierung macht.
Schließlich geht es um den Bestellmodus hoher Organe, etwa der Verfassungsrichter/innen. In den letzten Jahren hat zudem die Regierung hohe Funktionen, wie etwa die Leitung des Bundesverwaltungsgerichts oder der Bundeswettbewerbsbehörde, lange unbesetzt gelassen. Für diese Problematik des Untätigseins gilt es eine Lösung zu finden. Eine von mehreren denkbaren Varianten wäre es, dass in solchen Fällen der Bundespräsident an Stelle der Regierung mit der Auswahl einer Person aus den vorgeschriebenen Besetzungsvorschlägen betraut wird.
Der Erfolg der Regierung wird im Wesentlichen davon abhängen, ob Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger im Alltag schnell sichtbar werden. Im Justizbereich geht es etwa vor allem darum, den Zugang zum Recht einfacher zu machen. Österreich verfügt über moderne Gesetze, aber es ist oft zu kompliziert, zu teuer oder zu schwierig, die eigenen Rechte durchzusetzen. Moderne Servicecenter und die Möglichkeit, Anträge unkompliziert mündlich zu Protokoll zu geben, und die Ausdehnung der durch Verfahrenshilfe unterstützten anwaltlichen Vertretung können hier Abhilfe schaffen und für die Bevölkerung sichtbare Erleichterungen bringen.
Die Regierungsspitzen haben in ihren ersten Erklärungen oft die Worte „Zuversicht“ und „Konsens“ verwendet. Im Idealfall werden diese Begriffe am Ende eine taugliche Zusammenfassung der Regierungsperiode darstellen. Breite Beteiligungsprozesse und ein Zugehen der Regierung auf die Zivilgesellschaft sind ein Weg dahin. Viele Bürgerinnen und Bürger, die politisch interessiert sind und etwas einzubringen haben, sollten umgekehrt die Bemühungen der Politik der letzten Monate und die Leistung der Bildung einer Regierung der Mitte dadurch würdigen, dass sich ganz viele Menschen in gesellschaftliche und politische Prozesse einbringen – auf allen Ebenen: in der Gemeinde, am Arbeitsplatz, in den vielen Dienststellen der Verwaltung, nicht zuletzt auch durch temporäre oder dauerhafte Mitarbeit in Initiativen und in den konstruktiven politischen Kräften. Österreich hat in den letzten Monaten regelrecht um Demokratie und Gemeinsamkeit gerungen; dass dieses Ringen erfolgreich war, sollte dem ganzen Land Auftrieb geben.
Oliver Scheiber ist Richter und Publizist in Wien. Er war Mitinitiator von Antikorruptionsvolksbegehren und der Initiative „Bessere Verwaltung“.
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