Meine Großmutter hat in ihrem Leben zwei Mal unter Verfolgung und Lebensgefahr durch politische Regime gelitten; unter dem Austrofaschismus und unter dem Nationalsozialismus. Unter den Nazis wurde ein Teil ihrer Familie ermordet, ein Teil konnte in die USA flüchten, ein kleiner Teil der Familie überlebte in Österreich. Meine Großmutter erzählte oft von den düsteren Jahren; meine Erinnerungen an ihre Erzählungen sind frisch.
Als in den 1980er-Jahren der Aufstieg Jörg Haiders und seiner FPÖ begann, sagte meine Großmutter nicht einmal: diese Töne, diese Reden bei Veranstaltungen, genau so hat es damals begonnen. Ich wünsche Euch, meinen Enkelkindern, dass es sich nicht so weiterentwickelt wie damals, und dass Euch solche Zeiten erspart bleiben.
Dieses Vorwissen hat mein Engagement für Rechtsstaat und unsere Menschenrechtsordnung, die ja das Ergebnis der Lehren aus Krieg und Faschismus ist, mitbestimmt.
Fast 40 Jahre sind seit Haiders Aufstieg vergangen, das Erstarken der FPÖ wiederholt sich immer wieder nach periodischen Rückschlägen. Mittlerweile verwendet die FPÖ ungeniert Begrifflichkeiten, die auch die Nationalsozialisten gerne gebrauchten, stellt die Menschenrechtskonvention in Frage, fordert Außerlandesbringungen von Menschen in größerer Zahl und nennt als Vorbild ihrer Politik immer wieder Ungarn unter Viktor Orban. Sich Ungarn unter Viktor Orban zum Vorbild zu nehmen bedeutet aber, eine Gesellschaft schaffen zu wollen, in der Antisemitismus und Fremdenhass den Ton angeben, in der es keine freien Medien mehr gibt, keinen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und keine unabhängige Justiz. Es bedeutet schlicht die Abschaffung der Demokratie und der Freiheit, wie wir sie seit 1945 kennen.
Wir konnten in der jüngeren Vergangenheit gut beobachten, wie vor unserer Haustüre Demokratien kippen. Die Türkei, Ungarn, Polen, zuletzt Israel oder die Slowakei – der Wandel von der Demokratie zum autoritären Regime vollzieht sich manchmal langsamer, manchmal ganz rasch. Ich habe in Österreich viele öffentliche Diskussionen und Analysen zur Situation in den genannten Staaten gehört; die Kritikfähigkeit der österreichischen Teilnehmer:innen ist da gegeben; sie schwindet allzu oft, wenn es um die Beurteilung bedenklicher Entwicklungen im eigenen Land geht. Es ist nicht angenehm, sich mit den Schwächen des eigenen Landes auseinanderzusetzen und Gefahren zu benennen. Sich dadurch auch unbeliebt zu machen und dem billigen Anwurf der Nestbeschmutzung auszusetzen.
Die Zahl der Demokratien geht in den letzten Jahren weltweit laufend zurück. Österreichs Demokratie droht akute Gefahr dadurch, dass sich die einst staatstragende ÖVP inhaltlich, zum Teil auch in Worten von extremen Positionen nicht mehr (deutlich) abgrenzt. Die Demokratie gerät immer dann in Gefahr, wenn die Mehrheit aus der Mitte keinen Widerstand gegen extreme Positionen leistet. Genau das ist etwa mit den Republikanern in den USA passiert. Warnsignale gibt es in Österreich: die Weigerung des früheren Finanzministers Blümel, Akten an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu liefern, war ein Tabubruch und deutliches Blinken in eine autoritäre Richtung. Ähnliches gilt für das Infragestellen hart erkämpfter Menschenrechte vor allem im Zusammenhang mit Flucht und Migration.
Unsere Apathie angesichts der möglichen autoritären Entwicklung ist bemerkenswert. Als ob wir aus der Geschichte nichts gelernt hätten, schauen alle dem Aufstieg rechtsextremer Positionen zu und richten sich auf eine autoritäre Gesellschaft ein. Manche unterschätzen wohl auch die Gefahr für die Demokratie, andere ziehen Schweigen vor, um es sich mit keinem zu verscherzen. Jetzt, wo es sich noch viele leisten könnten, wird viel zu wenig Widerspruch gegen autoritäre Ansinnen erhoben. Das Stillhalten wird oft mit der nötigen Neutralität und Unbefangenheit erklärt: Journalist:innen könnten sich nicht positionieren, Jurist:innen und Wiisenschaftler:innen könnten sich nicht positionieren, Lehrer:innen könnten sich nicht positionieren. Es ist ein großes Missverständnis: das Bekenntnis zur Demokratie und zu den Grundrechten kann kein falsches Bekenntnis sein und keine Befangenheit auslösen. Wo der Demokratie Gefahr droht, ist Positionierung eine Pflicht. Schon einmal ist die so genannte Mitte der Gesellschaft unbefangen und neutral und schweigend in Diktatur und Faschismus mitmarschiert.
Positionierung bedeutet fallweise auch die Notwendigkeit, sich zu bestimmten Parteien oder Politiker:innen zu bekennen. Die Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen war ein solcher Moment.
Jetzt geht es wieder um die Beteiligung rechtsextremer Positionen an der Macht. Sich nicht zu positionieren bedeutet, die Fehler der 1930er-Jahre zu wiederholen: am Ende will keiner am Unglück schuld gewesen sein, das durch rechtzeitiges Handeln zu verhindern gewesen wäre.
Die FPÖ hat im Vorfeld dieser Wahl Positionen bezogen, die mit dem nach 1945 entwickelten Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat nicht vereinbar sind. Die ÖVP schließt eine Koalition mit der FPÖ nicht aus. Es ist klar, dass eine Koalition dieser beiden Parteien die hohe Gefahr einer Beschädigung demokratischer Institutionen und des Abbaus demokratischer Freiheiten in sich trägt, dass der unabhängige Rundfunk und die unabhängige Justiz so gefährdet wären, wie in Ungarn oder der Slowakei.
Dazu kommt die Klimafrage: die Einsicht in die Dramatik der Lage und die Bereitschaft, ernsthaften Klimaschutz zu machen, wird für die Zukunft jedes Landes zentral sein.
Es ist unser aller Verantwortung und Pflicht, alles zur Bewahrung von Demokratie und Rechtsstaat zu unternehmen. Noch haben wir alle ein paar Tage Zeit, in unserem Umfeld zu informieren, aufzuklären und zu mobilisieren. Immerhin gibt es allein unter den fünf aktuellen Parlamentsparteien mit SPÖ, Grünen und Neos drei Parteien, die die Brandmauer gegen die extreme Rechte aufrecht erhalten und zusätzlich die Herausforderungen der Klimakrise in ihrer ganzen Dimension erfasst haben.
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